Archiv


Persönliche Erfahrungsberichte des Ausgegrenztseins

Dass eine deutsche Sozialisation, hohe Bildungsabschlüsse und beruflicher Erfolg nicht automatisch Anerkennung bedeuten, ist eine Erfahrung, die die drei Journalistinnen Alice Bota, Khue Pham und Özlem Topcu teilen. In ihrem Buch "Wir neuen Deutschen" berichten sie von den Erlebnissen, die dazu führten, dass sie sich in Deutschland fremd fühlen.

Von Sabine Pamperrien |
    "Wir neuen Deutschen" heißt das Buch von drei deutschen Journalistinnen mit Migrationshintergrund. Özlem Topcu stammt aus einer türkischen Arbeiterfamilie. Alice Bota hinwiederum ist die Tochter polnischer Akademiker. Und Khue Pham wuchs als Kind vietnamesischer Einwanderer in einem bildungsbürgerlichen Milieu auf. Das Buch der drei Frauen war schon in Arbeit, als Thilo Sarrazin vor zwei Jahren seine provokanten Thesen zur Zuwanderung publizierte. Indes: Das Feindbild des SPD-Politikers und seiner Apologeten verkörpern die Autorinnen gewiss nicht. Sie sprechen perfekt deutsch und haben akademische Abschlüsse. Als politische Redakteurinnen der Wochenzeitung "Die Zeit" gehören alle drei zu dem, was man landläufig "deutsche Bildungselite" nennt. Es war ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, selbst Sohn italienischer Einwanderer, der sie darin bestärkte, ein Buch über die schwierige Identitätsfindung von Einwandererkindern zu schreiben. Der Wirbel um Sarrazin und die Richtung, die die Diskussion nahm, schreckten die Autorinnen zunächst ab. Alice Bota:

    "Der Diskurs, wie er fortan geführt worden ist, hat uns regelrecht erschreckt, die Vehemenz und auch die Wut, die deutlich wurde in einer breiten Mittelschicht. Wir entschlossen uns dann erst recht, dieses Buch zu schreiben, das wir nicht als eine Antwort auf Herrn Sarrazin begriffen. Sondern wir wollten eine Perspektive deutlich machen, die in diesem Diskurs, in dem Reden über Migranten und Migrantenkinder, wie wir es sind, untergeht."

    Diese Perspektive ist die des Ausgegrenztseins. Ausgrenzung erfahren, so die Autorinnen, auch diejenigen, die wie sie selbst die Anforderungen der viel zitierten Leistungsgesellschaft längst erfüllt haben. Solche Leistungsträger mit Migrationshintergrund spielten in der aufgeheizten Debatte bisher kaum eine Rolle. Sehr persönlich berichten die drei Frauen von den Erlebnissen und Erfahrungen, die dazu führten, dass sie sich in Deutschland fremd fühlen. Alle drei Autorinnen listen zahlreiche selbst erlebte Beispiele von Intoleranz und Borniertheit auf.

    "Jede von uns erlebte irgendwann Geschichten, die bloßlegten, wer in Deutschland als fremd gilt und was es heißt, fremd zu sein. Meistens traf es unsere Eltern. Da wurde die türkische Mutter in einem Geschäft nicht bedient, weil sie gebrochenes Deutsch sprach. Da sagte ein Kollege zu dem polnischen Vater, er würde am liebsten die ganzen Polacken über den Haufen schießen, weil sie den Deutschen die Arbeitsplätze wegnähmen. In diesen Geschichten schwingt eine Ablehnung mit, die auch uns trifft."

    Man hat das anderswo schon ähnlich gehört und gelesen. Im Frühjahr erschien Martin Hyuns von Wladimir Kaminer inspirierter Erfahrungsbericht als – in Anführungsstrichen -"südkoreanischer" Deutscher unter Deutschen. Der frühere Eishockey-Nationalspieler hatte mit seinem internationalen Politikstudium weniger Glück als Bota, Topcu und Pham. Als er sich für den diplomatischen Dienst bewarb, wurde seine Loyalität gegenüber Deutschland angezweifelt, schreibt er. Auch Hyun geht es nicht um die Reflexe des Pöbels von Rostock und Solingen oder Sarrazins Thesen. Seine Erfahrungen decken sich mit denen der drei Journalistinnen. Deutsche Sozialisation, deutsch als Muttersprache, hohe Bildungsabschlüsse und beruflicher Erfolg führen noch längst nicht zur Anerkennung als vollwertige Deutsche. Daraus ist ein Selbstverständnis als "neue" Deutschen erwachsen, das Alice Bota so beschreibt:

