Gute Idee, miserabel ausgeführt, meint der Journalist Oliver Weber. Lebendige Diskussionen seien nicht vorgesehen, stattdessen würden Rollentexte aufgesagt. ZDF-Chefredakteur Peter Frey widerspricht: Gäste und Themen seien abwechslungsreicher, als es die Kritiker wahrhaben wollen.
Contra: Gegenwärtige Talkshows trauen sich zu wenig
Oliver Weber, Journalist und Autor des Buches "Talkshows hassen" (Klett Cotta):
"Als Grundformat sind sie nicht überflüssig. Sie sind in zwei Hinsichten modern und wichtig für die Demokratie: Sie erreichen erstens ein Massenpublikum und zweitens tun sie das auf dem Wege der Diskussion. Das ist ein Format beziehungsweise eine Methode, die der Demokratie sehr wesensverwandt ist. Diese Eigenschaften machen Talkshows perfekt geeignet für eine Demokratie, die viel über sich zu sprechen hat, weil sie Krisen zu bewältigen hat. Dafür wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.
Aber gegenwärtige Talkshows bleiben hinter diesem Potenzial zurück. Sie trauen sich nicht, eine gewisse Variation in die Gästeauswahl zu bringen. Sie trauen sich nicht, einen Sprung ins Ungewisse zu wagen, indem sie zum Beispiel internationalere Gäste einzuladen, sie diskutieren Themen aus immer ähnlichen Perspektiven und zwängen Personen in eine gewisse Rollenlogik. Gäste müssen bei ihren Meinungsbeiträgen bleiben und sollen das über die ganze Diskussion durchhalten.
Das alles führt dazu, dass Talkshows ein Bild des Politischen vermitteln, das wenig Lust macht, dabei zu bleiben. Der Zuschauer schaut es vielleicht an, aber eigentlich bleibt nicht viel zurück, was Lust auf Politik macht. Denn dazu gehört eine gewisse Offenheit, ein gewisser Rechtfertigungszwang, dass man sich in ein Licht tauchen muss, in dem ganz andere Fragen aufkommen, die man sich vorher nicht gestellt hat. All diese Dinge gehören zu einer Diskussion, gehen aber in Talkshows unter."
Pro: "Wenn es die Talkshow nicht gäbe, dann müsste sie erfunden werden"
Peter Frey, ZDF-Chefredakteur:
"Ich freue mich erst einmal, dass OIiver Weber die Talkshow nicht im Prinzip infrage stellt, sondern sagt: Sie ist wichtig, sie erreicht ein Massenpublikum. Das sind natürlich meine wichtigsten Argumente.
Wenig Lust dabei zu bleiben? Dem widerspricht die Demografie ganz entschieden. Wir haben bei Maybrit Illner seit 20 Jahren jetzt Donnerstag für Donnerstag zweieinhalb Millionen Zuschauer. Es sind in den vergangenen Jahren mehr geworden. Das widerspricht der These, es gebe einen Überdruss an TV-Talkshows.
Wenn es die Talkshow nicht gäbe, dann müsste sie erfunden werden. Gerade jetzt in diesen Zeiten, da Menschen sich flüchten in die Echokammern, in die Blasen, bieten wir im Öffentlich-Rechtlichen ein Forum, wo Meinungen aufeinander prallen.
Wir erleben gerade, dass eine große deutsche Wochenzeitung – "Die Zeit" – eine neue Rubrik namens "Streit" geschaffen hat. Diesen Streit erleben wir im Fernsehen schon seit Jahrzehnten. Ich kann nur sagen: Ja zum kontroversen Talk, mit Amtsträgern, mit Bürgern, mit Wissenschaftlern, mit unterschiedlichen Perspektiven.
Ein Aspekt kommt noch hinzu: Man kann sich als Zuschauer nicht nur inhaltlich mit den Argumenten auseinandersetzen und zum Beispiel einen inneren Widerspruch entwickeln. Man schaut den Protagonisten zu, man kann sie beobachten. Menschen beim Argumentieren zu beobachten, ist ganz besonders interessant, um dann daraus seine eigene Meinung zu bilden."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.