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Persona non grata

Sympathie für Hitler und Abscheu vor Israel - für seine Auslassungen auf dem Filmfestival von Cannes hat Regisseur Lars von Trier einen Platzverweis kassiert. Sein Film darf im Wettbewerb bleiben, doch als Palmen-Favorit taugt er wohl kaum noch. Eine Rolle, die vielleicht Aki Kaurismäkis "Le Havre" übernimmt.

Josef Schnelle im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: War es ein Fauxpas, ein misslungener Witz, der Fehltritt eines ohnehin als überaus exzentrisch und zumindest in seinen Filmen als extrem provokativ verschrienen Filmemachers? Oder waren es unakzeptable Äußerungen über Hitler und die eigene, nur vermeintlich jüdische Abstammung?
    Jedenfalls: Cannes hat seinen Skandal, Lars von Trier ist rausgeflogen an der Croisette, oder was immer Persona non grata in Filmkreisen heißt. Bevor wir die Sache bewerten, hier noch mal die wesentliche Passage aus der Pressekonferenz. Die Frage zuvor war die nach seinen deutschen Wurzeln gewesen.

    Lars von Trier: "I really wanted to be a Jew, and then I found out that I was really a Nazi, because my family was German, Hartmann, which also gave me some pleasure. So, what can I say? I understand Hitler, but I think, he did some wrong things, absolutely, but I can see him sitting in his bunker in the end. But there will come a point at the end of this. Now I'm just saying that I think, I can understand the man. He is not what you would call a good guy. Yeah, I understand much about him. I might sympathize with him a little bit, yes. But, come on, not ... I'm not for the second World War. And I'm not against Jews. I am of course very much for Jews. No, not too much, because Israel is a pain in the ass. ... But still ... how can I get out of this sentence?"

    Übersetzung: "Ich wollte wirklich ein Jude sein, und dann fand ich heraus, dass ich wirklich ein Nazi bin. Denn meine Familie war deutsch– Hartmann – und das hat mir auch Vergnügen bereitet. Was kann ich sagen? Ich verstehe Hitler. Aber ich denke, er tat ein paar falsche Dinge - klar, aber ich kann ihn sehen, wie er da im Bunker saß. ... Ich glaube, ich verstehe ihn. Er ist kein guter Mensch – aber ich verstehe viel von ihm und sympathisiere mit ihm ein bisschen. Das heißt nicht, dass ich für den Zweiten Weltkrieg bin. Und ich bin nicht gegen Juden. Ich bin natürlich sehr für Juden – nein, nicht zu viel. Denn Israel ist eine Plage. ... Okay, wir komme ich aus diesem Satz wieder raus?"

    Fischer: Lars von Trier redet sich um Kopf und Kragen in Cannes. - Die Sache ging dann noch ein bisschen weiter und endete mit diesem berühmten: "Okay, I am a Nazi" und mit einem großen Lacher der Journalisten. Gestern gab es also noch keinen Skandal. - Unseren Filmkritiker Josef Schnelle habe ich Nachmittags zwischen zwei Filmvorstellungen in Cannes erreicht und ihn gefragt, warum es heute einen gibt.

    Josef Schnelle: Ja, natürlich durch die Reaktion der Festival-Leitung. Die hat zuerst moderat reagiert und hat ihn aufgefordert, sich zu entschuldigen, und erklärt, dass das Festival keine Plattform für derartige Ideen und Gedanken sein soll, missbraucht werden soll für rassistische Äußerungen, und Lars von Trier hat sich entschuldigt mit der Bemerkung, ja, er sei es nicht gewohnt, vor so vielen Journalisten zu sprechen, das hätte ihn ganz krank gemacht. Das war die Entwicklung gestern.

    Und jetzt gab es dann ja plötzlich die Entwicklung, dass das Festival ihn zur Persona non grata erklärt hat. Da werden andere Instanzen des Festivals beteiligt gewesen sein, wie bei dieser ersten Erklärung. Das weiß man immer nicht, was hinter den Kulissen da genau vorgeht. Jedenfalls ist der Film jetzt raus und kann auch keine Goldene Palme mehr bekommen. Dabei sah es kurz danach aus, dass er es hätte werden können.

    (Anm. d. Red.: Inzwischen hat die Festivalleitung klargestellt, dass der Film im Wettbewerb bleibe, nur Regisseur Lars von Trier wird des Festivals verweisen.)

    Fischer: Der "Hollywood-Reporter" hat das vielleicht auch mit hochgezogen mit einem Vergleich von Triers mit Mel Gibson und dessen antisemitischen Äußerungen. In den USA ist so etwas ja in der Tat ein Karrierekiller, auch bei Regisseuren. Was bedeutet diese harte Reaktion jetzt für den Fortgang der Festspiele? Sie haben schon gesagt, Lars von Triers Film galt als Favorit.

