Maja Ellmenreich: #Savianononsitocca - Hände weg von Saviano. In den sozialen Netzwerken ist die Aufregung groß: Italiens Innenminister Salvini solle bloß die Finger lassen von dem Journalisten und Autor Roberto Saviano, so wird in unzähligen Tweets und Posts gewarnt.
Grund für diesen digitalen Sturm von Links? Matteo Salvini von der rechtsnationalen Lega, er hat den Polizeischutz, unter dem der Mafia-Gegner und -Aufklärer Saviano seit 12 Jahren steht - Salvini hat diesen Schutz in Frage gestellt. Solch eine Rundumbewachung koste den Steuerzahler schließlich viel Geld.
Giovanni di Lorenzo ist Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", er besitzt den deutschen wie den italienischen Pass, und er hat gemeinsam mit Roberto Saviano ein Buch geschrieben über die gemeinsame Heimat Italien - "Erklär mir Italien" - so der Titel. Mit ihm habe ich am Nachmittag telefoniert.
Herr di Lorenzo, blicken wir zu Beginn auf die Lebenswirklichkeit von Roberto Saviano: Womit wäre zu rechnen, wenn der italienische Staat tatsächlich den Polizeischutz einstellen würde?
Giovanni di Lorenzo: Das ist schwer zu sagen. Aber es ist mit Sicherheit ein Signal an das organisierte Verbrechen: Wir legen auf das Leben von Roberto Saviano nicht mehr so großen Wert. Das ist das Verheerende an solchen Worten, auch wenn der Personenschutz am Ende bleiben sollte. Salvini hat ihm schon während des Wahlkampfs damit gedroht.
"Warum tust Du es Dir an?"
Ellmenreich: In einem Text von Roberto Saviano, der am Wochenende in der "FAZ" abgedruckt wurde, da stellt Saviano fest, er sei nur ein Instrument, mit dem Salvini den Rechtsstaat zerstören wolle. Was genau meint er damit? Was unterstellt er Salvini für Absichten?
di Lorenzo: Dass derjenige, der laut sich meldet und sagt, hier ist Unrecht, hier ist Verbrechen, hier ist ein unheilvolles Zusammenspiel zwischen Staat und Kriminalität, dass der das eigentliche Problem sei und nicht das Verbrechen, um das es geht. Saviano lebt ja schlimmer als jeder Mafia-Verbrecher, nach dem gefahndet wird. Wenn er in Italien ist, dann muss er sich in Kasernen des Nachts verstecken und da übernachten. Er lebt weite Teile des Jahres im Ausland, im Moment in Amerika, und wann immer man ihn fragt, warum tust Du es Dir an, wäre es nicht besser, irgendwann ganz im Ausland zu leben, dann sagt er, er kann seine Wurzeln auch nicht verleugnen. Es ist seine Heimat, Italien.
Ellmenreich: Sie haben gerade gesagt, warum tust Du Dir das an, und diese Frage haben Sie in der Zusammenarbeit mit Roberto Saviano ja auch mehrfach gestellt in Ihrem Buch "Erklär mir Italien!" Wenn wir jetzt diesen Titel noch mal nehmen: Können Sie sich dieses neue Italien unter einem Vizepremier Salvini, der die Zukunft Europas in Frage stellt und Italiens Häfen für Flüchtlinge schließt, können Sie sich, Giovanni di Lorenzo, das noch erklären?
di Lorenzo: Ja, aber es wird immer schwieriger. Es ist natürlich nichts, was vom Himmel gefallen ist. Da gibt es eine lange Geschichte von nicht gehaltenen Versprechen, Enttäuschungen. Da gibt es den Handel zwischen den Altparteien, bei dem die Wähler immer das Gefühl hatten, es verändert sich nie was Grundlegendes. Es sind die Probleme, die auch andere Länder beschäftigen, wie die Flüchtlingswelle, die Angst vor großen Verschiebungen bei den Beschäftigungsverhältnissen, Stichwort Digitalisierung. Es ist die hohe Arbeitslosigkeit gerade unter jungen Leuten. Man muss auch sagen, es ist Ausdruck von Verzweiflung, die in weiten Teilen Italiens herrscht. Salvini, der eigentlich der kleinere Koalitionspartner ist - die Fünf Sterne sind ja viel größer; man hört von ihnen im Moment nichts -, von Salvini sagt Roberto Saviano, im Moment stehen zwei Drittel der Italiener hinter ihm.
"Saviano stellt sich gegen den Mainstream"
Ellmenreich: In Ihrem gemeinsamen Buch betonen Sie den Einfluss der italienischen Intellektuellen in den 50ern, 60ern und 70ern, stellen aber auch fest, dass es in den vergangenen Jahren ruhig geworden ist um diese Intellektuellen. Schweigen die jetzt unter Salvini immer noch, wo sie doch eindeutig jetzt auch eine laute Stimme dagegensetzen müssten?
di Lorenzo: Bislang hört man wie in den letzten Jahren auch vor allem Roberto Saviano, der unglaublichen Mut beweist. Ich bin nicht in allen Punkten - das tragen wir auch aus - seiner Meinung, aber ich bewundere seinen Mut. Er stellt sich wirklich gegen den ganz großen Mainstream. Ich bin gespannt, ob die sich rühren. Im Moment sind es sehr wenige. Es ist schwer, sich gegen den Strom zu stellen.
Ellmenreich: Ist dann der Name "Witzbold", den Saviano Salvini gibt, ist das denn überhaupt noch die richtige Wortwahl, oder muss man da nicht eigentlich viel größere Worte und viel bösere Worte benutzen?
di Lorenzo: Ich finde nicht. In Zeiten, in denen die Verrohung der Sprache ein Kennzeichen ist von bestimmten Bewegungen, darf man nicht dagegenhalten, indem man eine gleich radikale, ausfallende Sprache benutzt oder gar eine schlimmere. Ich vertraue immer noch auf die Kraft des Arguments und der gut recherchierten Wahrheit, die man der Lüge entgegenstellen kann.
Ellmenreich: Also wären die wohlgewählten Worte und die intensive journalistische Recherche auch jetzt das einzige Mittel, das man haben könnte gegen die Politik eines Matteo Salvini?
di Lorenzo: Sie stehen im Moment nicht sehr hoch im Kurs. Vielleicht sind sie auch aus der Mode gekommen. Aber ich denke, dass auf mittlere und lange Sicht helfen die alten Tugenden Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit und den Mut, nicht mit den Wölfen zu heulen. Das hat Saviano immer wieder bewiesen.
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