Archiv

Personalmangel in Krankenhäusern
"Der Pflegenotstand ist ernst"

Der Pflegenotstand in Krankenhäusern sei hausgemacht, sagt Eugen Brysch vom Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz im Dlf. Sowohl die Länder als auch die Krankenhäuser hätten jahrelang an der Pflege gespart. Er fordert ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Kommunen, Ländern und Leistungsanbietern.

Eugen Brysch im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Eine Ärztin kommt aus einem Stationszimmer im Krankenhaus.
Um den Pflegenotzstand zu bekämpfen, geht eine Klinik am Bodensee neue Wege in der Personalgewinnung (dpa / Wolfram Kastl)
Mario Dobovisek Am Telefon begrüße ich Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Ich grüße Sie, Herr Brysch!
Eugen Brysch: Seien Sie herzlich gegrüßt, Herr Dobovisek!
Dobovisek: Die Klinikbetreiber schlagen also Alarm, wir haben es gehört. Wie ernst ist aus Ihrer Sicht der Pflegenotstand in den Krankenhäusern?
Brysch: Der Pflegenotstand ist ernst, aber er wird erst deswegen offenkundig, weil wir eben eine Personaluntergrenze haben, und das nur in kleinen, ausgewählten Stationen, aber da, wo es drauf ankommt, beispielsweise in Intensivstationen. Aber bitte, was wir nicht vergessen dürfen, dass das zum Teil hausgemacht ist, denn seit gut 25 Jahren wurde in der Pflege gespart, und das rächt sich. Ausbildungsplätze wurden nicht geschaffen, und erst in den letzten zwei Jahren wird jetzt das Ruder herumgerissen. Hier kann man nicht über Nacht Wunder erwarten.
Dobovisek: Jetzt lehnen die Klinikbetreiber diese auch von Ihnen angesprochene Untergrenze ab, aber ist das nicht sinnvoll, etwas zu definieren, damit man ein Mindestmaß an Pflege zum Beispiel auf einer Intensivstation hat?
Brysch: Herr Dobovisek, diese Personaluntergrenze kam ja deshalb, weil wir gesagt haben, es gibt gefährliche Pflege, und diese gefährliche Pflege liegt daran, dass wir nicht genügend Personal haben. Über Jahre haben wir das zwar diskutiert, aber die Krankenhäuser haben an der Pflege gespart. Und das ist jetzt die Konsequenz, dass man gesagt hat, auch der Gesetzgeber, richtig und vernünftig, wir müssen dort, wo es ganz besonders gefährlich ist, sagen, ein Mindestmaß, also keinen Luxus, sondern ein Mindestmaß einführen. Es wird also nicht an diesen Personaluntergrenzen scheitern, nein, es wird daran scheitern, dass wir 25 Jahre zugeschaut haben - übrigens nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch die Länder zugeschaut haben - einem Strukturwandel, den wir endlich gestalten müssen. Zurzeit gibt es folgende Situation, dass wir gerade im ländlichen Bereich, da, wo wir Krankenhäuser eigentlich brauchen, deutliche Insolvenzen haben, deutliche Schließungen haben. Und da wir eine Überversorgung haben – es gibt ja Städte, die haben fünf, sechs, sieben, acht verschiedene Krankenhäuser, die teilweise ein und dasselbe anbieten –, da haben wir keine wirkliche Kraft, das zu verändern. Und da muss ich sagen, die Landesgesundheitsminister sind hier auch in der Verantwortung. Sie tun nichts, sie rufen immer nach dem Bund, aber wenn sie gestalten sollen, dann möchten sie keinem Landrat auf die Füße treten.
"Seit Jahren fordern wir, dass die 11.000 Studienplätze nicht ausreichen"
Dobovisek: Stoßen Sie da ins gleiche Horn, Herr Brysch, wie die Bertelsmann-Stiftung, die ja schon vor einiger Zeit in einer Studie veröffentlicht hat, man müsste in der Fläche deutlich Krankenhäuser schließen?
Brysch: Sehen Sie, Herr Dobovisek, das ist nicht meine These, denn diese These - das realisiert sich in Angst. Die ländliche Bevölkerung - und vergessen wir nicht, der größte Teil der Deutschen lebt eben nicht in der Großstadt, sondern auf dem Land -, die möchte auch eine gute Versorgung haben. Aber dafür ist kein Geld da, keine Innovation da, denn die Länder müssten Neubauten, Neugestaltung, also auch innovative, solche, wenn Sie so wollen, ländliche Zentren fördern, gestalten. Da ist aber nichts davon da, und die Länder ziehen sich sowohl aus der Förderung dort zurück – und das spüren dann die Patienten, auch die gerade älter werdenden Patienten. Aber die Länder tun ja auch überhaupt nichts, nämlich gar nichts, wenn es darum geht, mehr Studienplätze zu schaffen für die Medizin in Deutschland. Seit Jahren fordern wir, dass die 11.000 Studienplätze nicht ausreichen, wir brauchen mindestens 6.000 mehr. Und sofort kommen wir dann in die Diskussion, dass dann die Wissenschaftsminister der Länder sagen, wer soll das bezahlen, der Bund muss hier eine konzertierte Aktion starten, weil wir merken doch, alles hängt miteinander zusammen. Und wenn Herr Spahn sagt, ich mach mal flott ein paar Gesetze, dann wird sich die Realität ändern, dann merkt jetzt auch der letzte Bundesbürger an vielen schönen Gesetzen, das ist das eine. Die Realität muss aber Zeit brauchen und sie muss auch Innovationskraft haben, aber es gibt diese konzertierte Aktion für die deutschen Krankenhäuser nicht.
