Burkhard Müller-Ullrich: Wer den "Perlentaucher" nicht kennt, der hat entweder mit Kultur nichts zu tun oder keinen Internetanschluss. Für alle anderen ist der "Perlentaucher" Pflichtlektüre, denn er erspart seinen Lesern eine Menge Zeit. Jeden Tag, den der Herrgott werden lässt, fassen fleißige Frühaufsteher die Feuilletonartikel der wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen so zusammen, dass man zumindest weiß, was man alles nicht unbedingt lesen muss. Aber natürlich präsentieren Thierry Chervel und seine Mitarbeiter auch ein paar Perlen. Sie tun das übrigens nicht nur mit Feuilletonartikeln, sondern auch mit Beiträgen aus internationalen Wochenmagazinen sowie - und jetzt beginnt das Drama - mit Buchrezensionen. Letztere sind Gegenstand eines Gerichtsprozesses, den die "Frankfurter Allgemeine" und die "Süddeutsche" gegen den "Perlentaucher" angestrengt haben und der heute mit einem Sieg des "Perlentaucher" vor dem Frankfurter Landgericht endete. Glückwunsch, Thierry Chervel!
Thierry Chervel: Danke. Guten Abend.
Burkhard Müller-Ullrich: Bei dem Prozess ging es darum, dass Sie gewisse Inhalte aus den Tageszeitungen zusammenfassen und dann an kommerzielle Kunden wie zum Beispiel den Internetbuchhändler buecher.de weiter verkaufen. Das fanden die FAZ und SZ anstößig, weil sie an dem Deal gar nicht beteiligt sind. Haben sie damit nicht ein bisschen Recht, im moralischen Sinne zumindest?
Chervel: Kein bisschen. Was wir machen, ist ja im Grunde nichts anderes als das, was die Zeitungen auch tun. Wir machen Berichterstattung. Wir machen Berichterstattung über Berichterstattung. Wir bewegen uns damit zugegebenermaßen auf der dritten Ebene, denn auch die Zeitungen sind ja schon sekundär, wenn sie Bücher besprechen. Aber wir machen von der Wesensart her nichts anderes.
Müller-Ullrich: Aber der Inhalt "Presseschau" beruht doch auf dem Material, das Sie da in den Zeitungen finden.
Chervel: Klar, wie jede Romankritik auf dem Roman beruht, der da besprochen wird.
Müller-Ullrich: Gut, und dann geht es um das Zitatsrecht vermutlich: Wie viel darf man davon dann wörtlich, wie viel muss man in übertragenem Sinne zusammenfassen.
Chervel: Ja, wobei die Gegenseite nicht so sehr Urheberrechtlich argumentiert hat, da kamen zwar auch einige Argumente, sondern wettbewerbsrechtlich. Also die Klageschrift sagte ausdrücklich, der "Perlentaucher" sei ein für sich genommen kulturell wertvoller Dienst, aber er solle die Rezensionsnotizen, die er macht zu den Rezensionen der FAZ, der "Süddeutschen", aber auch anderer Zeitungen, die nicht geklagt haben, diese Rezensionsnotizen, die sollen wir nicht weiter vertreiben an Internetbuchhändler. Das finden wir aber absurd, weil wenn wir das auf unser eigenen Seite tun dürfen, warum sollen wir das nicht auch weiter vertreiben. Warum sollen wir nicht versuchen, von unserer Arbeit auch zu leben?
Müller-Ullrich: Dieses "kulturell wertvoll", dieses Prädikat, was Ihnen da immer zugehalten wird, das heißt ja im Grunde, Sie sind die Guten. Sie sind ja sehr beliebt. Sie machen ja auch Werbung für die Zeitungen im Grunde.
Chervel: Genau. Darum bestätigt dieses Urteil auch wirklich unser natürliches Rechtsempfinden und auch die Auffassung von unserer Arbeit. Denn der "Perlentaucher" weiß ja, dass er beruht auf der Leistung und der Qualität der Arbeit der Zeitungen. Und seine Idee ist es ja, auf diese Arbeit zu verweisen. Auch übrigens indem wir immer, wenn wir können Links setzen auf die Originalartikel. Und so gesehen erschien mir die Klage auch absurd. Also oft ist es ja so, dass wir überhaupt erst den Hinweis darauf geben, dass die FAZ oder die "Süddeutsche" ein Buch oder so besprochen haben, weil sonst gar keine andere Spur im Internet bleiben würde.
