Archiv

Peru
Rituale für Mutter Erde und die Berggötter

Als die Spanier Südamerika eroberten, brachten Missionare auch die Glaubensvorstellungen der römisch-katholischen Kirche mit. Sie versuchten, sie der dort lebenden Bevölkerung überzustülpen. Die uralten Rituale aber überleben bis heute.

Von Tini von Poser |
    Drei Mädchen in traditionellen Gewändern und Hüten posieren während der Kartoffelernte für Fotos
    Ein Großteil der Bewohner in Cusco bezeichnet sich als katholisch und praktiziert dennoch andine Rituale. (AFP / Ernesto Benavides)
    "Die Opfergaben an die Mutter Erde sind ein Ritual, das zwei, drei Stunden dauern kann. Die Opfergabe wird mit einem bestimmten Saatgut zubereitet, mit Konfetti, mit Süßigkeiten, Kokablättern. Das wird dann an einem Berg verbrannt. Es gibt etwa Rituale für Tiere. Alle Rituale sind mit dem menschlichen Leben verbunden und der Produktion der Erde. Also mit allem, was Leben hervorbringt und es erhält."
    Seit über 40 Jahren wohnt der spanische Jesuitenpater José María García in einem abgelegenen Bergdorf in der Nähe von Cusco in Südperu. Er habe sich in die idyllische Berglandschaft verliebt und in die warmherzigen Menschen der Region, sagt der 70-Jährige. Ein Großteil der Bewohner in Cusco bezeichnet sich als katholisch und praktiziert dennoch andine Rituale, die vermutlich noch aus der Zeit vor den Inka stammen. Die Menschen hier widmen ihre Rituale der Mutter Erde oder den Berggöttern. Von streng gläubigen Katholiken wird das oft als Aberglauben abgetan, weiß José María García.
    "Für mich stellen die Rituale weder ein Trauma noch ein Problem dar. Ich habe an vielen teilgenommen. Ich weiß sogar, wie man die Opfergaben an die Mutter Erde zubereitet. Das bringt mich in keinen Konflikt. Ich verrate weder Gott noch sonst jemanden."
    Der Apu, der Berggott, repräsentiert dabei Jesus Christus. Die Pacha Mama, die Mutter Erde, ist weiblich und repräsentiert Maria, die Gottesmutter. In der Region Cusco lebt fast ausschließlich die indigene Bevölkerung der Quechua. Während der Rituale trinken sie Chicha, ein aus Mais gewonnenes alkoholisches Getränk, oder süßen Wein. Es symbolisiert das Blut Christi.
    "Diese Rituale sind sehr weit verbreitet. Heute bedeutet hier diese Lebensart, den katholischen Glauben zu praktizieren. Viele nennen das Synkretismus. Ich finde aber, von Synkretismus zu sprechen, ist rassistisch und respektlos gegenüber den Menschen hier. Ich denke, man sollte eher von Synthese sprechen."
    Synkretismus ist oft negativ belegt
    Andreas Feldtkeller, Professor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin, forscht im Bereich interkulturelle Theologie:
    "Der Begriff Synkretismus spricht immer aus einer bestimmten Perspektive. Und bedeutet so etwas wie die Feststellung, dass etwas miteinander verbunden wird, was eigentlich gar nicht miteinander verbunden gehört, aber das ist natürlich immer aus der Sicht einer bestimmten Person, die eine feste Vorstellung hat, was man miteinander verbinden darf und was nicht."
    Der spanische Jesuitenpater José María García geht noch weiter. "Denn beim Synkretismus wäre es, wie in einer Schizophrenie zu leben, nach dem Motto: Jetzt bin ich im andinen Glauben und nun im katholischen."
    Versuche, den Begriff des Synkretismus von negativen oder abwertenden Konnotationen zu befreien, würden dennoch meist scheitern, sagt Andreas Feldtkeller. Hinzu komme eine oftmals eurozentrierte Sichtweise:
    "Nur wird dabei eben vergessen, dass wir hier in Europa auch nicht frei von solchen Dingen sind und uns nur das Bewusstsein dafür abhandengekommen ist, dass bei uns, was nicht ursprünglich Christentum ist, praktiziert wird, als wäre es etwas christliches, aber bei uns niemand darüber nachdenkt, ob wir das dürfen und ob das Synkretismus ist."
    Als Beispiel verweist Feldtkeller auf den Weihnachtsbaum: Der immer grüne Nadelbaum ist im nordeuropäischen Kulturraum ein wichtiges Symbol dafür, dass nach einem langen Winter die Fruchtbarkeit der Natur nicht völlig verschwindet.
    "Und das Ganze hat mit Christentum überhaupt nichts zu tun, aber ist natürlich ein schönes Symbol, das man damit verbinden kann, dass Jesus Christus derjenige ist, der den Tod überwunden hat und nach jeder Erfahrung des Absterbens auch wieder neues Leben Auferstehung symbolisiert. Also auch auf diese Verbindung von dem nicht christlichen Symbol des Weihnachtsbaums und des Christusglaubens kann man aus der Perspektive blicken, das ist Synkretismus."
    Vielfalt religiöser Ausdrucksweisen
    Anders als José María García hält Andreas Feldtkeller auch den Begriff Synthese für nicht angebracht. "Der Begriff Synthese hat natürlich auch irgendwo die Vorstellung, dass hier zwei verschiedene Dinge miteinander verbunden werden. Das ist sicherlich ein freundlicherer Begriff, das zum Ausdruck zu bringen, aber ich denke nur einfach, auch das ist kein neutraler Begriff, sondern er blickt aus einer bestimmten Richtung auf diese Praxis."
    José María García rät unterdessen, die Vielfalt religiöser Ausdrucksformen zu entdecken. Das Christentum, das den Anspruch habe, eine Botschaft für die ganze Welt zu formulieren, lebe geradezu davon:
    "Einige Rituale stammen aus der andinen Kultur, andere sind katholisch, die die Menschen in ihrem täglichen Leben praktizieren. Es scheint mir kein Übel, sondern Reichtum. Ich denke, dass sich die Botschaft Christi an alle Kulturen richtet, nicht nur an eine, an alle. Wir sollten also offen sein, das so zu sehen, anstatt Schranken zu setzen."