Vor einer großen Spiegelwand hat sich der schmächtige Guillermo García aufgebaut, den hier alle schlicht "Guille" nennen. 20 Schüler, 15 Männer, fünf Frauen, sitzen im Halbkreis vor ihm – alle auf je einem Cajón, einem Rhythmusinstrument, im Grunde nicht mehr als eine Holzkiste.
Sie sollen damit einen Jaleo begleiten, den Guille von einer CD einspielt. Ein Jaleo ist eine Form des Flamenco aus der Region Extremadura.
Zunächst sollen sie nur klatschen, um den Rhythmus zu üben. Erst dann auf den Instrumenten spielen.
Während seine Schüler alleine weiterspielen, geht Guille in einen leeren Unterrichtsraum und dreht sich eine Zigarette. Er wartet dort auf eine Kollegin und erzählt unterdessen von seiner Kindheit in Cartagena an der Mittelmeerküste, von seiner Mutter, einer Malerin, und der Liebe seines Vaters zum Flamenco. Eine der besten Freundinnen der Eltern war Direktorin eines angesehenen Flamenco-Festivals. Doch Guilles erstes Instrument war eine Geige:
"Ich habe jahrelang versucht, die Geige zu verstecken, wenn ich ins Konservatorium gegangen bin. Wir lebten in einem Arbeiterviertel, da spielten Jungs keine Geige, das war was für Mädchen."
Die klassische Ausbildung stand keineswegs im Gegensatz zum Flamenco. Durch sie hat er vielmehr dessen Komplexität und Vielfalt schätzen gelernt.
"Den Stolz auf unsere Kultur hat uns Franco abgewöhnt"
Noch immer verschmähten manche Spanier diese Kunst als reine Folklore, bedauert Guille. Im Ausland werde sie mehr geschätzt:
"Den Stolz auf unsere Kultur hat uns Franco abgewöhnt, der alles instrumentalisiert hat. Die Vorstellung von Vaterland, das Wort Spanien, all das klingt immer noch nach Faschismus. Hoffentlich haben wir eines Tages wieder eine Generation, die stolz auf ihr Land sein kann. Darum kämpfe ich, für den Flamenco."
Den er als Perkussionist spielt, am liebsten auf dem Cajón. Der berühmte Gitarrist Paco de Lucía entdeckte das Instrument Ende der 1970er-Jahre für den Flamenco:
"Paco suchte seit Jahren nach einem neuen Rhythmusinstrument. Aber ihn überzeugten weder die Congas noch die Bongos, weil die einen eigenen Klang haben, der sich nur schwer mit der Gitarre verträgt. Bei einer Konzertreise durch Peru traf er den berühmten peruanischen Perkussionisten Caitro Soto mit dem Cajón. Er fand: Das ist das Instrument, das wir für den Flamenco brauchen. Seine Tiefen klingen wie das Steppen der Bailaores auf dem Boden, seine Höhen wie das Klatschen der Hände."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Flamenco - Identität und Gefühl".
Die Kollegin, auf die er wartet, ist eine solche Bailaora. Sie hat Sorgen wegen eines gemeinsam mit seinen Schülern geplanten Auftritts. Guille versteht sie zu gut:
"Dieses Instrument kann nicht nur sehr kräftig, sondern auch sehr zart klingen. Leider spielen manche Perkussionisten darauf so roh, dass das Steppen der Bailaores untergeht. So verzichten manche Flamenco-Tänzer lieber auf den Cajón. Ich habe den Tanz zehn Jahre begleitet, als Perkussionist muss ich mich den Bailaores anpassen. Ich kann auch nicht in einer Kirche rumschreien oder auf einer Demonstration flüstern."
Absatzklacken im Zwölf-Takt-Schema
Über den Cajón lasse sich ganz gut die rhythmische Entwicklung des Flamenco in der Musikgeschichte erklären, überlegt Guille. Der Flamenco vereint Grundmuster der europäischen und spanischen Musik:
"Da ist der typische Dreivierteltakt, den wir im Walzer bis zu einer Jota oder einer Sevillana haben."
Er zieht noch einmal an seiner Zigarette und drückt sie dann aus:
"Aber wir haben auch einen Viervierteltakt, eine Anleihe aus dem angelsächsischen und lateinamerikanischen Raum. Und dann haben wir im Flamenco das Zwölftakt-Schema, das wohl für den Tanz geschaffen wurde, für den Rhythmus, den die Füße mit dem Steppen erzeugen. Dafür waren das Dreiviertel- und Vierviertel-Schema zu kurz. In das Schema der zwölf Anschläge passen ja auch drei Mal die Vier oder vier Mal die Drei. Wir spielen also ständig mit der Drei oder der Vier."
Einfluss indischer, persischer, arabischer Musik
Aber gut, meint Guille und lächelt, vielleicht ist es doch komplizierter zu erklären. Den wechselnden Taktarten des Flamenco hat er eine eigene Webseite mit mehr als zehn Videos gewidmet.
"Die indische oder persische Musik sind weitaus komplexer. Ihr Einfluss auf den Flamenco ist ganz offensichtlich. Die Gitanos haben das aus Indien, aus Persien, aus dem arabischen Kulturraum, aber auch aus dem Balkan mitgebracht. Im Vergleich zur westlichen Musik ist der Flamenco schon sehr komplex."
Guille lacht. Dann kehrt er zu seinen Schülern zurück. Dort tanzen bereits vier Bailaoras, seine Schüler begleiten sie auf den Cajónes.