Der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln steht in der Kritik - unter anderem wegen des Rückgangs der Artenvielfalt allgemein (von der Feldlerche bis zum Frosch) und besonders wegen des Insektensterbens. Pestizide wirken natürlich nicht nur wachstumshemmend oder tödlich auf die Schädlinge, sondern auch auf die Umgebung wie Boden und Gewässer und alle darin lebenden Organismen. Entscheidend ist dabei nicht nur die eingesetzte Menge der Pestizide, sondern auch das ökotoxikologische Gefährdungspotenzial durch immer wirksamere Pflanzenschutzmittel.
Nun haben sich 24 agrarwissenschaftliche Forschungseinrichtungen aus 16 europäischen Ländern zusammengeschlossen und die Initiative für eine pestizidfreie Landwirtschaft unterzeichnet. Das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, das Julius-Kühn-Institut, nimmt ebenfalls teil. Dazu ein Interview mit der Agrarwissenschaftlerin Silke Dachbrodt-Saaydeh vom Kühn-Institut.
Mit Kleingeräten automatisch über Obstanlagen fahren
Britta Fecke: Frau Dachbrodt-Saaydeh, wie soll denn die Zusammenarbeit von 24 Einrichtungen aus 16 europäischen Ländern koordiniert werden?
Silke Dachbrodt-Saaydeh: Zunächst ist es ja erst mal so, dass sich natürlich diese Agrarforschungsallianz diesem gesellschaftlichen Wunsch gestellt hat und den Wandel in der Landwirtschaft unterstützen möchte. Dazu haben diese Forschungsinstitutionen sich entschlossen, sich als Think Tank zu organisieren, und sehen sich als Impulsträger, als eine kritische Masse, um neue Ideen und systemische Forschungsansätze zunächst ohne Grenzen frei denken und entwickeln zu können. Es wird dazu in verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen interdisziplinär zusammengearbeitet. Dort werden Themenfelder wie biologische Methoden beispielsweise, genetische Grundlagen diskutiert. Es werden von den Wissenschaftlern mit ihrer großen Expertise Anbausysteme und verschiedene Agrotechnologien diskutiert und auch ökonomische Fragestellungen selbstverständlich angesprochen. Und es wird damit die europäische Expertise zu einem großen Grad gepoolt, um effizient zusammenarbeiten zu können.
Fecke: Nun ist das langfristige Ziel ja sehr hoch gesteckt, nämlich ganz auf die Anwendung von Pestiziden zu verzichten. Wie wollen Sie dahin kommen?
Dachbrodt-Saaydeh: Zunächst muss man sich wahrscheinlich auf dem Weg dorthin erst mal mittel- und kurzfristige Ziele setzen. Denkbar sind da zunächst technische Lösungen wie zum Beispiel die Präzisionslandwirtschaft. Da geht es darum, ganz punktgenau beispielsweise Unkrautnester oder auch den Pilzbefall der Kulturpflanzen zu kontrollieren. Wir können auch mit der Präzisionslandwirtschaft eine Mangelernährung im Feld erkennen. Wir können in Obstanlagen beispielsweise frühzeitig erkennen, wenn bestimmte Krankheiten zu erwarten sind oder auch schon auftreten, und diese dann tatsächlich punktgenau behandeln.
Fecke: Wie muss ich mir Präzisionslandwirtschaft vorstellen? Mit Drohnen, oder welche Möglichkeiten gibt es da?
Dachbrodt-Saaydeh: Die Drohnen-Technologie wird dazu bisher noch nicht genutzt. Es ist zukünftig durchaus denkbar. Aber zunächst finden solche Verfahren Anwendung wie beispielsweise Robotics, dass tatsächlich mit kleinen Geräten automatisch über Felder oder durch Obstanlagen gefahren wird, und bestimmte Unkräuter können visuell erkannt werden, punktgenau behandelt werden, oder auch durch mechanische Verfahren punktgenau zerstört werden. Ansonsten wird Pflanzenschutztechnik mit bestimmten Pflanzenschutzdüsen angewendet, die dann tatsächlich nur Teile der Pflanze oder des Obstgartens behandeln, wo tatsächlich auch Krankheitserreger auftreten.
"Wir müssen unsere Anbausysteme komplett neu denken"
Fecke: Geht es auch mehr in Richtung Züchtung?
Dachbrodt-Saaydeh: Wir haben natürlich mit der Züchtung eine wesentliche Grundvoraussetzung zu schaffen, um widerstandsfähige, krankheitsresistente und auch stresstolerante Pflanzen züchten zu können, und dafür bietet die Züchtung, die sich auf breite genetische Ressourcen stützt, einen wesentlichen Grundbestandteil in der Vorlaufforschung, die dann in der weiteren Entwicklung in die praxisrelevante Forschung und in die Übersetzung in widerstandsfähige Kulturpflanzen gebracht wird.
Fecke: Wenn in einer ferneren oder näheren Zukunft keine chemischen Pflanzenschutzmittel mehr angewendet werden, wie müssten denn dann die landwirtschaftlichen Systeme umgestellt werden?
Dachbrodt-Saaydeh: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn in unserem System, in dem wir uns heute bewegen, werden diese Techniken, wie sie im Moment laufen, nicht mehr funktionieren. Wir müssen unsere Anbausysteme komplett neu denken. Wir müssen die Kulturpflanzen widerstandsfähiger gestalten. Dazu wird die Züchtung einen ganz großen Beitrag leisten. Wir müssen beispielsweise auch bei der Bodengesundheit anfangen, damit unsere Pflanzen optimal ernährt und auch widerstandsfähig sind und in diesem gesunden System leben können. Das bedeutet aber auch gleichermaßen, dass wir vielfältige Kulturen anbauen müssen in Raum und Zeit, das heißt in der Landschaft unterschiedliche Strukturen und Kulturpflanzen haben, und auch über die Zeit über die Anbaufolge eine große Diversität erreichen können.
Es wird aber immer noch eine Herausforderung sein für einen ausreichenden und qualitativ hochwertigen Anbau, beispielsweise Schaderreger, die aus der Luft in die Bestände einfliegen – das können beispielsweise schädliche Insekten sein, oder es können auch pilzliche Schaderreger sein, die wir nach wie vor dann auch in einem gegebenen Maß kontrollieren müssen, und das wird eine große Herausforderung für die Zukunft sein.
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