Die Werke von Artur Solomonov sind geprägt von scharfem Humor und Sozialkritik. In seinem ersten Roman "Eine Theatergeschichte" aus dem Jahr 2013 verspottete der junge Autor das gnadenlose Eingreifen der russisch-orthodoxen Kirche in das gesellschaftliche Leben. Noch vor sechs Jahren ging so etwas durch. Doch spätestens mit der Annexion der Krim hat sich vieles verändert.
"Wir erleben derzeit eine Art Krise der Überproduktion von Heiligtümern. Für unantastbar wird bei uns fast alles erklärt: die zaristische und die sowjetische Vergangenheit, der Zar und die Zarenmörder, die Revolutionäre und die Offiziere der Weißen Armee. Demnach haben die regierenden Eliten immer Recht gehabt."
Solomonovs neues Theaterstück heißt "Wie wir Joseph Stalin beerdigten". Darin geht es darum, wie der Personenkult um Stalin die russische Gegenwart und Zukunft dominiert. In Russland wird über Stalins Rolle in der Geschichte wieder erbittert gestritten - wie 2014 über die Frage nach der Zugehörigkeit der Krim.
"Die Wiederbelebung von Stalin im gesellschaftlichen Bewusstsein bedeutet eine globale Wende, denn Stalin hat auf die Frage, wer wichtiger sei, ein Mensch oder der Staat, eine eindeutige Antwort gegeben: Der Staat sei um einiges wichtiger als der kleine Bürger. Und der Mensch könne für ein mächtiges staatliches Gebilde nur ein Bausteinchen sein."
Stalins Tod darf nicht thematisiert werden
Aus der Truhe der Geschichte werde Stalin laut Solomonov aus einem einfachen Grund geholt: Es solle wieder die Figur eines Erlösers des Volkes geschaffen werden. In einer Welt voller Feinde brauche man einen starken Politiker, einen Verteidiger. Für die Herrscher im Kreml sei Stalin aus einem weiteren Grund nützlich:
"Wie einst unter Stalin möchte die jetzige Regierung jedes Problem durch eine einzige radikale Maßnahme lösen, das heißt jene loswerden, die ihr gefährlich vorkommen. Stalin hat ja nicht umsonst gesagt: 'Wo kein Mensch ist, ist auch kein Problem'."
Das neue Drama von Solomonov spielt in unserer Zeit in einem Moskauer Theater. Dort wird ein neues Stück über Joseph Stalin geprobt. Ein ‚Mann aus dem Ministerium‘ äußert immer wieder neue Wünsche des Präsidenten in Bezug auf die Handlung: Stalins Tod und alle humorvollen Szenen sind zu streichen. Die Schauspieler und der Regisseur werden allmählich "stalinisiert"‘: Der eine erklärt sich zum Herrgott, aus dem anderen wird ein Denunziant, noch ein anderer wählt für sich die Rolle des Henkers. Das Stück wird ständig umgekrempelt. Und am Ende will der Präsident es selbst aufführen.
In seiner tragischen Farce zeigt Solomonov, wie leicht eine Person zum Tyrannen werden kann und wie die gehorsame Umgebung ihr dabei hilft. Dass sein Stück in Russland heute aufgeführt wird, davon kann Solomonov kaum träumen:
"Im öffentlichen Raum darf der Tod eines solchen Herrschers nicht thematisiert werden, denn Stalin ist bekanntlich nicht gestorben, und wenn, dann nicht endgültig. Oder vielleicht ist er doch wiederauferstanden? Jedenfalls sollte man in Bezug auf den Inhaber des Moskauer Throns solche Begriffe wie Tod oder Satire lieber nicht verwenden."
Es gibt keine Unantastbaren in der Kultur
Der Autor räumt ein, es herrsche heute eine andere Zeit als 1937. Scharfe Zensur gebe es nur in den großen Medien und im Kino. Noch dürfe man seine Meinung im Internet und in den kleinen Medien frei äußern. Doch mit der Verhaftung des einflussreichen Regisseurs Kirill Serebrennikov vor knapp zwei Jahren habe für das russische Theater eine neue Zeitrechnung begonnen, sagt Artur Solomonov:
"Als wir die erschreckenden Bilder von Kirill hinter Gittern sahen, wurde klar: Es gibt keine Unantastbaren, jeder Künstler könnte in Kirills Situation geraten. Von nun an würden alle Aussagen unserer Kunst- und Theaterschaffenden vor dem Hintergrund zu sehen sein, dass Serebrennikov in Haft sitzt und dass ihm ein Strafverfahren angehängt wurde, dessen Ausgang von vornherein feststeht."
Diese Woche wurde Kirill Serebrennikov aus dem Hausarrest entlassen. Er darf jedoch die Stadt ohne eine Gerichtserlaubnis nicht verlassen. Das Verfahren gegen den Regisseur läuft weiter.