    "Es ist kein Pass, der jemanden zum neuen Deutschen macht. Es ist nicht sein Erfolg oder das Ergebnis eines Einbürgerungstests – es ist ein Selbstbewusstsein, das wir genährt haben aus Wut und Stolz. Wut, weil wir das Gefühl haben, außen vor zu bleiben; weil es ein deutsches WIR gibt, das uns ausgrenzt. Und Stolz, weil wir irgendwann beschlossen haben, unsere eigene Identität zu betonen."

    Zu dieser Identität gehört die Kultur der Eltern. Das nicht akzeptieren zu können, halten die Autorinnen für das entscheidende Manko der deutschen Gesellschaft. Sie wünschen sich Respekt vor der Lebensleistung der Zuwanderer und den Verlusten etwa an Heimat, Freunden und Familien, die sie in Kauf nahmen, um in Freiheit und Sicherheit zu leben. Daran, dass Deutschland ihr Land ist, lassen die Autorinnen keinerlei Zweifel. Die Pflege familiärer Kontakte bedeute nicht, dass die Heimat der zugewanderten Eltern auch die Heimat der Kinder ist, wie Deutsche gern behaupten.

    "Wir leihen uns die Heimat unserer Eltern, weil wir wissen, dass wir dort Besucher sind. Wir reden vor der vietnamesischen Großmutter nur nach Aufforderung. Wir bringen dem türkischen Onkel den Tee und gehen mit der polnischen Cousine in die Messe. Man will uns hier treffen, sprechen und einladen. Wir sind keine Eindringlinge, sondern Ehrengäste."

    Fremde aber sind sie auch dort. Zwischen den Zeilen dieses Buchs ist zu lesen, dass es für alle drei nicht leicht war, ihre Herkunft als Bereicherung und nicht als Mangel zu betrachten, wie das deutsche Umfeld suggeriert. Alice Bota musste die Sprache ihrer Eltern neu lernen, um sich ihre polnische Seite zu erschließen. Erst diese bewusste Rückbindung auch mit den Orten der Kindheit ließ sie mit sich ins Reine kommen. Ihre Co-Autorinnen leben ebenso beide Kulturen. Assimilation, wie sie Einwanderern zuweilen abgefordert wird, lehnen sie ab, wie Alice Bota betont:

    "Mir ist es wichtig, dass, wenn auf einer politischen Ebene über Integration gesprochen wird, nicht Assimilation gemeint wird. Weil ich glaube, dass es keine Bedrohung für eine Gesellschaft ist, wenn jemand einen Teil aus seiner alten Kultur pflegt. Es kann sogar sehr wichtig sein, dass man diesen anderen Teil pflegt, weil diese zwei Herkünfte schwierigere Identitätsfragen an einen Menschen stellen als wenn man in Bayern geboren ist oder in Baden-Württemberg."

    Das Buch ist fast bis zur Schmerzgrenze persönlich. Da, wo die Autorinnen versuchen, die Haltung der Deutschen aus der problematischen Aufarbeitung des Dritten Reichs herzuleiten, ist es viel zu oberflächlich. Möglicherweise ist sogar die Heimat, die die drei jungen Frauen suchen, ein Phantom. Das von ihnen empfundene Unbehaust-Sein könnte auch ein Generationsproblem sein. Doch wollen die drei Journalistinnen ja keine abschließenden Urteile fällen, sondern eine Diskussion anregen. Immerhin gibt es in Deutschland 16 Millionen neue Deutsche. Es lohnt sich also für die Selbstverständigung der deutschen Gesellschaft, die beschriebene Ausgrenzung zu ergründen.

    Alice Bota, Khue Pham, Özlem Topcu: Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen
    Rowohlt Verlag, 176 Seiten, 14,95 Euro
    ISBN: 978-3-498-00673-0