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Personalmangel im Handwerk
Volle Auftragsbücher, wenig Zeit

Seit Jahren wird im Handwerk zu wenig ausgebildet. Dadurch fehlen aktuell etwa 300.000 Fachkräfte, schätzt Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. Was heißt das für Handwerker wie den Kölner Sanitärtechniker Karsten Gaevert im Alltag?

Von Katharina Peetz |
    Ein Installateur kniet bei der Montage eines Waschbeckens im Badezimmer auf dem Boden. Mit der Wasserwaage tariert der Sanitärfachmann die korrekte Lage des Beckens aus.
    Viele Branchen im Handwerk haben Probleme, Personal zu finden. (dpa / Thomas Schmidt)
    Im Büro des Sanitär- und Heizungsbetriebs von Karsten Gaevert ist viel zu tun. Zusammen mit seinem Angestellten versucht Gaevert, die vielen Terminanfragen zu koordinieren. Karsten Gaevert: "Ich habe das Unternehmen vor 25 Jahren gegründet, direkt Leute eingestellt. Das war damals noch nicht so schwierig wie heute."
    16 Mitarbeiter hat Karsten Gaevert aktuell. Er sucht händeringend neues Personal, aber das ist nicht leicht zu finden. Dieses Problem kennen viele Handwerksbetriebe, weiß Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks: "Ja, das Handwerk ist im Moment stark betroffen und zwar insbesondere Nahrungsmittelberufe sind stark betroffen, Bäcker, Fleischer, aber natürlich auch mittlerweile schon technische Berufe, hauptsächlich bautechnische Berufe, Hochbau, Tiefbau, Straßenbau, aber auch Klempner, Sanitär-, Heizungsbetriebe suchen händeringend Personal."
    Rund 300.000 Facharbeiter fehlen im Handwerk, schätzt Wollseifer. Das liege vor allem daran, dass in den vergangenen Jahren zu wenige Menschen ausgebildet wurden. Einmal, weil es zu wenige Schulabgänger gebe. Zum anderen zögen viele junge Menschen das Studium der Ausbildung vor.
    Wartezeit bis zu drei Monaten
    Karsten Gaevert bekommt das in seinem Sanitär- und Heizungsbetrieb in Köln zu spüren: "Also das schwierige ist teilweise, ausbildungsfähige Jugendliche oder junge Menschen zu finden. Für den Beruf begeistern, das ist ganz schnell möglich, aber es lässt leider sehr schnell nach, wenn sie merken, was da alles auf sie zukommt. Bei manchen müssen Sie tatsächlich bei Minus, Mal, Geteilt anfangen, wenn sie von der Schule kommen." Der Beruf sei zunehmend anspruchsvoller geworden. Es gebe viele Vorschriften zu beachten und komplexe Zusammenhänge zu verstehen.
    Die Auftragsbücher sind jedoch zur Zeit besonders voll. Die Nachfrage am Binnenmarkt ist hoch, die Zinsen niedrig, so dass viele Menschen ihr Geld zum Beispiel in die Sanierung oder den Bau von Häusern stecken. Sanitärdienste wie der von Karsten Gaevert sind deshalb gerade sehr gefragt: Etwa 60 bis 70 Termine absolvieren er und seine Mitarbeiter täglich. Trotzdem müssen Kunden teilweise bis zu vier Wochen auf einen Termin warten. Damit liegt Gaevert noch unter dem Durchschnitt. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer: "Im Gesamthandwerk beträgt diese Wartezeit zur Zeit circa zwei Monte. Im Bauhandwerk fast drei Monate. In Notfällen kommen die Handwerker natürlich sofort. Ist klar. Wenn es durchregnet, wenn die Wasserleitung platzt oder wenn der Strom ausfällt. Aber nur für diese Notreparatur. Wenn es um umfangreiche Reparaturen geht, dann muss man ein bisschen länger warten. Und das ist nicht gut für die Betriebe und für die Kunden auch nicht."
    Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer, spricht bei einer Pressekonferenz.