Dobovisek: Sie sagen also, das Kind ist sozusagen schon ein bisschen in den Brunnen gefallen, weil wir zu lange zugeschaut haben, aber jetzt haben Sie die Gesetze von Herrn Spahn, von der Bundesregierung angesprochen. Da gibt es ja viele Punkte da drin, in dem sogenannten Pflegestärkungsgesetz, mit einem Sofortprogramm für 13.000 neue Stellen in der Altenpflege, mehr Auszubildende, höhere Löhne, Anwerbung aus dem Ausland. Hilft das denn?
Brysch: Ja, aber wir müssen auch den Menschen sagen, wie wir das bezahlen wollen. Und wir müssen den Menschen auch offen sagen, die Beruhigungspillen der letzten 20 Jahre führten dazu, dass wir eingelullt sind, und jetzt kommt es offenkundig, dass schnelles Handeln zu fordern ist. Und dann kommt sofort die Diskussion, der wir uns auch stellen müssen, was ist zu tun. Deswegen sage ich, es ist dringend Zeit, dass wir eine konzertierte Aktion brauchen, wo wir kurzfristige, mittelfristige und langfristige Ziele über den Bund, über die Länder, über die Kommunen gemeinsam mit den Leistungsanbietern vereinbaren und dann bitte auch eine klare Rechnung vorlegen. Der Bürger und die Bürgerin wollen wissen, was das kostet. Zurzeit pfuschen wir uns alle da herum und legen die Zahlen nicht offen auf den Tisch.
"Die private Krankenversicherung hat eher Schwierigkeiten"
Dobovisek: Ja, Zahlen haben zum Beispiel die Krankenkassen gerade vorgelegt, die haben Defizite gemeldet für das ablaufende Jahr. Absehbar werden die Zusatzbeiträge steigen, vielleicht noch nicht im nächsten, aber im übernächsten Jahr, und Anfang des Jahres bereits sind die Sätze der Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte angehoben worden. Müssen wir uns darauf einstellen, dass wenn Sie sagen, Rechnung präsentieren, dass die Kosten von Gesundheit und Pflege weiter immens steigen werden?
Brysch: Herr Dobovisek, sie steigen ja gar nicht so immens, wie wir glauben. Wenn wir uns insgesamt die wirtschaftliche Leistung angucken, stellen wir fest, dass in den letzten 20 Jahren das ziemlich parallel gelaufen ist. Aber was wir nicht diskutiert haben, wie wir tatsächlich auch an neue Einkünfte kommen. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum wir eine Beitragsbemessung haben in Deutschland für Menschen, die beschäftigt sind, von 4.700 Euro. Ich frage mich, warum können wir beispielsweise nicht aus der Schweiz lernen. Nach meiner Information ist nicht die Schweiz der Hort des Sozialismus. Dort ist eindeutig geregelt, dass über die gesamten Einkünfte Beiträge zu leisten sind und die Höhe eben nicht begrenzt ist für diese Leistung. Und niemand käme in der Schweiz auf die Idee zu sagen, hier wird der Kommunismus eingeführt, nein …
Dobovisek: Ja, wer viel hat, will viel geben, das ist ja die Idee, die dahintersteckt, aber dann werden Reiche abwandern in die private Krankenversicherung und sich dem System komplett entziehen.
Brysch: Ich glaube, dass wir schon lange wach geworden sind, dass die Situation so ist, wie sie ist, nämlich dass die private Krankenversicherung eher Schwierigkeiten hat, ihre Beiträge zu halten. Und genau das ist der Punkt, dem wir uns auch stellen müssen. Ich bin der Überzeugung, wenn wir den Menschen offen und klar sagen, wo wir hin wollen, und die Forderungen eben nicht aufgestellt werden alleine von den Leistungsanbietern oder Krankenkassen, wenn die Politik [Anmerkung: Unterbrechung in der Leutung] uns das Konzept kosten, wollen wir das haben – und ich stelle das auch zur Abstimmung in einer Wahl –, dann werden die Bürger wissen, was letztendlich auf sie zukommt. Aber zurzeit ist es ja so, dass in den Parlamenten darüber nicht offen geredet wird, und wir brauchen letztendlich auch ein Konzept in unserer Gesellschaft, wie wir eine älter werdende Gesellschaft finanzieren wollen. Und darüber hinaus müssen wir den Jüngeren sagen, ihr werdet später nicht allein gelassen, wenn ihr heute mit einzahlt, habt ihr etwas davon. Und diese offene Diskussion, diese offenen Wahrheiten und die vielleicht auch schwierigen Ergebnisse, die wir daraus haben, da werden wir uns seit Jahren leider vor hüten, das zu führen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.