Müller-Ullrich: Aber jetzt befürchten die Zeitungen Abriebeffekte der Art, dass man eben nur den "Perlentaucher" liest und nicht mehr das originale Produkt SZ oder FAZ, was ja zeigt, dass Sie immer größer werden. Immer größer, immer wichtiger, man liest den "Perlentaucher" und spart sich dadurch eine Menge anderes.
Chervel: Das ist schön und nett, dass Sie das von uns denken. Ich glaube, es zeigt aber auch ein kleines bisschen die Verunsicherung der Zeitungen angesichts dieses neuen Mediums - es ist eigentlich mehr als ein Medium - Internet. Ich glaube, dass im Grunde ihre Klage zeigt, dass die Zeitungen schlechter von sich denken, als wir, als der "Perlentaucher" selbst. Die Zeitungen denken, wir würden ihre Artikel überflüssig machen. Das halten wir für völlig absurd. Wie gesagt, wir verweisen auf die Artikel. Wir regen an, diese Artikel zu lesen.
Müller-Ullrich: Aber der "Perlentaucher" ist eben eine Erfolgsstory. Und das macht langsam, langsam ein bisschen Angst. Sie haben ganz klein angefangen, so als ein Goodwill-Projekt mit viel Idealismus. Ich glaube auch unbezahlt erstmal. Und mittlerweile ist der "Perlentaucher" zu einer, ja, kann man sagen gefürchteten Institution geworden? In welche Richtung geht das noch weiter dann?
Chervel: Na ja, gefürchtete Institution ist ein bisschen viel gesagt. Wenn die Zeitungen jetzt behaupten, wir würden irgendwie ihre Geschäfte schädigen oder ähnliches, muss man doch immer auch im Kopf behalten, dass diese Zeitungen sicherlich insgesamt einen tausendfach größeren Umsatz haben als wir.
Müller-Ullrich: Na ja, vom Umsatz her klar. Aber von der Feuilleton-Wahrnehmung her vielleicht ist es schon bedeutend, ob man im "Perlentaucher" vorkommt, oder nicht.
Chervel: Klar. Was der "Perlentaucher" macht - aber das macht er in seiner Feuilleton-Rundschau mehr als in seiner Bücherrundschau - ist natürlich zu sagen, was in der Zeitung steht in gewisser Hinsicht. Wir hierarchisieren noch einmal neu, was in den Zeitungen bereits hierarchisiert wurde. Das durchkreuzt manchmal auch bestimmte Strategien oder Insiderspielchen, die in den Feuilletons oder zwischen Feuilletons gespielt werden. Und darum sind wir zwar bei den Kollegen sehr beliebt, aber nicht immer bei den Hierarchen.
Müller-Ullrich: Es kommt der Tag, ich sage es Ihnen voraus, da stehen alle an, um bei Ihnen überhaupt vorkommen zu dürfen, Thierry Chervel. Das war einer der Gründer des Onlinedienstes perlentaucher.de. Vielen Dank für das Gespräch.
Chervel: Danke.
Thierry Chervel: Danke. Guten Abend.
Burkhard Müller-Ullrich: Bei dem Prozess ging es darum, dass Sie gewisse Inhalte aus den Tageszeitungen zusammenfassen und dann an kommerzielle Kunden wie zum Beispiel den Internetbuchhändler buecher.de weiter verkaufen. Das fanden die FAZ und SZ anstößig, weil sie an dem Deal gar nicht beteiligt sind. Haben sie damit nicht ein bisschen Recht, im moralischen Sinne zumindest?
Chervel: Kein bisschen. Was wir machen, ist ja im Grunde nichts anderes als das, was die Zeitungen auch tun. Wir machen Berichterstattung. Wir machen Berichterstattung über Berichterstattung. Wir bewegen uns damit zugegebenermaßen auf der dritten Ebene, denn auch die Zeitungen sind ja schon sekundär, wenn sie Bücher besprechen. Aber wir machen von der Wesensart her nichts anderes.
Müller-Ullrich: Aber der Inhalt "Presseschau" beruht doch auf dem Material, das Sie da in den Zeitungen finden.
Chervel: Klar, wie jede Romankritik auf dem Roman beruht, der da besprochen wird.
Müller-Ullrich: Gut, und dann geht es um das Zitatsrecht vermutlich: Wie viel darf man davon dann wörtlich, wie viel muss man in übertragenem Sinne zusammenfassen.
