Mitte Mai, der Wahlabend in Nordrhein-Westfalen.
"Guten Abend, herzlich Willkommen zur Düsseldorfer Runde, hier im Düsseldorfer Landtag."
Die kleine Bundestagswahl, so wird die NRW-Wahl in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland immer wieder bezeichnet, brachte überraschend eine schwarz-gelbe Mehrheit zustande - und damit einen unter Zugzwang: FDP-Chef Christian Lindner.
"Frau Ludwig, ich muss Ihnen unhöflicherweise widersprechen."
"Ja, ist doch gut."
"Es gibt für uns keine Lieblingskoalition."
Lindner wollte den schwarz-gelben Koalitions-Automatismus öffentlichkeitswirksam durchbrechen. Doch wurde rund sechs Wochen später der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag in NRW unterzeichnet.
Bereitschaft auch für die Opposition
"Die Situation ist im Bund vergleichbar mit der in NRW. Da darf man sich nicht unter Druck setzen lassen, sondern muss nüchtern schauen: Wo kann Gutes bewirkt werden? Geht das in der Regierung, und wenn nicht, dann muss man in die Opposition. Die Bereitschaft muss man auch mitbringen. Haben wir auch."
Sagt Lindner heute. Der Kampf aus der außerparlamentarischen Opposition zurück in den Bundestag scheint für die Liberalen gewonnen. Nun gibt es andere Probleme: Sollte es auch im Bund zu einer schwarz-gelben Mehrheit reichen, wäre der Druck auf die gerade zurückgekehrten Liberalen groß, in die Regierung zu gehen.
Der 35-Jährige Johannes Vogel ist Generalsekretär des NRW-Landesverbandes, saß einst eine Legislaturperiode im Bundestag - und will nun dorthin zurückkehren:
"Unsere Wählerinnen und Wähler, die wir am 24. September überzeugen wollen, können wissen und wissen, dass wir natürlich bereit sind zu Verantwortung, wenn sich eine Veränderung erreichen lässt. Und wenn nicht, dann gehen wir in die Opposition. Da werden wir uns auch nicht treiben lassen. Auch, selbst wenn es eine schwarz-gelbe Mehrheit gäbe, wäre das übrigens kein Automatismus für eine schwarz-gelbe Regierung."
Das Szenario: Referenten gegen Staatssekretäre
Wer mit hauptamtlichen Mitarbeitern aus dem FDP-Umfeld spricht, hört die Sorge ob des öffentlichen Drucks auf die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen dagegen häufiger. Wohl nur ein Mitglied der potenziellen FDP-Bundestagsfraktion hätte bundesweite Regierungserfahrung: Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Link. Bei uns würden dann (bloß) Referenten als Note-taker bei den Verhandlungen sitzen, sagt ein FDP-Mitarbeiter, bei der Union wären es Staatssekretäre. Das Erfahrungs-Ungleichgewicht wäre enorm, weiß auch Vogel:
"Die CDU regiert auf Bundes-Ebene jetzt seit zwölf Jahren und hat die ganzen Themen der letzten Jahre, auch in der Großen Koalition, zum Beispiel die unverantwortliche Rentenpolitik mitgetragen. Wir wollen neu denken für unser Land, und natürlich ist es da eine offene Frage, ob die CDU auch Lust hat, wirklich zu modernisieren."
"Der Druck ist natürlich immer einer, der möglich ist, und alleine die Tatsache, dass wir jetzt über diese Frage reden und ich das ja auch schon an den Wahlkampfständen mitkriege..."
Otto Fricke ist einer der liberalen Abgeordneten, die 2013 aus dem Parlament flogen. Der studierte Jurist aus Krefeld, 51 Jahre alt, musste damals die Bundestagsfraktion mit abwickeln. Leute wie er fehlen eben jetzt:
"Eine Fraktion ist schon der… Jetzt kann man in der Digitalisierung sagen: Die CPU, die Central Processing Unit, die alles verarbeitet, die Informationen schnell verrechnet, weiterleitet, die aufpasst, Alarmanlage und alles ist. Und wenn man die nicht mehr hat, muss man neu das Ganze machen. Einen 'Reboot', wenn man so will."
Ressourcen in den Landesverbänden?
Eine Sicht, die auch Manuela Glaab stützt, wenn auch in anderer Sprache. Gerade bei Koalitionsverhandlungen, so die Politikwissenschaftlerin der Universität Koblenz-Landau:
"Hier haben es direkt die Parteien, die in Regierungsverantwortung stehen oder sich eben auf eine Parlamentsfraktion bereits stützen können, naturgemäß leichter, weil sie das Know-how abrufen können. Das wäre für die FDP durchaus eine Herausforderung. Das haben wir bisher in dieser Form auch noch nicht erlebt, aber ich würde meinen, dass man dann zurückgreift auf die Ressourcen, die insbesondere in den Landesverbänden bereit stehen."
In dem kürzlich erschienenen Sammelband "Koalitionen in der Bundesrepublik. Bildung, Management und Krisen von Adenauer bis Merkel" hat sich Glaab mit den Koalitionen der Kabinette Merkel I-III beschäftigt. Vor allem die Bildung der letzten schwarz-gelben Koalition 2009 ging sehr schnell. Konflikte wurden dadurch nicht geklärt, sondern traten später auf. Steuersenkungen auf der einen Seite, Haushaltskonsolidierung auf der anderen Seite, beides stand damals drin. Ein Zielkonflikt, so Glaab:
"Und für die FDP insofern ein Dilemma, weil sie sich zuvor als Steuersenkungspartei inszeniert hatte und daran gemessen wurde."
Angst vor den Fehlern von 2009
Eine Analyse, die auch FDP-Mann Fricke teilt:
"2009 wollten wir wahrscheinlich um jeden Preis an die Macht, wollten um jeden Preis auch an der Macht bleiben - und haben 2013 den Preis gezahlt."
Diesmal soll es Wahlprüfsteine aus den Bereichen Digitalisierung, Bildung und auch Steuern geben, zudem werde kein Koalitionsvertrag unterschrieben werden, ohne dass nicht die FDP-Mitgliedschaft gefragt wird. Und letztendlich helfe vor allem eine Erkenntnis, so Fricke:
"Erstens: Es ist keine Partnerschaft - das ist eine der Lehren aus 2009, sondern es ist, wenn man so will, eine Vertragsverhandlung, jetzt kommt der liberale Jurist, bei dem es um Angebot und Nachfrage geht. Und natürlich ist es da so, dass derjenige, der der an der Macht ist, der den Apparat hat, und das können wir ja jetzt auch selbst im Wahlkampf sehen bei der CDU, der nutzt ihn. Und das musst Du wissen. Und das heißt für Dich auch öfters: Du musst immer sagen: Halt, Stopp!"
Ob das dann gelingt? Erst der Wahlabend wird zeigen, ob sich die Frage stellt - und auch in welcher Form.