    Etwa 300.000 Fachkräfte fehlen im Handwerk, schätzt Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. (pa/dpa/Pedersen)
    Auch Probleme bei der Nachfolge
    Karsten Gaevert ist unterwegs zu einem Kunden, bei dem das warme Wasser ausgefallen ist. Bei der Terminvergabe muss Gaevert Prioritäten setzen: Bestandskunden wie Manfred Georg Schmitt haben Vorrang vor Neukunden.
    Schmitt: "Und hier der Druck ist auch ein bisschen abgefallen." Gaevert: "Ja okay, das ist nicht weiter schlimm… Die Ladepumpe hier hinten…" Schmitt: "Sie sind der Chef, ne?" Gaevert: "Ich bin der Chef." Schmitt: "Dann war Ihre Tochter vor zwei Wochen hier, die übernimmt das dann irgendwann, ne?" Gaevert: "Ja, da haben wir auch schon drüber gesprochen, wenns klappt… (lacht)."
    Dass seine Tochter womöglich das Geschäft übernimmt, ist ein Glücksfall. Viele andere Betriebe haben große Probleme, die Nachfolge zu regeln, sagt Handwerkspräsident Wollseifer: "In den nächsten fünf bis sechs Jahren müssen 200.000 Betriebe aus Altersgründen übergeben werden. So wie es jetzt aussieht, werden wir das nicht ganz schaffen. Das sind immer fünf bis sechs, sieben Arbeitsplätze, die daran hängen, wenn ein Betrieb schließt. Und wenn es tausende Betriebe sind, die wir nicht übergeben können, dann sind es zehntausende Arbeitsplätze die dann wegfallen. Das ist nicht gut für die Gesamtwirtschaft, für das Handwerk auch nicht und für die Kunden schon mal gar nicht."
    Im Haus von Kunde Manfred Georg Schmitt tüftelt Karsten Gaevert weiter am Warmwasserspeicher. "Haben Sie das Wasser selber aufgefüllt?" - "Nee, da hab' ich gewartet." - "Ah, ich glaub das war es. Da war ein Luftpolster drin." Das Problem ist gelöst: Die Ladeleitung ist entlüftet. Jetzt läuft das warme Wasser wieder.
    Meisterbrief als Versicherung gegen Arbeitslosigkeit
    Und schon sitzt Karsten Gaevert wieder im Auto, unterwegs zum nächsten Termin. Seine Arbeit hat sich in den vergangenen Jahren verändert: "Es gab mal Zeiten, dass es im Sommer etwas ruhiger war, da haben wir dann gesagt, okay wenn wir irgendwo im Keller sind, ist unsere Aufgabe auch, mal rechts und links zu gucken, was ist denn noch so nicht in Ordnung. Heute ist es so, wir gucken nur nach der Sache, die wir da machen müssen, gucken noch, ob im Umfeld den Vorschriften da alles entspricht. Aber ich sag mal, richtig tatsächlich Aufträge zu generieren dadurch, versuchen wir schon gar nicht mehr, weil wir gar keine Zeit haben, diese Aufträge dann abzuarbeiten."
    Immerhin, bei Karsten Gaevert und seinem Sanitär- und Heizungsbetrieb ist Besserung in Sicht. Das Bewerbungsgespräch mit einem potenziellen neuen Mitarbeiter ist gut verlaufen. Für das gesamte Handwerk wird der Personalmangel aber auch in den kommenden Jahren zum immer größeren Problem. Die Handwerksverbände werben deshalb für berufliche Ausbildung und versuchen unter anderem, mit dem Berufsabitur - einer Kombination aus Schul- und Lehrabschluss - mehr junge Menschen für das Handwerk zu gewinnen.
    Handwerkspräsident Wollseifer: "Natürlich brauchen wir Flankierungen der Politik und wir brauchen auch gute Vorbilder, wo wir der Jugend zeigen, dass es sich lohnt, ins Handwerk zu kommen, Handwerksberufe zu erlernen. Den Meisterbrief zu machen. Und wenn man sieht, was Meister heute verdienen im Vergleich zu Bachelor, liegen wir da nicht schlecht, liegen wir meistens höher. Und es ist auch so, dass der Meisterbrief eine lebenslange Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist." Nur 1,7 Prozent der Meister seien in Deutschland arbeitslos. Ob diese guten Jobaussichten in Zukunft mehr junge Menschen ins Handwerk ziehen, wird sich zeigen.