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Peter Altmaier zur Flüchtlingspolitik
"Wir können Transitzonen so einrichten, dass sie keine Haft darstellen"

Kanzleramtschef Altmaier ist zuversichtlich, dass sich die Große Koalition auf eine Lösung der Flüchtlingskrise verständigt. Die künftigen Verteil- und Registrierzentren würden ohne "Zwang und Haft" auskommen, sagte er im Deutschlandfunk. Mit Blick auf eine Einigung betonte Altmaier, Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern müssten erkennen, dass es keinen Sinn mache, nach Deutschland zu kommen.

Peter Altmaier im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Kanzleramtschef Peter Altmaier, CDU, im Bundestag.
    Kanzleramtschef Peter Altmaier, CDU, im Bundestag. (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Altmaier betonte, man müsse zu einer Vereinbarung kommen, mit der ein klares Signal ausgesendet wird. Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern müssten erkennen, dass es keinen Sinn mache, nach Deutschland zu kommen. Dazu zählten Menschen aus den Balkanländern oder mit einer Wiedereinreisesperre. Die Chance, dass deren Antrag anerkannt werde, sei gleich null.
    Mit Blick auf die umstrittenen Transitzonen erklärte der CDU-Politiker, diese Einrichtungen könnten effizient organisiert werden. "Wir können diese Transitzonen so einrichten, dass sie effektiv arbeiten und dass sie trotzdem keine Haft darstellen", betonte Altmaier.
    Die Bearbeitung des Asylantrages sollte innerhalb weniger Tage oder Wochen erfolgen. Altmaier warb in diesem Zusammenhang dafür, sich an dem sogenannten Flughafenverfahren zu orientieren. Wo und wie die Registrier- und Verteilzentren eingerichtet werden sollen, ließ Altmaier allerdings offen. Er betonte, man werde diese Verhandlungen nicht in der Öffentlichkeit führen. Eine Lösung müsse aber in der Praxis funktionieren.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Ein Blick in das Wörterbuch der Flüchtlingskrise. Unter Buchstabe T steht die Transitzone. Sie steht für Registrierungszentren und Einrichtungen, in denen Beamte über Asylanträge entscheiden sollen. Möglichst rasch soll das geschehen. Unter Buchstabe E wie Einreisezentrum steht etwas sehr Ähnliches. Das eine, so weist das Wörterbuch aus, stammt aus der Ideenwerkstatt der Union, das andere Konzept aus der Werkstatt der SPD. Wo liegen die Unterschiede? Der Chef des Bundeskanzleramtes und der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung heißt Peter Altmaier und ist am Telefon. Guten Morgen.
    Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Warum sollte ein Flüchtling freiwillig in eine Transitzone gehen?
    Altmaier: Zunächst einmal kommt es darauf an, dass wir uns in der Koalition verständigen. Wir haben eine Einigungsverantwortung und deshalb arbeiten wir sehr daran, eine gemeinsame Linie zu finden, die dazu führt, dass Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern erkennen, dass es keinen Sinn macht, nach Deutschland zu kommen, weil die Chancen, dass ihr Antrag anerkannt wird, gleich null sind. Zweitens ist es so, dass viele Flüchtlinge ja in der Grenznähe ankommen, sich auch identifizieren können, und dann wird man ihnen sagen, dass sie ihren Asylantrag in dieser sogenannten Transitzone direkt an der Grenze zu stellen haben. Das ist etwas, was in vielfacher Hinsicht besprochen ist und was wir weiter mit den Sozialdemokraten besprechen werden. Wir können diese Transitzonen so einrichten, dass sie effektiv arbeiten und dass sie trotzdem keine Haft darstellen. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Übrigen ja auch bei den Transitzonen bestätigt.
    Grieß: Dazu kommen wir dann gleich noch mal. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja zu den Flughafen-Transitzonen geäußert in einem Urteil. Aber noch mal die Frage: Wenn ein Flüchtling sagt, Transitzonen, mag sein, ganz schön, da möchte ich aber nicht hin, was dann?
