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Persönlichkeitsstörungen

Es gibt kaum eine fester gefügte psychische Krankheit als eine Persönlichkeitsstörung. Nicht ein Charakterzug, sondern die ganze Person eines Menschen galt als Krank - und eigentlich als unheilbar. Doch langsam ändert sich das Bild. Eine Diagnose im Jugendalter scheint möglich, Heilungen Erfolg versprechend.

Von Sönke Gäthke |
    Wer hinter jeder Bemerkung eine Verschwörung wittert, stets mitleidlos nur den eigenen Vorteil verfolgt oder sich selbst als Mittelpunkt der Welt sieht, der könnte an einer sogenannten Persönlichkeitsstörung leiden. So bezeichnen Mediziner tiefgreifende Störungen im Kern des Menschen, seiner Persönlichkeit. Und haben eine Reihe von bestimmten, fest gefügten Mustern definiert, die die verschiedenen Formen dieser Störung beschreiben, wie etwa paranoide, antisoziale, narzisstische oder Borderline Persönlichkeit. Mit Hilfe von ausführlichen Gesprächen und umfangreichen psychologischen Tests stellen sie die Diagnose. Doch diese fest gefügte Welt gerät ins Wanken, sagt Kathrin Sevecke, Kinderpsychaterin am Universitätsklinikum in Köln.

    "Ich spreche lieber davon, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften mehr oder weniger ausgeprägt sind, und das bildet eine dimensionale Sichtweise ab, wir haben keinen gewissen Cut-Off Punkt, also ab wann man sagen kann, eine Persönlichkeitsstörung ist zu viel oder zu wenig und ist damit störungsbedingt. "

    Zu diesen Persönlichkeitseigenschaften zählen die Forscher zunächst die Extraversion. Darunter verstehen die Ärzte zum Beispiel die Fähigkeit, mit anderen Menschen zu reden. Dann die Verträglichkeit - kann sich der Patient in andere Einfühlen, hat er Mitleid, oder nicht. Mit Offenheit bezeichnen die Mediziner die Fähigkeit, neue Erfahrungen zu machen, mit Gewissenhaftigkeit die Fähigkeit, Aufgaben sorgfältig zu erledigen. Und schließlich umschreiben sie mit dem Begriff Neurotizismus, inwieweit andere Menschen ein Belastung für den Patienten sind. Das sind, so Kathrin Sevecke

    "
    Die big five - das sind fünf Persönlicheitseigenschaften, wo man sagen kann, die fünf finden sich in unterschiedlicher Ausprägung in jeder Persönlichkeit. (...) "

    Warum sich diese Eigenschaften mal stärker, mal schwächer sind, und warum und ab wann eine davon so stark ausgeprägt ist, dass es sich um eine Störung handelt, dafür lässt sich keine allgemeingültige Regel aufstellen. Mediziner sehen traumatische Erlebnisse, Vernachlässigung, aber auch Veranlagung als mögliche Ursachen an. Auch ab wann eine Persönlichkeit überhaupt so weit "fertig" ist oder fest strukturiert, dass man von einer Störung sprechen kann, ist umstritten. Ein Teil der Wissenschaftler geht davon aus, dass erste Spuren bereits im Kindesalter zu erkennen sind. Kathrin Sevecke ist da vorsichtiger.

    "Weil die Forschungslage in der Kindheit noch sehr unübersichtlich ist und das ist sehr weit gegriffen, da würd ich auch sagen, da können wir eher auffällige Persönlichkeitszüge, auffällige Temperatmenteigenschaften auffällige Charaktere von Kindern beschreiben, im Jugendalter gibt es ja schon eher eine stabile Persönlichkeit, die sich nicht mehr stärker verändert als im Erwachsenenalter. "

    Bis jetzt ging die Forschung auch weitgehend davon aus, dass Persönlicheitsstörung nicht heilbar seien - einmal gefestigt, würden sie bleiben. Zu Unrecht, so die Forscherin. Denn die Persönlichkeit eines Menschen verändert sich während seines Lebens weiter. Erst ab Fünfzig werden Veränderungen seltener, ab Siebzig kommen sie fast gar nicht mehr vor. Und ähnliches gilt auch von den Störungen.

    "Persönlichkeitsstörungen sind gar nicht so stabil, wie man früher immer annahm. Dass ist eine neue Erkenntnis, und eine Erkenntnis, die sich noch nicht so weit verbreitet hat, Persönlichkeitsstörungen sind nicht in 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit in zwei Jahren genauso vorhanden wie zum Ausganszeitpunkt der Krankheit. "

    Borderline zum Beispiel kann auch ohne Behandlung mit der Zeit abnehmen, zeigen Langzeitstudien. Und wenn sich Persönlichkeitsstörungen von selbst verändern, dann können sie auch behandelt werden - je früher, desto besser. Auch wenn das sehr aufwändig ist.