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Personalentscheidungen bei der CSU
"Ich möchte nicht in der Haut von Markus Söder stecken"

Sehr gespalten und vor einer schwierigen Zukunft - so sieht der ehemalige Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Sigmund Gottlieb, den Zustand der CSU. Vor allem die Lage für Markus Söder als möglicher neuer Ministerpräsident sei kompliziert. "Ein guter Start für einen Nachfolger von Horst Seehofer sieht völlig anders aus", sagte Gottlieb im Dlf.

Sigmund Gottlieb im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Horst Seehofer (Ministerpräsident Bayern und CSU-Vorsitzender) mit Markus Söder (Finanzminister Bayern) im Gespräch auf dem CSU-Parteitag 2015 in München
    Horst Seehofer mit Markus Söder im Gespräch (imago / Sven Simon)
    Sarah Zerback: Wenn man nicht alles selber macht – das mag auch dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten das eine oder andere Mal durch den Kopf gegangen sein in den vergangenen Wochen, als er sich nicht so richtig festlegen wollte, wie er sich seine politische Zukunft vorstellt und wer ihm folgen könnte. Am Telefon begrüße ich jetzt Sigmund Gottlieb. Er war lange Jahre Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, ist im März in Rente gegangen, bleibt aber ein exzellenter Kenner der bayerischen Innenpolitik und auch des Innenlebens der CSU. Guten Morgen, Herr Gottlieb.
    Sigmund Gottlieb: Guten Morgen, Frau Zerback. Hallo!
    Zerback: Gestern Abend, da meinte Horst Seehofer, noch einmal schlafen, dann äußert er sich endlich. Das hat er zu Journalisten gesagt. Konnten Sie denn überhaupt schlafen vor Aufregung?
    Gottlieb: Ja, sehr gut und sehr ruhig. Ich habe mir die letzten Nachrichtensendungen noch kurz vor Mitternacht angeguckt, aber da ist natürlich auch viel inszenierte Aufregung vieler Journalisten dabei. Heute kommt jetzt in der Tat, was Sie beschrieben haben, die Stunde der Wahrheit, der ersten Wahrheit. Um 8:30 Uhr wird nämlich das Machtzentrum der CSU informiert werden, sozusagen die Landtagsabgeordneten, für die es ja um sehr viel geht, und da bin ich sehr gespannt, was Seehofer dann präsentieren wird. Denn es war ja gestern Abend auch nicht richtig klar, wie er formuliert hat und was er formuliert hat.
    "Seehofers politische Biographie ist durch nichts zu toppen"
    Zerback: Was er da von sich selbst gesagt hat ist, dass er sich nicht an seine Ämter klammert. Hat Sie diese Aussage von Horst Seehofer überrascht?
    Gottlieb: Die hat mich nicht überrascht. Man muss ja eines sagen: Er wird im nächsten Jahr 69 Jahre alt. Er hat eine politische Biographie hinter sich, die durch nichts mehr zu toppen ist. Natürlich fällt es jedem Spitzenpolitiker nicht leicht, loszulassen. Aber ich glaube, dass er sich mit dem Gedanken, einen Teil seiner politischen Verantwortung abzugeben, längst vertraut gemacht hat, und für ihn ist es jetzt entscheidend, was wird das sein. Wird es das Amt des Ministerpräsidenten sein? Wird es das Amt des CSU-Vorsitzenden sein? Ich glaube, er wird in der Tat, was ja gestern Abend auch schon durchgesickert ist, das Angebot machen, dass er nicht mehr als Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten bei der Landtagswahl im nächsten Jahr antreten wird. Das, glaube ich, wird heute so kommen.
    Sigmund Gottlieb beim VIP-Empfang der Man Doki Soulmates zu ihrem Konzert Wings of Freedom im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Berlin, 06.03.2017
    Sigmund Gottlieb (imago stock&people)
    Zerback: Den Rücktritt hatte er ja sogar schon mal vor zwei Jahren angekündigt und dann kam im April der Rücktritt vom Rücktritt, und durchaus konnte man in den vergangenen Wochen den Eindruck bekommen, der Mann will bleiben. Sie sagen jetzt aber, er klammert sich nicht an die Macht. Warum hat er das dann gemacht? Wollte er einfach Markus Söder verhindern? Ist es das?