    Altmaier: Es ist ja so, dass auch beim Flughafenverfahren der Flüchtling, wenn er landet, gebeten wird, in einen bestimmten Bereich zu kommen und dort sein Asylverfahren durchzuführen, nirgendwo anders.
    "Wir führen unsere Koalitionsverhandlungen nicht im Deutschlandfunk"
    Grieß: Der Unterschied aber besteht ja nun darin, dass der Flughafen ein sehr umgrenzter Bereich ist und sie kommen da gar nicht raus. Aber an der offenen grünen Grenze ist das ja anders.
    Altmaier: Aber das lassen Sie uns doch mal dann je nach den unterschiedlichen Modalitäten der Ankunft in Deutschland gemeinsam mit dem Koalitionspartner diskutieren und festlegen. Wir haben sehr klare Vorstellungen, wie das geht. Allerdings sind wir auch der Auffassung, dass wir unsere Koalitionsverhandlungen nicht auf dem Deutschlandfunk morgens führen, so sehr das die Zuhörerinnen und Zuhörer vielleicht interessiert. Wir sind in sehr intensiven Gesprächen und ich werde alles tun, damit diese Gespräche erfolgreich sind. Das heißt: Eine Lösung, die in der Praxis funktioniert, eine Lösung, die ohne Haft auskommt, und eine Lösung, die dazu führt, dass die Einreise von Menschen aus sicheren Herkunftsländern in Zukunft stark zurückgeht.
    Grieß: Wissen Sie was, Herr Altmaier? Das glaube ich Ihnen auch, dass Sie da vieles oder alles tun, um diese Einigung zu erreichen. Aber die interessante Frage - und die ist auch für die Öffentlichkeit interessant: Wird da Zwang angewendet oder nicht?
    Altmaier: Wir haben bisher ganz klar gesagt, wir wollen keine Haft, und das heißt, es gibt dann keinen Zwang. Aber - und das ist der entscheidende Punkt - den gibt es beim Flughafenverfahren auch nicht. Und deshalb wäre ja schon viel gewonnen, wenn wir uns darauf verständigen würden, dass wir uns hier an diesem Flughafenverfahren orientieren. Es ist übrigens so: Wenn beim Flughafenverfahren jemand abgelehnt wird rechtskräftig, dann kann er in Abschiebegewahrsam genommen werden wie in allen anderen Fällen auch. Und dann kann er auch in ein Flugzeug gesetzt werden, um in sein Heimatland zurückzukehren. Der entscheidende Punkt, worüber wir diskutieren, ist doch, ob wir bei Menschen aus sicheren Herkunftsländern, wo 99 Prozent der Anträge abgelehnt werden, zulassen wollen, dass Menschen zunächst einmal nach Deutschland einreisen, dass sie einige Monate sich in Deutschland aufhalten und dann wieder, nachdem es erheblichen Aufwand gegeben hat in organisatorischer, personeller, auch in finanzieller Hinsicht, Deutschland verlassen müssen in einem mühsamen Abschiebeverfahren, oder ob wir sagen, wenn ihr aus einem solchen Land kommt, dann verfolgt ihr euren Antrag bitte in einer solchen Einrichtung. Es wird schnell und rechtsstaatlich geschehen, ihr könnt Berufung einlegen, wie das in allen anderen Fällen auch ist, und dann kann man innerhalb von wenigen Tagen solche Verfahren durchführen.
    "Es gibt eine klare Messlatte"
    Grieß: Was Sie sagen, Herr Altmaier, und auch das, was Sie nicht sagen, das zeigt mir zumindest, dass die Frage nach dem Zwang doch die entscheidende ist, die sie noch nicht ausdiskutiert haben. Lassen wir es mal dabei. Das wird ja dann schon noch interessant werden. Aber wenn Sie sagen, wenn Sie sozusagen damit locken und an die Adresse der Flüchtlinge gerichtet sagen, kommt in die Transitzentren, hier wird euch ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert, und wenn ihr das nicht tut, dann bekommt ihr womöglich bestimmte Sozialleistungen auch nicht, da sind Sie doch sehr nah am Konzept der SPD.