Chervel: Ja, wobei die Gegenseite nicht so sehr Urheberrechtlich argumentiert hat, da kamen zwar auch einige Argumente, sondern wettbewerbsrechtlich. Also die Klageschrift sagte ausdrücklich, der "Perlentaucher" sei ein für sich genommen kulturell wertvoller Dienst, aber er solle die Rezensionsnotizen, die er macht zu den Rezensionen der FAZ, der "Süddeutschen", aber auch anderer Zeitungen, die nicht geklagt haben, diese Rezensionsnotizen, die sollen wir nicht weiter vertreiben an Internetbuchhändler. Das finden wir aber absurd, weil wenn wir das auf unser eigenen Seite tun dürfen, warum sollen wir das nicht auch weiter vertreiben. Warum sollen wir nicht versuchen, von unserer Arbeit auch zu leben?
Müller-Ullrich: Dieses "kulturell wertvoll", dieses Prädikat, was Ihnen da immer zugehalten wird, das heißt ja im Grunde, Sie sind die Guten. Sie sind ja sehr beliebt. Sie machen ja auch Werbung für die Zeitungen im Grunde.
Chervel: Genau. Darum bestätigt dieses Urteil auch wirklich unser natürliches Rechtsempfinden und auch die Auffassung von unserer Arbeit. Denn der "Perlentaucher" weiß ja, dass er beruht auf der Leistung und der Qualität der Arbeit der Zeitungen. Und seine Idee ist es ja, auf diese Arbeit zu verweisen. Auch übrigens indem wir immer, wenn wir können Links setzen auf die Originalartikel. Und so gesehen erschien mir die Klage auch absurd. Also oft ist es ja so, dass wir überhaupt erst den Hinweis darauf geben, dass die FAZ oder die "Süddeutsche" ein Buch oder so besprochen haben, weil sonst gar keine andere Spur im Internet bleiben würde.
Müller-Ullrich: Aber jetzt befürchten die Zeitungen Abriebeffekte der Art, dass man eben nur den "Perlentaucher" liest und nicht mehr das originale Produkt SZ oder FAZ, was ja zeigt, dass Sie immer größer werden. Immer größer, immer wichtiger, man liest den "Perlentaucher" und spart sich dadurch eine Menge anderes.
Chervel: Das ist schön und nett, dass Sie das von uns denken. Ich glaube, es zeigt aber auch ein kleines bisschen die Verunsicherung der Zeitungen angesichts dieses neuen Mediums - es ist eigentlich mehr als ein Medium - Internet. Ich glaube, dass im Grunde ihre Klage zeigt, dass die Zeitungen schlechter von sich denken, als wir, als der "Perlentaucher" selbst. Die Zeitungen denken, wir würden ihre Artikel überflüssig machen. Das halten wir für völlig absurd. Wie gesagt, wir verweisen auf die Artikel. Wir regen an, diese Artikel zu lesen.
Müller-Ullrich: Aber der "Perlentaucher" ist eben eine Erfolgsstory. Und das macht langsam, langsam ein bisschen Angst. Sie haben ganz klein angefangen, so als ein Goodwill-Projekt mit viel Idealismus. Ich glaube auch unbezahlt erstmal. Und mittlerweile ist der "Perlentaucher" zu einer, ja, kann man sagen gefürchteten Institution geworden? In welche Richtung geht das noch weiter dann?
Chervel: Na ja, gefürchtete Institution ist ein bisschen viel gesagt. Wenn die Zeitungen jetzt behaupten, wir würden irgendwie ihre Geschäfte schädigen oder ähnliches, muss man doch immer auch im Kopf behalten, dass diese Zeitungen sicherlich insgesamt einen tausendfach größeren Umsatz haben als wir.
Müller-Ullrich: Na ja, vom Umsatz her klar. Aber von der Feuilleton-Wahrnehmung her vielleicht ist es schon bedeutend, ob man im "Perlentaucher" vorkommt, oder nicht.
Chervel: Klar. Was der "Perlentaucher" macht - aber das macht er in seiner Feuilleton-Rundschau mehr als in seiner Bücherrundschau - ist natürlich zu sagen, was in der Zeitung steht in gewisser Hinsicht. Wir hierarchisieren noch einmal neu, was in den Zeitungen bereits hierarchisiert wurde. Das durchkreuzt manchmal auch bestimmte Strategien oder Insiderspielchen, die in den Feuilletons oder zwischen Feuilletons gespielt werden. Und darum sind wir zwar bei den Kollegen sehr beliebt, aber nicht immer bei den Hierarchen.
Müller-Ullrich: Es kommt der Tag, ich sage es Ihnen voraus, da stehen alle an, um bei Ihnen überhaupt vorkommen zu dürfen, Thierry Chervel. Das war einer der Gründer des Onlinedienstes perlentaucher.de. Vielen Dank für das Gespräch.
Chervel: Danke.