Dirk-Oliver Heckmann: Was wird aus Horst Seehofer? Kann er sich an der Spitze der CSU halten, wenn er denn das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten abgibt? Bereits vor Tagen wollte Seehofer bekanntgeben, wie seine personalpolitischen Vorstellungen aussehen. Seit dem miesen Ergebnis bei der Bundestagswahl stand er ja erheblich unter Druck. Doch die Neuaufstellung hat jetzt noch ein bisschen länger gedauert. Heute aber war es endlich soweit. Um 8:30 Uhr trat die Landtagsfraktion in München zusammen.
Wir sind jetzt telefonisch verbunden mit Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler. Schönen guten Tag, Herr Professor Oberreuter.
Heinrich Oberreuter: Ja, guten Tag!
Heckmann: Ist Horst Seehofer jetzt ein "Dead Man Walking"?
Oberreuter: Das kommt darauf an, wie er politische Positionen in Zukunft bezieht. Geht er tatsächlich ins Bundeskabinett, dann wird er kein "Dead Man Walking" sein. Aber auf lange Sicht wird die Lösung, die jetzt einer aktuellen Befriedung dient, die Konflikte zwischen Söder und Seehofer als Person, aber vor allen Dingen zwischen Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten als Amtsinhaber nicht dauerhaft beenden, denn eigentlich gehören beide Positionen in eine Hand und sobald die CSU die Positionen getrennt hatte, hat es nicht lange gedauert, bis Konflikte wieder auftraten und die Positionen wieder zusammengeführt worden sind. Also man kann davon ausgehen, dass in ein, eineinhalb Jahren Söder auch den Parteivorsitz übernehmen wird.
"Beide haben strategisch operiert"
Heckmann: Davon gehen Sie aus, dass die Zeit Horst Seehofers als Parteichef damit auch gezählt ist?
Oberreuter: Davon gehe ich aus historischer Erfahrung aus. Man kann vielleicht über die Periode nachdenken. Man kann natürlich auch darüber nachdenken, wie schwierige Berliner politische Positionen und Auseinandersetzungen stabilisierend wirken, in einer ungeliebten Großen Koalition zum Beispiel. Aber auch bisher war es immer so, dass eine herausgehobene Position in Berlin nicht garantiert hat, dass die Position des Parteivorsitzenden sakrosankt geblieben ist. Ich denke, wir werden die Zeit, bis beides wieder zusammenfällt, erleben.
Heckmann: Horst Seehofer, der hat ja nun weiß Gott alles versucht, um Markus Söder zu verhindern als seinen Nachfolger im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten. Wie konnte es jetzt doch dazu kommen, dass es jetzt doch auf Markus Söder hinauslief, und wie ist es Söder gelungen, alle Konkurrenten wegzubeißen?
Oberreuter: Na ja, es lag vor allen Dingen daran, dass Markus Söder ein sehr auf die Führungsposition fixierter Politiker ist und alles daran gesetzt hat, die Dinge in diese Richtung in Bewegung zu bringen. Er hat hinter sich Kompagnons versammelt. Er hat Mehrheiten oder starke Gruppen gebildet. Er hat sich auch kein Blatt vor den Mund geben lassen.
Heckmann: Aber auch Horst Seehofer ist ja ein Stratege.
Oberreuter: Ja, ja! Beide haben strategisch operiert. Der Punkt ist nur: Seehofer hat natürlich mit seiner Art, mit der parlamentarischen Basis umzugehen und hier gelegentlich immer wieder zu betonen, dass er sie nicht so ganz ernst nimmt und den Landtag als Mäusekino zu bezeichnen, er hat damit in der Fraktion sich keine Freunde gemacht. Da liefen schon lange viele mit geballter Faust herum und auch das hat Söder für sich ausgenutzt. In der Partei und in der Region hatte Söder auch gute Bataillone, weil er als Generalsekretär in nicht allzu ferner Zeit dort gute Stimmung und auch Unterstützung gesammelt hat. Söder hat gut kalkuliert und Seehofer hat sich verkalkuliert, weil es auch ein geschlossenes Söder-Lager gab. Es gab aber auch ein Anti-Söder-Lager, aber das war nicht geschlossen, das hatte keine klare Führungsfigur, die es präsentiert hätte, und es hatte auch nicht eine klare einheitliche Meinung. In diesem Konflikt ist Seehofer jetzt gescheitert und Söder hervorgegangen.
"Auch Söder wird einen Koalitionspartner brauchen"
Heckmann: Herr Oberreuter, Bayern steht vor Landtagswahlen. Die muss Markus Söder jetzt gewinnen, und zwar auch überzeugend gewinnen. Kann er das aus Ihrer Sicht?
