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Perthes: Restliche Al-Kaida-Führung wahrscheinlich auch in Pakistan

Was wusste Pakistan über den Aufenthalt von Osama bin Laden? Für Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, ist es naheliegend, dass zumindest der pakistanische Geheimdienst ISI gewusst habe, wo sich der Terror-Chef aufhält.

Volker Perthes im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Einen Architekturpreis bekommt Osama bin Laden postum nicht für die Festung, in der er sich verschanzt hatte. Der triste Kasten hinter meterhohen Mauern verströmt eher den Charme einer geschlossenen Tankstelle. Aber die Immobilie liegt für pakistanische Verhältnisse in einer exquisiten Lage. Abbottabad liegt auf 1300 Metern, wird auch im Sommer von einer angenehmen Brise umspielt, und das macht den Ort für reiche Militärrentner und gebildete Hochschulprofessoren so angenehm, die es sich allesamt in der Nachbarschaft des Terrorpaten bequem gemacht hatten. Pakistan macht deshalb der sehr plausible Verdacht zu schaffen, im Land habe man gewusst, wo Osama bin Laden steckt. Bei uns am Telefon nun Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Perthes.

    Volker Perthes: Guten Tag, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Perthes, welches Land ist denn nun die Terroristenhochburg, Afghanistan oder Pakistan?

    Perthes: Tatsächlich eher Pakistan. Zumindest halten sich hier mehr Terroristen auf, wenn wir nicht jeden, der Gewalt anwendet gegen eine Regierung, als Terroristen bezeichnen, sondern sagen, die einen sind Guerillas, sind Aufständische – das gilt sicherlich für die Taliban, eine Bewegung, die schon mal an der Macht war, die gerne wieder an die Macht will, sich auch gerne an die Macht kämpfen will -, in Pakistan dagegen tatsächlich Terroristen, die aus Pakistan heraus, aus Trainingslagern dort Anschläge auch in anderen Regionen der Welt, allerdings auch in Pakistan selbst vorbereiten.

    Kapern: Der ehemalige afghanische Minister Farhang hat in einem Interview gesagt, die pakistanische Regierung habe immer und zu jeder Zeit gewusst, wo Osama bin Laden steckt. Glauben Sie ihm?

    Perthes: Ich glaube da eigentlich kaum jemandem und ich glaube auch nicht, dass Herr Farhang das genau weiß. Aber die Vermutung, dass die pakistanische Regierung, oder zumindest Teile des pakistanischen Regierungsapparats, insbesondere des Geheimdienstes ISI gewusst haben, dass bin Laden sich in dem Haus befindet, wo er gestellt worden ist, zumindest in den letzten Jahren, die Vermutung ist schon sehr naheliegend.

    Kapern: Aber, Herr Perthes, wie kann das sein, dass in einem Land, das immerhin über Atomwaffen verfügt, offenbar eine so gespaltene Administration existiert, dass der eine Teil das Gegenteil dessen tut, was der andere öffentlich beteuert?

    Perthes: Na ja, der Gegensatz zwischen öffentlichen Beteuerungen und Dingen tatsächlich tun, den gibt es sicherlich nicht nur in Pakistan, sondern auch in einer Reihe anderer Länder. Aber was wir hier haben ist tatsächlich ein Gegensatz von Agenden von Verbündeten. USA und Pakistan sind Verbündete, beide bekennen sich zum Kampf gegen den Terror, aber sie meinen ganz unterschiedliche Dinge damit. Für die Amerikaner geht es tatsächlich darum, militante Kräfte, die international und insbesondere gegen Amerika Anschläge vorbereiten und ausführen könnten, zu stellen, unschädlich zu machen, was auch immer. Für Pakistan gibt es eine Unterscheidung zwischen, wenn man so sagen will, den guten Extremisten und den schlechten Extremisten, und unter den schlechten Extremisten und Terroristen versteht man die, die im eigenen Land Anschläge vorbereiten, oder Teile des Landes regierungsunfähig machen, unregierbar machen, und unter den guten Taliban, guten Extremisten, guten Terroristen versteht man diejenigen, die regional unterwegs sind und die Pakistan dabei helfen, Einfluss zu gewinnen, etwa über Afghanistan, oder die Pakistan dabei helfen, seinen Konflikt mit Indien über Kaschmir auszutragen.

    Kapern: Wenn es tatsächlich so ist, dass da zwei völlig unterschiedliche Verständnisse des Begriffes Terrorismus existieren, können dann solche Länder weiterhin, sagen wir mal, die Fassade einer Kooperation aufrecht erhalten, oder wäre es nicht besser, dann für klare Fronten zu sorgen?

