Archiv

Perspektivlosigkeit
Spaniens Jugend hat ein Alkoholproblem

Bier, Schnaps und andere Spirituosen: Knapp 80 Prozent der spanischen Jugendlichen unter 18 Jahren betrinken sich regelmäßig. Viele von ihnen sehen keine Zukunftsperspektive, was vor allem an der hohen Jugendarbeitslosigkeit liegt. Sozialarbeiter sind überfordert.

Von Hans-Günter Kellner |
    Hunderte von Jugendlichen haben sich am 02.05.2005 am Plaza de Toros in Granada zu einem "botellon" getroffen. In Spanien treffen sich Jugendliche regelmässig zum "botellon", einem öffentlichen Trinkgelage.
    Viele Jugendliche in Spanien fangen schon mit 13, 14 Jahren an, Alkohol zu trinken. (dpa / picture-alliance / Miguel Angel Molina)
    Freitagnacht im Madrider Szeneviertel Malasaña. Jugendliche strömen in die Kneipen und Discos, einige mixen schon auf der Straße Rum und Cola in Bechern. Ein etwa 17-Jähriger kommt aus der U-Bahn - Jeans, Pullover, die Jacke lässig in der Hand. Eine junge Mitarbeiterin des Roten Kreuzes spricht ihn an. "Wieviel copas" – also Mixgetränke mit Rum oder Wodka – "trinkst Du so im Monat", fragt sie. Die Antwort: "Viele. Jetzt an den Feiertagen mit den langen Wochenenden sind es sicher sechs oder sieben am Tag."
    Das Gespräch ist Teil des Präventionsprogramms "¿Sales Hoy?", auf deutsch etwa: "Gehst Du heute aus?". Streetworkerin Cristina Llamas will junge Menschen möglichst behutsam für die Gefahren legaler und illegaler Drogen sensibilisieren.
    "Es ist ja nicht dasselbe, mit 15 Jahren Alkohol zu trinken oder mit 25. Mit 15 ist das Gehirn noch nicht vollkommen entwickelt, insbesondere der Teil, in dem die Vernunft regiert. Diesen "präfrontalen Cortex" entwickeln wir erst später. Die Jugendlichen fangen aber schon mit 13 oder 14 Jahren an zu trinken. Wir wollen sie vor den Risiken warnen und das Einstiegsalter so weit wie möglich nach hinten verschieben."
    "Rauschbrille" zur Prävention
    Die junge Frau verteilt Brillen, die den vernebelten Blick beim Vollrausch simulieren. Die Jugendlichen sollen damit versuchen, einen Schlüssel in ein Türschloss zu stecken oder einem Plastikpenis ein Präservativ überzuziehen. Es wird viel gelacht, aber dieser Jugendliche hat für diese Nacht trotzdem noch nicht genug:
    "Na ja, bislang habe ich nicht sehr viel getrunken - eine Flasche Wein und zwei Cuba Libre. Jetzt will ich noch ein paar Drinks nehmen. Ja, ich trinke wohl schon viel."
    Unterdessen schwitzen rund 15 Jungs und Mädchen im Kraftraum des städtischen Sportzentrums im Arbeiterstadtteil Vallecas. "Quiere te mucho" – Liebe Dich selbst – heißt dieses Präventionsprogramm . Manche kommen, weil Ihren Eltern dann die Geldbuße erlassen wird. Denn trinken im öffentlichen Raum ist in Madrid verboten und wird mit bis zu 600 Euro geahndet.
    Andere kommen freiwillig - aus Spaß am Sport - "Spaß", ist für den erst 14-jährigen Pedro aber auch der Grund, warum er sich am letzten Wochenende betrunken hat: "Es waren die Fiestas im Dorf meiner Eltern. Das war schon lustig. Am nächsten Tag hatte ich natürlich einen heftigen Kater. Ich war wohl schon ganz schön betrunken. Man muss natürlich seine Grenzen kennen."
    Deprimierende Zukunftsaussichten
    Doch die wahren Hintergründe für den Alkohol- und Drogenkonsum der Jugendlichen liegen oft tiefer. Neben Pedro sitzt sein 16-jähriger Freund Oscar. "Die Zukunft ist längst geschrieben. Man kann versuchen, etwas zu ändern. Aber wenn Du schon auf einer Bahn bist, geht Dein Leben in diese Richtung. Du kannst nur abwarten, was kommt. Ich glaube schon lange nicht mehr an Träume."
    Die Jugendlichen denken sich die deprimierenden Zukunftsaussichten nicht aus. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Spanien immer noch bei knapp 42 Prozent. Wer da von der Familie statt Unterstützung nur Ärger zu erwarten hat oder aus einem sogenannten "bildungsschwachen Haushalt" stammt, hat es noch schwerer. Der 17-jährige Juan trainiert gerade auf dem Laufband, raucht aber auch regelmäßig Cannabis, seit sein Vater ihm den ersten Joint gedreht hat - und weil er glaubt, sonst aggressiv zu werden:
    "Zwei oder drei Joints sind es in der Woche. Und zwei oder drei Zigaretten am Tag. Ich bin gestresst. Ich lebe in einem offenen Jugendheim, wie die meisten hier. Das ist nicht gerade schön dort. Aber wenn ich bei meinen Eltern bin, ist es noch anstrengender. Da kommt viel zusammen."
    Interesse für die Sorgen der Jugend gering
    Der Drogenkonsum störe die Gesellschaft, weil die Jugendlichen dann laut würden oder in Hauseingänge urinierten, meinen Sozialarbeiter frustriert, aber sonst sei das Interesse für ihre Sorgen und Ängste gering. Den Besuch im Sportzentrum, wie auch einen Selbstverteidigungskurs, eine Sendung beim Stadtteilradio, einen Workshop zum Flirten oder zur Konfliktverarbeitung organisiert Erzieher César Gil. Seine nüchterne Bilanz:
    "In Spanien sind 85 Prozent der Jugendlichen Drogenkonsumenten. Alkohol, Zigaretten, Cannabis. 30 Prozent werden dabei dieses Wochenende die Kontrolle über sich selbst verlieren. Bei 15 Prozent ist es jedes Wochenende so, viele rauchen vier, fünf Joints am Tag. Wir wollen den jungen Leuten zeigen, dass man Spaß auch ohne Drogen haben kann. Wie schwer das ist, sehe ich aber in meiner eigenen Familie. Auch für meinen 20-jährigen Sohn gehört Alkohol zu einer guten Fiesta dazu."