Oberreuter: Ich glaube nicht, dass er das kann, weil die letzten CSU-Wahlergebnisse ja nicht nur darauf beruht haben, dass irgendjemand beliebt oder unbeliebt gewesen ist und dass der eine oder andere Fehler gemacht worden ist. Es ist mit Sicherheit so, dass das letzte Wahlergebnis Berlin und München zu verantworten haben. Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und dann die strategische Herumhopserei von Seehofer, einmal radikal gegen die Bundeskanzlerin und dann mit ihr wieder schmusend auf die Couch, das haben ihm viele Leute nicht abgenommen.
Dazu kommen aber Entwicklungen, die in Bayern genauso stattfinden wie in den anderen Regionen der Bundesrepublik. Die Gesellschaft verändert sich, die Stammwähler brechen weg, die Leute wollen mit ihren Positionen in spezifischen Parteien vertreten sein und die Prognose, die wir haben, lautet ja, dem nächsten Landtag werden wahrscheinlich sieben Parteien angehören.
Heckmann: Das heißt auch, dass Markus Söders politische Zukunft nicht gesichert ist.
Oberreuter: Das heißt nicht, dass seine Zukunft nicht gesichert ist, aber das heißt, dass die Idee, dass man mit ihm alleine – das ist das alte Denken, das mit der modernen Entwicklung nicht mehr zurecht kommt -, dass man mit ihm alleine absolute Mehrheiten verteidigen könnte oder sie ihm zu verdanken hat, die Idee ist sehr schütter. Ich meine, es mag eintreten, ich halte es für unwahrscheinlich. Ich denke, man wird ein Wahlergebnis um die 40 Prozent herum erzielen, vielleicht auch 41. Dann kommt es auf die Mandatsverteilung an. Aber ich denke, auch Söder wird einen Koalitionspartner brauchen, und dann werden die Blicke in die Zukunft wieder sehr realistisch und dann wird vielleicht der eine oder andere sagen, sieh da, wir haben eine Personalentscheidung getroffen, aber so astrein mit ihren Zukunftsperspektiven ist sie nicht gewesen. Deswegen müssen aber nicht neue Kämpfe ausbrechen.
"Ich halte die Lösung, die beiden Führungsämter zu trennen, für falsch"
Heckmann: Herr Oberreuter, Berlin steht ja vor Sondierungs-, möglicherweise auch vor Koalitionsgesprächen Richtung Neuauflage einer Großen Koalition. Welche Auswirkungen wird denn die heutige Entscheidung auf Berlin haben? Macht das die GroKo aus Ihrer Sicht wahrscheinlicher, weil Seehofer jetzt unbedingt ein Ministeramt will?
Oberreuter: Die Tatsache, dass Seehofer die Verhandlungen führt, würde ich sagen, ist ein positives Signal, weil ja auch eingestanden wird mit dieser Lösung, dass er auf dem Berliner Spielfeld durch niemand anderen adäquat zu ersetzen ist. Ich denke, diese Große Koalition braucht ein gewisses Erfahrungsgeschick. Es braucht strategische Kompetenzen, die man auf dem Berliner Spielfeld ihm noch am allerehesten zutrauen kann. Wenn alle sich auf Zukunftsperspektiven auch im Blick auf die Verantwortung für Land und Funktionsfähigkeit des politischen Systems einlassen und nicht in kleiner Münze sich ihre ideologischen Positionen gegenseitig um die Ohren hauen, wenn das passiert – und dazu braucht man erfahrene Strategen -, dann ist eine Große Koalition mit besserer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, als wenn jemand kommt, der ausgerechnet diese komplizierte Situation dazu verwenden will, sich zum ersten Mal auf dem Berliner Spielfeld zu profilieren. Insofern würde ich sagen, positive Annahme.
Heckmann: Stichwort "um die Ohren hauen". Horst Seehofer und Markus Söder, sie sind eigentlich Intimfeinde, müssen jetzt aber zusammenarbeiten. Wird ihnen das einigermaßen jedenfalls gelingen aus Ihrer Sicht?
Oberreuter: Ich halte die Lösung, die beiden Führungsämter zu trennen, für falsch, und alle Erfahrungen, die wir gesammelt haben, auch in anderen Parteien, zeigen uns, dass sie für eine kurzfristige, vielleicht mittelfristige Befriedung und auch Kooperationsmöglichkeiten durchaus gängig waren und vernünftig, dass aber sich der Grundsatzkonflikt, beides in einer Hand zu bewahren – das kennen wir seit Adenauer und ein parlamentarisches Regierungssystem ist anders eigentlich nicht zu führen -, dass beides in der Hand zu halten, dass diese Grundsatzentscheidung auch wieder auf die CSU zukommt.
Und dann wird man sehen, dass sich vielleicht Auseinandersetzungen wie zwischen Strauß und Goppel, zwischen Waigel und Stoiber, dass die sich wiederholen und dass im Endeffekt Seehofer dann wahrscheinlich auch das Berliner Amt nicht aufgeben muss, aber das Berliner Amt ihm den Parteivorsitz nicht rettet.
Heckmann: Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Oberreuter, danke Ihnen für Ihre Zeit!
Oberreuter: Bitte schön.
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