    Gottlieb: Das muss man so sagen. Das ist eines seiner dominierenden Motive, wenn er es kann, zu verhindern, dass Markus Söder seine Nachfolge antritt, egal nun in welchem Amt. Das hat er in den letzten Jahren immer wieder versucht und das versucht er bis zum heutigen Tag. Ob ihm das gelingt, ist eher fraglich. Markus Söder hat eine sehr starke Machtposition über viele Jahre hinweg in der Partei aufgebaut. Er verfügt über ein ganz dichtes Netzwerk an Beziehungen und vor allem in der entscheidenden Landtagsfraktion, die heute Morgen ja tagt und die sich ein erstes Meinungsbild machen möchte auch durch eine geheime Abstimmung. Dort hat er ganz starke Bataillone. Aber wie gesagt, das ist das Hauptmotiv von Horst Seehofer, nach Möglichkeit Markus Söder als Nachfolger zu verhindern.
    "Kann mich nicht erinnern, dass die Lager so zerstritten waren"
    Zerback: Da kann man ja von außen betrachtet tatsächlich den Eindruck bekommen, dieser Konflikt, der ist ziemlich dramatisch zwischen den beiden. Wie gespalten ist denn Ihrer Meinung nach die CSU da wirklich?
    Gottlieb: Na ja, sie ist schon sehr gespalten. Ich erinnere mich an keine Zeit in der Geschichte dieser Partei, wo die Lager so gespalten und zerstritten waren. Für mich ist es das historische Tief der CSU. Und man muss ja auch in die Zukunft schauen. Schauen Sie, im nächsten Herbst sind Landtagswahlen und ich glaube nicht, dass es möglich ist, diesen Tiefpunkt, den man jetzt hat, noch wirklich erkennbar zu überwinden und zu neuen Höhen sich aufzuschwingen in der CSU, egal mit welchen Kandidaten, egal in welcher Kombination. Wir müssen eines sehen: Die Zeiten der absoluten Mehrheiten, die sind vorbei. Die CSU war ja die letzte Partei, die eine solche absolute Mehrheit auf sich vereinigen konnte, und die CSU hat drei Partner, die aus dem gleichen Fleisch ja mehr oder weniger sind in Bayern. Das ist einmal die FDP, das ist die AfD und das sind die Freien Wähler. Ohne einen Koalitionspartner oder möglicherweise sogar zwei im Herbst nächsten Jahres wird die CSU nicht mehr regieren können. Davon bin ich felsenfest überzeugt.
    Zerback: Die aktuellen Umfragen geben Ihnen recht. 37 Prozent, das ist der aktuelle Stand.
    Gottlieb: Ja.
    Der AfD Stimmen abnehmen wird die Kernaufgabe sein
    Zerback: Sie haben die AfD gerade erwähnt. Ausgerechnet in Bayern konnte die Alternative für Deutschland ja im Westen am meisten Stimmen holen. Muss man vielleicht auch das in diesem großen Zusammenhang sehen, dass Horst Seehofer jetzt sagt, okay, Parteichef bleibe ich, aber Ministerpräsident in Bayern, das könnte eventuell Markus Söder werden, um sich dann auch darum zu kümmern, dass der AfD wieder ein paar Stimmen abgenommen werden?
    Gottlieb: Ja gut, das ist sozusagen die positive Interpretation. Das sehe ich genauso. Das wird die Kernaufgabe der CSU in diesem Wahlkampf sein. Denn die AfD war ja lange Zeit in Bayern gar nicht so stark. Da ist es ja der CSU lange gelungen, sie einigermaßen im Zaum zu halten. Das ist bei der Bundestagswahl völlig aus dem Ruder gelaufen. Die AfD ist in Bayern sehr stark geworden und das wird die Hauptaufgabe jetzt sein.