    Perthes: Wahrscheinlich wäre es ehrlicher und verständlicher, auch für die Gesellschaften in beiden Ländern, wenn man sagt, wir haben hier unterschiedliche Agenden. Gleichwohl: Aus amerikanischer Sicht ist es so, dass man sagt, Pakistan ist ein ganz schlechter Partner, es ist ein Partner, zu dem wir kein Vertrauen haben, aber wir haben auch keinen besseren und wir brauchen Pakistan. Insbesondere geht es dabei um das Militär und den militärischen Geheimdienst. Man weiß, dass die zivilen Regierungen nicht sehr viel besser sind, dass sie schwach sind, dass sie korrupt sind. Man weiß, dass das Militär die Institution ist, die im Zweifelsfall das Land zusammenhält. Man weiß aber gleichwohl, dass man das Militär, auch wenn man es mit einer Milliarde Dollar im Jahr unterstützt, aus den USA nicht kontrollieren kann und dass die tatsächlich ihre eigene Agenda verfolgen und wahrscheinlich genauso wenig Vertrauen in die Amerikaner haben, wie die Amerikaner in das pakistanische Militär.

    Kapern: Was denken Sie, wird die US-Regierung jetzt die neu gewonnenen Erkenntnisse oder sich verdichtenden Erkenntnisse darüber, dass Teile des pakistanischen Staates mit Al-Kaida gemeinsame Sache machen, nutzen, um Pakistan die Daumenschrauben anzusetzen?

    Perthes: Ja genau so wird es wahrscheinlich sein. Das ist ja nicht neu, dass Teile des ISI, also des pakistanischen Militärgeheimdienstes, Al-Kaida-Elemente geschützt haben, versteckt haben, oder eben auch die Taliban in Afghanistan, oder andere Terrororganisationen wie die Laschkar e-Taiba, die zuständig war und die sich verantwortlich erklärt haben für den Anschlag in Mumbai vor einigen Jahren, geschützt haben, beherbergt haben. Und man nutzt dieses Wissen eigentlich, um Druck auszuüben und zu sagen, nun ja, wir wissen, ohne dass wir darüber reden, dass ihr hier tatsächlich eine andere Politik habt, aber liefert wenigstens dieses oder jenes, arbeitet wenigstens hier und da zusammen, behindert uns nicht, wenn wir wie gestern gegen bin Laden vorgehen, lasst uns Drohnenangriffe fliegen gegen Ziele in Pakistan, auch häufig von pakistanischen Flughäfen aus, auch wenn ihr dann hinterher sagt, ihr habt damit nichts zu tun gehabt, oder uns sogar öffentlich auffordert, das sein zu lassen. Das ist eine Politik, die nicht offen ist, die aber von den Geheimdiensten beider Länder miteinander geführt wird, in großem Misstrauen, aber man weiß von dem Misstrauen gegeneinander.

    Kapern: Steckt der Rest der Al-Kaida-Führung auch in Pakistan?

    Perthes: Das ist relativ wahrscheinlich, dass zumindest einige aus der historischen Führung von Al-Kaida, also der Stellvertreter Bin Ladens, Sawahiri, oder möglicherweise auch die eine oder andere jüngere Kraft in der historischen Führung irgendwo in Pakistan unterwegs sind. Bisher hat man immer in das Grenzgebiet, was nicht wirklich regiert wird, also die autonomen, tribalen Gebiete, geschaut, oder nach Karatschi, eine Stadt, die auch kaum regierbar ist, kaum überschaubar ist, aber offensichtlich muss man auch in einige vornehmere Wohngebiete schauen in der Umgebung von Islamabad, vielleicht in Islamabad selbst. Gleichwohl, wenn wir sagen, ist der Rest der Führung von Al-Kaida in Pakistan, dann gilt das nur für die historische Führung. Wir haben zurzeit wahrscheinlich sehr viel stärkere Zellen von Al-Kaida im Jemen oder im Irak, möglicherweise auch in Teilen des Maghreb.

    Kapern: Könnte es denn sein, dass die US-Regierung die jetzt gewonnenen Erkenntnisse, die peinlichen Erkenntnisse über das Mitwissen der pakistanischen Regierung, nutzen kann, um diejenigen Al-Kaida-Führer, die sehr wohl in Pakistan sind, jetzt in nächster Zeit gefangen nehmen zu können oder stellen zu können?

    Perthes: Ja, das könnte Teil eines solchen nicht veröffentlichten impliziten Deals sein, Teil auch des Drucks, den man versuchen wird, von Amerika aus auszuüben auf den pakistanischen Militärgeheimdienst, zu sagen, wir haben euch hier erwischt, nun gebt uns Informationen über zwei, drei andere Leute. So etwas hat es in der Vergangenheit auch schon gegeben und dann hat es immer auch wieder Kooperation gegeben, worauf die Pakistani ja bestehen und sagen, wir kooperieren seit vielen Jahren, etwa bei der Festnahme von Scheich Mohammad, dem Planer der Anschläge vom 11. September, der seitdem in Guantanamo sitzt.

    Kapern: Könnte – letzte Frage, Herr Perthes – der pakistanische Präsident im Geheimdienst ISI aufräumen, wenn er wollte?

    Perthes: Ich glaube, er könnte das nicht. Er ist zu schwach und letztlich ist die pakistanische Regierung abhängig vom Militär.

    Kapern: Volker Perthes war das, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für das Gespräch heute Mittag im Deutschlandfunk. Auf Wiedersehen, Herr Perthes.

    Perthes: Auf Wiederhören! Danke auch.