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Perspektiven einer neuen Weltordnung

Als Albertus-Magnus-Professor gastierte der amerikanische Linguist und Philosoph Noam Chomsky nun in Köln. In den USA genießt der Wissenschaftler Popstar-Status - nicht zuletzt wegen seiner subversiven Weltbetrachtung. Auch hierzulande füllte er immerhin zwei große Hörsäle.

Von Kersten Knipp |
    Kann es sein, dass einige politische und kulturelle Rollen derzeit weltweit neu verteilt werden? Es könnte sein, meint Noam Chomsky, und er ist sich sicher, dass seine Beobachtungen mehr als bloß "wishfull thinking", Tagträume eines linken Intellektuellen sind. Es ändert sich derzeit einiges, ändert er, auch in seinem eigenen Land, den USA. Tea Party, christliche Fundamentalisten, Waffennarren: ein merkwürdiges, ein verquastes Weltbild greife in seiner Heimat um sich. Ein Weltbild allerdings, das irdische konkrete Ursachen habe.

    "Es gründet auf großer Wut, auf Hass auf die Institutionen, einschließlich der Regierungen. Diese Wut geht auf erhebliches Leid zurück, hervorgerufen durch 30 Jahre neoliberaler Politik, die nun die üblichen Effekte zeigt. Während ein ganz geringer Prozentsatz der Bürger – weniger als ein Prozent – unermesslich reich wurde, stagnierte für die meisten der Lebensstandard. ... Daraus erwuchs erhebliche Furcht und Wut, Misstrauen, der Eindruck, dass etwas falsch läuft, dass man sein Land verloren hat und es nun zurückbekommen muss."

    Verbitterung im Westen, Aufbruchstimmung im Osten – eine verkehrte Welt, jedenfalls aus traditioneller Perspektive. Aber die, meint Chomsky, wird sich umstellen müssen, und zwar schleunigst. Sonst verpasst sie nämlich den Anschluss an die Realitäten. Und damit an die Einsicht, dass die arabische Welt vom Westen zumindest in politischer Hinsicht nicht viel wissen soll. Aus guten Gründen, meint Chomsky. Denn der Westen stehe den arabischen Revolutionen nur bedingt freundlich gegenüber. Eigentlich aber noch nicht einmal das.

    "Der Westen ist strikt gegen diese Revolutionen. Die USA, Großbritannien und Frankreich werden alles in ihrer Macht stehende tun, um die Demokratie in dieser Region auszubremsen. Denn wenn die Demokratie sich dort etabliert, werden die westlichen Staaten aus dem Nahen Osten hinausgeworfen. Man braucht bloß die öfentliche Meinung in der arabischen Welt zur Kenntnis zu nehmen. Die meisten Araber fürchten Israel und die USA mehr als den Iran. Das macht den westlichen Staaten große Sorgen. Wenn die öffentliche Meinung die Politik bestimmen würde, würden die USA und ihre Alliierten nicht nur die Kontrolle über die Region verlieren – sie würden aus ihr hinausgeworfen."

    Das ist merkwürdig. Denn eigentlich haben die Amerikaner mit Barack Obama doch einen Hoffnungsträger an ihre Spitze gewählt, eine Lichtgestalt des internationalen Dialogs, einen Menschen, der es im Handumdrehen zum Friedensnobelpreisträger brachte. Gut möglich, dass das eine verzerrte Wahrnehmung ist, meint Chomsky. Angesichts der arabischen Revolutionen verhalte Obama sich ausgesprochen zaghaft. Warum?

    "Das ist Obama. Er gehört in dieser Hinsicht zu den eher reaktionären Präsidenten. Aber er hat eine nette Rhetorik, und die Leute mögen das. Er sieht freundlich aus, er ist anders als Bush. Bush war sehr arrogant. Und nicht nur Bush, sondern seine ganze Regierung. Jemand wie Colin Powell ging in die Vereinten Nationen und sagte, Ihr Looser seid weit davon entfernt, irgendwie bedeutend zu sein. So etwas hören die Eliten nicht gern. Sie hören lieber, wenn man Ihnen sagt: Wir mögen euch, Ihr seid unsere Partner, aber Ihr seid irrelevant. So ungefähr hält es Obama. Und darum mögen die Eliten Obama, akzeptieren sie ihn."

    Aber noch sind die USA die politisch und ökonomisch bedeutendste Macht der Welt. Also müssten sie sich an die Spitze einer fortschrittlichen, will bei Chomsky sagen: linken Politik stellen. Ob sie das aber tun werden. Chomsky ist nicht unbedingt ein Pessimist. Aber ein Optimist in er in dieser Frage auch nicht.

    "Wenn die USA sich Veränderungen in den Weg stellt und nichts passiert, aber auch, wenn sie die Führung in einer neuen Politik der Veränderung nicht übernimmt – schließlich sind die USA immer noch der einflussreichste Staat der Welt –, dann werden sich die Dinge weiterhin in die falsche Richtung entwickeln, vielleicht in eine tödliche Richtung."