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Personaldebatte aus portugiesischer Sicht

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kann sich seiner angestrebten zweiten Amtszeit nicht mehr sicher sein. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, bisher ein Befürworter Barrosos, hat seine Unterstützung in Frage gestellt. Barroso habe durch übertriebene Liberalisierung der Märkte die Finanzkrise mitverursacht. Bei deren Bekämpfung wiederum sei er zu zögerlich, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus dem Élysée-Palast in Paris. Ganz anders sein Stand bei seinen Landsleuten.

Von Marc Koch | 04.03.2009
    Er liebt den deutschen Karneval - und zieht sogar politische Lehren aus ihm: Beim Rosenmontagszug in Köln wurde José Manuel Durão Barroso von einem fliegenden Schokoriegel voll auf die Nase getroffen. Dem Gesichtsausdruck des Kommissionspräsidenten nach muss es ziemlich wehgetan haben - was seiner Einsicht aber keinen Abbruch tat: "Die erste Reihe kann schon ein bisschen gefährlich sein", sagte Barroso tapfer.

    Vor allem für einen, der unbedingt in diese Reihe wollte, aber doch eher Verlegenheitskandidat war. Hätte der Luxemburger Jean-Claude Junker 2004 nicht abgewunken, wäre der heute 53-jährige Portugiese wohl nicht Präsident der EU-Kommission geworden. So aber verließ er Hals über Kopf seinen Job als Regierungschef in Lissabon und ging nach Brüssel. Dort schloss er eine Lücke, während er zuhause eine hinterließ, die seine liberal-konservative Partei die Wahlen kostete.

    "Er hat Portugal in die größte Krise gestürzt, die es je gegeben hat. Er ist geflohen, weil er wusste, welche Konsequenzen das haben würde."

    Der Mann meint Barrosos knallharten Sparkurs, mit dem er als Ministerpräsident das Land in den EU-Stabilitätspakt zwang - erfolgreich zwar, aber nicht eben populär. Doch der studierte Jurist und Wirtschaftswissenschaftler hat im Lauf seiner Karriere die Vorzüge des gepflegten Pragmatismus zu schätzen gelernt.

    "Es geht nicht um ideologische Konzepte. Ich will nicht die Reichen gegen die Armen ausspielen, oder die Linken gegen die Rechten. Ich will die Probleme der Menschen lösen."

    Das hat er früher mal am ganz linken Rand versucht: Gleich nach der portugiesischen Nelkenrevolution 1974 war Durão Barroso einer der Anführer des marxistisch-leninistischen Studentenbundes. Dort allerdings waren die Karriereaussichten eher bescheiden, und der wendige Jungpolitiker landete schnell bei den portugiesischen Sozialdemokraten, die trotz ihres Namens eher liberal-konservativ orientiert sind. Parlamentsabgeordneter mit 29, Staatssekretär mit 30, Außenminister mit 36, schließlich mit 46 Ministerpräsident - und zwar einer, der alles anders machen wollte.

    "Wir brauchen neue Energien, eine neue reformerische Berufung, eine andere Einstellung."

    So viel Wechselwillen mochten in der Praxis nicht alle Portugiesen folgen - zumal Barroso schon damals nicht eben mit Führungsstärke überzeugte. Nach seinem überhasteten Abgang aus Lissabon stellt sich der Stolz seiner Landsleute auf einen portugiesischen Kommissionspräsidenten erst mit Verzögerung ein - dann aber umso heftiger: Als Barroso bei der Berufung seiner Brüsseler Mannschaft Fehler machte und zu scheitern drohte, wurde das nicht als seine persönliche Schuld gesehen.

    "Ich weiß, dass er ein guter Politiker ist. Was die Europäische Kommission und die Details angeht, da bin ich nicht auf dem Laufenden."

    Gerade in Krisenzeiten kühlt sich die Begeisterung der Portugiesen für Brüssel spürbar ab - aber dass einer von ihnen oberster Europäer ist, lässt sie nicht kalt.

    "Als Portugiese muss ich sagen, dass ich stolz darauf bin, dass ein Portugiese unser Land repräsentiert und letztendlich Europa leitet."

    Dass er das nicht immer geschickt macht, wird ihm nachgesehen. Und Durão Barroso, immer freundlich, verbindlich und viersprachig, gibt - fern von der aktuellen portugiesischen Tagespolitik - diese Zuneigung natürlich gerne zurück. Als der neue EU-Reformvertrag während der portugiesischen Ratspräsidentschaft nach einer harten Verhandlungsnacht in Lissabon endlich unter Dach und Fach war, vergaß der Kommissionspräsident mal kurz die bedeutungsvollen Worte, die er bei diesen Gelegenheiten eigentlich liebt.

    "Sie können sich vorstellen, dass ich sehr glücklich bin, dass diese Übereinkunft hier in Lissabon erreicht worden ist."

    Klar, dass ihm seine Landsleute eine Wiederwahl wünschen.

    "Ich denke, Durão Barroso als Präsident der Europäischen Kommission ist sehr wichtig für Portugal und für alle Portugiesen."

    Für eine zweite Amtszeit braucht Barroso auch Angela Merkel - weswegen seine Liebe zu Deutschland inzwischen weit über den Karneval hinausgeht.