    Altmaier: Wir haben jedenfalls unser Konzept so formuliert, dass wir glauben, dass es für alle, die in dieser Diskussion sich beteiligen, interessant ist. Wir sind auch gewillt uns zu einigen. Aber es gibt eine klare Messlatte und das heißt, werden wir es damit schaffen, ein deutliches Signal zu geben, dass Menschen aus sicheren Herkunftsländern in Deutschland keine Chance haben, erst einmal einzureisen und dann viele, viele Monate lang die Behörden und die Gerichte zu beschäftigen. Diese Frage ist die zentrale Frage. Darüber werden wir diskutieren. Wir haben es übrigens gemeinsam bereits geschafft, die Zahl der Rückführungen abgelehnter Bewerber deutlich zu erhöhen. Das ist auch ganz wichtig, damit wir diejenigen Menschen, die Schutz brauchen, auch in Deutschland angemessen aufnehmen und unterbringen können. Es ist ja so, dass wir gleichzeitig in ganz, ganz vielen Fällen immer den Menschen noch Schutz gewähren müssen, weil sie tatsächlich verfolgt werden, und auf diese Menschen wollen wir uns vorrangig konzentrieren.
    Grieß: Entschuldigung, Herr Altmaier! Ich möchte mich kurz noch auf eine andere kurze Frage konzentrieren. Bei dieser Frage nach Transitzentren geht es vor allem und vorrangig - und es bleibt dabei - um Flüchtlinge, die aus Balkan-Ländern oder anderen sicheren Herkunftsstaaten kommen?
    Altmaier: Wir haben in unserem Papier eine Reihe von Kriterien aufgelistet: Sichere Herkunftsländer, das sind derzeit vor allen Dingen die Balkan-Länder, Flüchtlinge, die eine Wiedereinreisesperre haben, Flüchtlinge, die Folgeanträge haben, Flüchtlinge, die nicht mitwirkungsbereit sind. Das sind die Personengruppen, um die es uns geht. Denen wollen wir ganz besonders schnell, aber trotzdem rechtsstaatlich ein Asylverfahren gewähren, mit einer Entscheidung innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen. Das ist unser Ziel und ich glaube, dieses Ziel wird auch in der Koalition konsensfähig sein.
    "Wir wollen keine Haft"
    Grieß: Das ist die eine Gruppe von Flüchtlingen, die Sie genannt haben. Dann gibt es die anderen Gruppen mit berechtigten Asylgründen, zum Beispiel viele Menschen aus Syrien, viele Menschen aus dem Irak und anderen Ländern. Noch mal praktisch gefragt, damit ich mir das auch vorstellen kann, vielleicht auch unsere Hörer: Wie wollen Sie diese beiden Gruppen an der Grenze auseinanderhalten?
    !Altmaier:!! Die meisten Menschen, die zu uns kommen über die Balkan-Route, verfügen über Ausweispapiere. Das heißt, sie können sich identifizieren. In anderen Fällen ist es relativ einfach, sie auch dann zu identifizieren, wenn sie ihre Papiere weggeworfen haben oder nicht dabei haben. Wenn jemand zum Beispiel Arabisch spricht, dann spricht sehr viel dafür, dass er aus dem Mittleren und Nahen Osten kommt und tatsächlich schutzbedürftig ist. Das wird dann noch genau geprüft. Wenn jemand in einer Sprache der Westbalkan-Staaten spricht, dann kann man näher prüfen, ob er aus diesen Regionen kommt. Da sind unsere Bundespolizisten mit geschultem Fachpersonal sehr wohl imstande, den großen Teil dieser Menschen so zu identifizieren, dass man sehr schnell weiß, wer wirklich schutzbedürftig ist, und dann ist es auch wichtig, dass diese Menschen so schnell wie möglich in Deutschland verteilt werden, damit sei dann ihr ganz normales Verfahren durchführen können.
    Grieß: Und diese Zentren sollen sämtlich an der Grenze, an der bayerisch-österreichischen Grenze entstehen und nicht, wie von der SPD vorgeschlagen, dezentral über die Bundesrepublik verteilt?
