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Perspektiven auf das "Ich" und "Du"

Isabel Mundry hat sich ihr Werk "Ich und Du" noch einmal vorgenommen. Es soll nicht umgearbeitet werden - die Komponistin arbeitet an einer neuen, anderen Perspektive für ihr vor vier Jahren entstandenes Klavierkonzert. Mittelpunkt ihres Arbeitens: der große Schreibtisch ihrer Freiburger Wohnung.

Von Elisabeth Richter |
    "Ich habe einen sehr großen Schreibtisch, ich arbeite auch immer wieder in sehr großen Formaten. Ich schreibe nicht im Computer. Ich brauche schlicht und einfach auch Schreibfläche, wenn ich ein Orchesterstück schreibe, wo viele Stimmen geteilt sind. Und dafür brauche ich meinen Schreibtisch zuhause. Ich arbeite auch viel im Stehen, oder beim Abschreiben stelle ich den Schreibtisch schräg hoch, es muss auch rückenfreundlich sein. Ich muss einfach dafür Sorge tragen, dass ich zuhause Zeit habe, da zu sitzen."

    Der Schreibtisch für die großformatigen Partituren steht in Isabel Mundrys Freiburger Wohnung. Sie hat ihn sich nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen bauen lassen. Unser Werkstatt-Gespräch führen wir jedoch in Hamburg. Isabel Mundry ist auf der Durchreise auf die Nordseeinsel Amrum. Drei Wochen wird sie dort verbringen, zwar ohne den "optimalen" Freiburger Schreibtisch, aber einen großen Tisch gibt es dort auch. Die Zeit will Isabel vor allem zum Arbeiten an Ihrem neuen Klavierkonzert nutzen. Im Februar 2013 ist die Uraufführung bei der Münchner Konzertreihe "Musica Viva".

    "Ich habe immer Skizzenbücher dabei, und es gibt eigentlich immer etwas, was ich überall weiter entwickeln kann. Das habe ich mir richtig angelernt. Wenn ich zum Beispiel nach Zürich fahre, und dann acht Stunden in der Hochschule bin, dann werde ich höchstwahrscheinlich im Zug am Abend über diesen Skizzen brüten, und werde mich auch morgens früh, und sei es auch nur eine halbe Stunde, hinsetzen, über das Stück nachdenken, und auch was aufschreiben."

    Täglich sitzt Isabel Mundry an ihren Skizzen. Früher, so erzählt sie, habe sie überhaupt nur anfangen können zu komponieren, wenn sie wusste, dass mindestens eine Woche freie Zeit zur Verfügung stand.

    "Seit ich das so mache, dass ich eigentlich, wenn es irgend geht - es gibt natürlich immer mal Tage, wo es nicht ist -, jeden Tag etwas an dem Stück arbeite, wenn ich auch nur einen halben Tag frei habe, kann ich sofort tief eintauchen. Ich glaube, dass das daran liegt, dass das Eintauchen ins Komponieren wirklich ein Eintauchen in ne andere Denkstruktur ist."

    Alltägliches stört die Vorstellungswelt des Komponisten. Die Disziplin des permanenten Kontakts mit einer aktuellen Komposition helfe jedoch enorm.

    "Man kann’s einfach so sehen: Ich habe einfach, seit ich mir diese Art des disziplinierten Arbeitens angeeignet habe, mehr Minuten im Jahr geschrieben."

    Ein Ausschnitt aus "Ich und Du" für Klavier und Orchester, uraufgeführt 2008 in Donaueschingen. Dieses Werk hat sich Isabel Mundry noch einmal vorgenommen. Nicht, dass sie es umarbeiten möchte, nein, das Werk "Ich und Du" bleibt bestehen, wie es ist. Jetzt geht es in ihrem zweiten Klavierkonzert um eine neue, andere Perspektive.

    "Das Ausgangsstück damals war tatsächlich eine Reflexion über diese beiden Begriffe, mit dieser Perspektive, dass in dem Ich auch ein Du steckt. Jeder kennt das, dass man sich selbst quasi wie ein Du betrachtet, entweder, dass man in sich selbst mehrere Perspektiven aufgreift, oder dass man stark die Außenperspektive auf sich selbst hat. Also: wenn andere Menschen zum Beispiel sagen: "Du bist Komponistin." Ich fühle mich aber grad in dem Moment nicht als Komponistin, sondern als jemand, der Hunger hat oder so. Das ist jetzt ein sehr unverfängliches Beispiel, aber natürlich auch ein politisches Beispiel. Wenn die Menschen sagen: Du bist Türke. Und der Türke seine Identität aus ganz anderen Dingen vorrangig zusammensetzt, dann entstehen Konflikte oder auch Widersprüche und Verletzungen und alles Mögliche. Über diese wechselhaften Perspektiven reflektiert das Stück, und natürlich auch umgekehrt, sozusagen auch über dieses Phänomen der Hybris, das sozusagen in die Weite geht."