    Schnelle: Ja! Das muss man mal abwarten. Es gibt ja zum Beispiel eine Jury und die will sich vielleicht nicht vorschreiben lassen, was sie wie bewerten soll, und wird da vielleicht noch drauf reagieren. Das kann noch ganz groß hier werden. Ich habe das auch noch nie erlebt. Es gab auch die Skandale hier eigentlich immer nur, entweder weil jemand auf dem Roten Teppich nicht ordentlich angezogen war, oder weil bei der Schlussveranstaltung irgendwie jemand traurig war, den Preis nicht bekommen zu haben, und so etwas habe ich wirklich noch nicht erlebt. Wir alle finden, also hier das Journalisten-Korps findet diese Reaktion total überzogen, so wie das gestern aussah mit dieser Entschuldigung, und ein bisschen Kopfschütteln, dass der hier seinen eigenen Film beschädigt. Das hätte man doch da gut sein lassen können.

    Fischer: Wie bewerten Sie die ganze Sache? Wer hat da daneben gegriffen, und ist es nicht vielleicht auch der Person Lars von Triers zuzuschreiben, die ja ganz hörbar um all diese Fettnäpfchen nicht herummarschiert ist, sondern in sie hinein?

    Schnelle: Er hat sich da dumm benommen, aber so eine Pressekonferenz vor der gesamten Weltpresse - da sitzen tausend Leute drin und 3000 gucken das übers Internet noch -, da kann man schon nervös werden. Und viele Filmemacher haben sich eigentlich zugelegt, dass sie so ein Witzchen machen, und er kann es halt nicht. Aber vielleicht mal zum Vergleich: Aki Kaurismäki, der mit seinem Film "Le Havre" hier war, der hat in der Pressekonferenz sich auf diese Weise ins Fettnäpfchen getraut.

    Da ging es darum, warum er "La Havre" - so heißt der Film -, also die Stadt genommen hat, und er sagt, das ist die einsamste Stadt der Welt, so einsam wie er sich fühlt, es sei denn, man ist in Cannes, da fühlt man sich noch einsamer. Also das ist ja auch so ein Versuch, so einen kleinen Entlastungs-Joke zu machen. Das hat durchaus eine gewisse Tradition.

    Lars von Trier hat natürlich einen Ruf als Provokateur, aber doch eher auf der Leinwand, in seinen Filmen. Eigentlich sagt er manchmal irgendwie komische Sachen und macht aber noch viel komischere Sachen in den Filmen. Ich bin trotzdem fassungslos.

    Fischer: Dann lassen Sie uns über das eigentliche reden, nämlich über den Film. Aki Kaurismäki haben Sie schon erwähnt und "Le Havre". Worum geht es darin?

    Schnelle: Das ist eine Emigrantengeschichte, und es gibt Helfer in "Le Havre", die da einem kleinen schwarzen Jungen es ermöglichen, nach England zu seiner Familie zu kommen, und das ist wie immer bei Aki Kaurismäki durchaus hintergründig schlitzohrig. Es ist aber auch großartig gefilmt und hat so diese Klarheit eines Kinderbilderbuchs. Das ist also was ganz anderes wie Lars von Trier, der zwar großartig, aber auch in irgendwie pompösen Bildern das Kino zu erobern versucht. Aki Kaurismäki macht das auf seine kleine präzise Art und dieser Film ist jetzt plötzlich in die Favoritenrolle gewachsen.

    Fischer: Weil Sie "pompös" sagten: Terrence Malick wollte Stanley Kubrick nacheifern und "2001 - Odyssee im Weltraum" sozusagen nachahmen und hat einen Filmanfang hingelegt, über den die Kritikseite heftigst debattiert. War das nun echte Filmkunst oder war das nur Kitsch, der Anfang von "The Tree of Life"?

    Schnelle: Ja, das ist immer so eine schmale Grenze mit dem Kitsch. Es gibt eine 18-Minuten-Passage in diesem Film, wo man alle möglichen Strukturen sieht und alle möglichen Glückssymbole, bis hin zu den Sonnenblumen, und dann kommt die eigentliche Geschichte, es ist eine Vater-Sohn-Geschichte, und am Schluss kommt noch mal so eine Passage. Das ist schon großartig gefilmt oder auch später so digital aufbereitet. Dazu hört man so leise flüsternd Passagen aus der Genesis und man fragt sich eigentlich, ob das wirklich so sein muss. Also mir persönlich hat das nicht gefallen.

    Fischer: Josef Schnelle mit neuen Filmen und mit einer Einschätzung des Skandals in Cannes. - Und eine kleine Korrektur an dieser Stelle: von Triers Film wurde nicht aus dem Wettbewerb ausgeschlossen. Das teilte das Festival spät nachmittags mit. - Das Dänische Filminstitut DFI hat Lars von Trier heute auch den Rücken gestärkt. Man werde seine Filme weiter fördern und im Übrigen könne man in der Branche zwischen dem unterscheiden, was ein Regisseur sage und welche Qualität seine Projekte hätten. - Lars von Trier selbst hat unterdessen seinen Ausschluss vom Festival akzeptiert. Der Bann gilt nur in diesem Jahr.