    Altmaier: Noch einmal: Wir führen hier keine Koalitionsverhandlungen.
    Grieß: Die sind ja eh schon zwei Jahre her.
    Altmaier: Ich glaube, dass es auf beiden Seiten verantwortliche Politiker gibt. Thomas Oppermann hat gesagt, er will keine Haft. Wir wollen auch keine Haft. Wir wollen es so machen wie im Flughafenverfahren. Über alle anderen Details reden wir intern und nicht in Interviews übereinander.
    Grieß: Aber wir müssen es ja wenigstens versuchen, Herr Altmaier.
    Altmaier: Das ist ehrenhaft.
    Schutzzonen in Afghanistan einrichten
    Grieß: In Ihrem Papier, sechs Seiten lang, wird auch Afghanistan erwähnt. Wie weit sind Ihre Überlegungen fortgeschritten, Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland zu machen?
    Altmaier: Im Augenblick geht es vor allen Dingen darum, dass wir Afghanistan besser schützen gegen Taliban und andere, die die demokratische Ordnung stürzen wollen. Deshalb wird die Bundeswehr länger in Afghanistan bleiben, ebenso wie unsere amerikanischen Partner und andere. Und wir wollen erreichen, dass diejenigen Menschen, die aus Afghanistan flüchten, weil sie vielleicht aus Gebieten kommen, wo es unsicher ist, dass es für diese Menschen sichere Bereiche gibt, in denen sie sich nicht nur aufhalten, in denen sie leben und arbeiten können.
    Grieß: Schutzzonen wird das genannt, glaube ich.
    Altmaier: Das ist unser Ziel. Wenn uns das gelingt, dann wird es sicherlich möglich sein, wesentlich mehr Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, nach Afghanistan zurückzuführen.
    Grieß: Teile von Afghanistan sollen zu sicheren Herkunftsregionen ernannt werden?
    Altmaier: Wir haben ja heute schon die Situation, dass es in Afghanistan Teile gibt, die relativ sicher sind. Wir leisten weiterhin mit der Bundeswehr einen Beitrag dazu, dass Sicherheit in Afghanistan aufrecht erhalten wird. Wir werden dafür sorgen, dass solche Schutzzonen in Afghanistan eingerichtet werden. Das bedeutet dann auch, dass es Bereiche gibt, in denen Menschen sicher leben können.
    Grieß: Bedeutet das mehr Militär für Schutzzonen?
    Altmaier: Wir haben nicht darüber gesprochen, ob es mehr Militär gibt, sondern wir haben darüber gesprochen, dass wir länger dort bleiben. Und alle anderen Fragen, inwieweit wir uns an der Einrichtung von Schutzzonen beteiligen, das werden wir im Laufe der nächsten Wochen schrittweise klären. Da sind wir sicherlich auch gut beraten, mit unseren Verbündeten und Partnern zu sprechen. Unser Ziel ist Sicherheit für die Menschen in Afghanistan, damit sie nicht gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.
    Grieß: Ist es ein Novum, dass Teile eines Landes zu sicheren Herkunftsregionen ernannt werden und nicht ein ganzer Staat?
    Altmaier: Nein, das ist kein Novum. Es gibt dies auch bisher in der Rechtsprechung, das ist anerkannt. Wenn es eine innerstaatliche Fluchtalternative gibt, dann gibt es die Möglichkeit. Dann wird ein Asylantrag abgelehnt und dann gibt es auch die Möglichkeit, dass eine Rückführung stattfindet.
    Grieß: Wir warten den Donnerstag ab, das Bund-Länder-Treffen. - Das war Peter Altmaier. Und wissen Sie, Herr Altmaier, was journalistisch attraktiv ist?
    Altmaier: Ja, sagen Sie es mir!
    Altmaier: Ende der Woche haben wir ein weiteres Interview mit Ihnen geplant, ein langes, 25 Minuten.
    Altmaier: Darauf freue ich mich.
    Grieß: Wir uns auch. - Danke schön! - Das war Peter Altmaier, der Chef des Bundeskanzleramtes im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.