    "Und damals, als ich dieses Stück geschrieben habe, war ich, glaube ich, soweit, erstmal diese durchaus verschiedenen auch kritischen Modelle gegenüberzustellen. Zum Beispiel: Das Ich als etwas, was einem eigentlich von andern zugeschrieben wird. Ein Teil in meinem Stück hatte den Arbeitstitel "Zuschreibung". Und das andere meinetwegen: "Selbstbestimmung" oder das "Ich als eine Schnittmenge", es war fast so wie eine Art musikalisches Traktat über die Möglichkeiten des Verhältnisses von Ich und Du. Und in dieser zweiten Version wird das Stück einerseits viel größer, viel länger, und gleichzeitig viel persönlicher."

    Rund vier Jahre liegen zwischen den beiden Werken. In dieser Zeit hat sich Isabel Mundry zum Beispiel auch mit Aspekten der Klangkunst und der "musique concrète" auseinandergesetzt, also der Einbeziehung von nicht-Musik-genuinen Klangphänomen, zum Beispiel aus der Alltagswelt.

    "In der ersten Version habe ich solche Dinge ausgelotet in den klassischen Kategorien Klanggestalt auf Instrumenten und auch Räumlichkeit auf der Bühne. Da gibt es eine Raumverteilung. Inzwischen ist es so, dass ich dieses Lebensweltliche nicht nur metaphorisch, sondern buchstäblich ins Stück rein nehme, die Orchestermusiker sprechen zum Beispiel. Und es gibt, da ich nicht mit IPhones arbeite, Diktafone in dem Stück, wo noch einmal Geräusche aufgenommen sind. Es spielt sozusagen plötzlich die Nicht-Musik in dieses Stück hinein. Das ist das eine, da wird einfach der Raum weiter gespannt von dem, was innen und außen eines Stückes sein kann. Das andere ist, dass ich mir in diesem zweiten Stück stärker als im ersten einen Prozess erlaube. Und dieser Prozess geht in vielen, vielen Schritten."

    Einen Teil des neuen und auch schon des alten Klavierkonzerts hat Isabel Mundry "Ich als Landschaft" genannt. In der ersten Version hat hier das Klavier fast – so beschreibt es Isabel Mundry - "eine Art Melodie". Es sind einzelne, weit voneinander entfernte Töne, die vom Orchester aufgegriffen und linear transformiert werden.

    "Man kann sich tatsächlich vorstellen: wie eine Identität am Horizont.
    In der zweiten Version greife ich das einerseits auf, zum anderen bringe ich aber Sprache mit ins Spiel. Am Anfang, im ersten Teil, der jetzt völlig neu ist, gibt es so ein Bild von der Menge, mal das Orchester, mal sprechen sie alle, mal flüstern sie, mal gehen sie, machen Schritte auf der Bühne. Man kann sich vorstellen: Eine Flughafenhalle wird akustisch dargestellt, sozusagen die musikalische Artikulation mit ihren eigenen Mitteln. Die Klänge auf dem Klavier kommen erst langsam ins Stück hinein."

    Sprache soll sich mit den Tönen des Klaviers verbinden. Dabei formieren sich die Orchestermusiker zu kleinen Gruppen, die chorisch sprechen. Auch der Klang - oder die Farbe eines Wortes oder einer Silbe - erfährt Ausdeutungen.

    "Wenn ich das Wort "ich" habe, dann kann es sein, dass die Blechbläser das "chhh ..." aufgreifen, und dass noch irgendwelche Verwandlungen kommen, es kann aber auch sein, dass ein Wortaspekt klangfarblich aufgegriffen wird. Zum Beispiel ein Wort wie "nah". Dann ist das auch ein Laut, der sich öffnet, es könnte sozusagen crescendierender Klang mit Nachhall sein, der sich da ranhängt. Und natürlich kann auch die Bedeutung des Wortes Konturen nach sich ziehen, also eine metaphorische Transformation. Diese drei Aspekte: Die Landschaft wird jetzt viel mehr zum Zeichen, sie wird nicht allein zum innermusikalischen Modell, sondern sie wird zeichenhaft entlang der Sprache. Und die Sprache reflektiert auf ihre Weise das Phänomen des Landschaftlichen im Ich."