    Das andere ist natürlich: Ich möchte nicht in der Haut von Markus Söder stecken, wenn er denn tatsächlich jetzt Anfang des Jahres antreten würde als Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Ich meine, stellen Sie sich vor: Er wird dann im Herbst mit einem Ergebnis abschneiden, das kann man jetzt schon prognostizieren, das wird maximal um die 40 Prozent liegen, möglicherweise darunter. Er wird dann Koalitionspartner suchen müssen. Ein guter Start für einen Nachfolger von Horst Seehofer sieht völlig anders aus.
    Zerback: Apropos! Wenn es denn zu diesem Szenario kommt, Horst Seehofer gemeinsam in einer Doppelspitze mit Markus Söder, dem Erzfeind – man muss es so deutlich sagen, man kann es, glaube ich, so deutlich sagen -, wie sollen die beiden denn harmonisch und zweckgerichtet zusammenarbeiten?
    Gottlieb: Gar nicht!
    Zusammenarbeit Söder/Seehofer funktioniert nicht
    Zerback: Gar nicht?
    Gottlieb: Gar nicht! Das funktioniert nicht. Das ist von Anfang an eine Konstruktion, die nicht funktionieren kann. Da zweifelt keiner in der Partei daran. Insofern ist das jetzt auch, was man hier so als eine Einigung oder als den Versuch einer Harmonisierung dieses Streites darstellt, völlig daneben, auch zum Teil in der Beurteilung vieler Journalisten. Die Konflikte brechen erst auf. Wenn man sich das vorstellt in der Geschichte der CSU.
    Ich meine, Stoiber-Waigel hat nicht geklappt, und die haben beide die Ämter neu übernommen. Hier sind es ja Ämter, die sozusagen entweder im CSU-Vorsitz bleiben, oder im Ministerpräsidentenamt dann von Söder übernommen werden in der Strecke. Bei den beiden hat es nicht funktioniert. Bei Strauß und Goppel hat es nicht funktioniert. Bei Huber und Beckstein hat es nicht funktioniert. Das waren jetzt aber nicht spinnefeinde Leute. Die konnten einigermaßen wenigstens noch miteinander. Aber hier ist ja das Terrain schon am Anfang völlig vermint und insofern ist das, wie immer es jetzt nun ausgeht, eine Konstruktion. Wenn beide in Machtpositionen jetzt sind, Seehofer, sagen wir mal, als CSU-Vorsitzender auf Zeit und Söder als Ministerpräsident, das sind Machtpositionen, die nicht miteinander funktionieren können.
    Zerback: Und mit der sich die CSU dann auch keinen Gefallen tun würde?
    Gottlieb: Keinen Gefallen, wenngleich man sagen muss, die Alternativen, die sind natürlich extrem schwierig. Wir wissen ja, Joachim Herrmann, der Innenminister, wäre der Wunschkandidat von Horst Seehofer. Ob der heute Morgen antritt gegen Markus Söder, wird man sehen. Die einen sagen ja, er tut es; die anderen sagen mir nein, er tut es nicht, weil er eigentlich auch kein Mensch ist, der den Konflikt möchte. Ich würde jetzt dazu neigen zu sagen, ja, er wird es versuchen, und dann möglicherweise nach einer Vorfestlegung heute in der Fraktion, wo es dann zwei Ergebnisse gibt – ich prognostiziere Söder ein stärkeres, Herrmann ein schwächeres -, werden sie dann auf dem Parteitag am 15. Und 16. Dezember im Grunde die Entscheidung herbeiführen müssen. Da sehen dann bei den tausend Delegierten natürlich die Mehrheitsverhältnisse zwischen Söder und Herrmann wieder etwas anders aus. Also eine ganz, ganz spannende Phase im Augenblick, Shakespeare im Zwergenformat.
    Zerback: Danke für Ihre Einschätzungen. – Sigmund Gottlieb war das, langjähriger Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. Schönen Tag Ihnen noch.
    Gottlieb: Danke schön! Auf Wiedersehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.