Peter Handke wurde über Nacht zum Popstar der deutschen Literaturszene. 1966 war der damals 24 Jahre alte Autor zur Tagung der Gruppe 47 nach Princeton eingeladen worden, und hier begann sein Stern aufzugehen. Seine damals gehaltene spontane Rede, die zugleich eine gezielte Provokation darstellte, sorgte nicht nur für eine leicht pikierte Erheiterung bei den angegriffenen Teilnehmern, sondern im Anschluss auch für gehörigen Wirbel in den Feuilletons.
"Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht. Man sucht sein Heil in einer bloßen Beschreibung, was von Natur aus schon das Billigste ist, womit man Literatur überhaupt machen kann. Denn wenn man nichts mehr weiß, dann kann man immer noch Einzelheiten beschreiben. Es wird überhaupt keinerlei Reflexion gemacht."
"Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht. Man sucht sein Heil in einer bloßen Beschreibung, was von Natur aus schon das Billigste ist, womit man Literatur überhaupt machen kann. Denn wenn man nichts mehr weiß, dann kann man immer noch Einzelheiten beschreiben. Es wird überhaupt keinerlei Reflexion gemacht."
Hamm kritisierte Handke damals scharf
Handke hatte mit seinen Einlassungen die Tagung der Gruppe 47 gekapert. Man sprach nur noch von ihm. Der fünf Jahre ältere Literaturkritiker und Lyriker Peter Hamm fand damals das Phänomen oder, wie er es bezeichnet, den Fall Handke äußerst bedenklich. In einem Artikel für die Zeitschrift Konkret sah er Handke als neuesten Vertreter der "deutschen Innerlichkeit", und das war in revolutionären Zeiten kaum als Kompliment zu verstehen. Nicht der Autor Handke sei "in", sondern dessen Image. Und dieses Image beruhe primär darauf, dass der Shooting Star des Literaturbetriebs und der Theaterszene es verstehe, als Außenseiter aufzutreten - ohne wirklich einer zu sein. 1969 konnte der Vorwurf der Innerlichkeit ein vernichtender sein.
"Handkes zwanghafte Artistik und sein Versuch, stets up to date zu sein, lassen sich logisch nur erklären aus einem totalen Desinteresse an allem Gesellschaftlichen - soweit es nicht mit Sprache zu tun hat."
Mit Sprache hat bei Handke alles zu tun. Ihre Banalisierung war und ist ihm zuwider; Allgemeinplätze schienen dem jungen Autor der Stücke "Publikumsbeschimpfung" oder "Kaspar" geradezu körperlichen Schmerz zu bereiten. So verwundert es nicht, dass Hamm und Handke bereits zuvor aneinandergeraten waren. 1968 hatte sich der damals in Berlin lebende Schriftsteller über eine in der ZEIT veröffentlichte Kampfschrift der SDS-Gruppe "Kultur und Revolution" zur "Kunst als Ware der Bewusstseinsindustrie" lustig gemacht.
"Handkes zwanghafte Artistik und sein Versuch, stets up to date zu sein, lassen sich logisch nur erklären aus einem totalen Desinteresse an allem Gesellschaftlichen - soweit es nicht mit Sprache zu tun hat."
Mit Sprache hat bei Handke alles zu tun. Ihre Banalisierung war und ist ihm zuwider; Allgemeinplätze schienen dem jungen Autor der Stücke "Publikumsbeschimpfung" oder "Kaspar" geradezu körperlichen Schmerz zu bereiten. So verwundert es nicht, dass Hamm und Handke bereits zuvor aneinandergeraten waren. 1968 hatte sich der damals in Berlin lebende Schriftsteller über eine in der ZEIT veröffentlichte Kampfschrift der SDS-Gruppe "Kultur und Revolution" zur "Kunst als Ware der Bewusstseinsindustrie" lustig gemacht.
"Totgeborene Sätze" hätten die Berliner SDSler in ihrem Manifest versammelt. Hamm sah in dieser Handke‘schen Glosse eine Form politikferner Überheblichkeit, einen Rückzug aus der Wirklichkeit. Seine "Sprachbegabung" stelle der Autor lediglich aus, ohne die Substanz des SDS-Textes zu berühren. Hamm fährt in seinen frühen Auseinandersetzungen mit dem polternden Jungautor eine ganze Armada an Intellektuellen von Walter Benjamin bis Theodor W. Adorno auf, um sie zitatreich gegen ihn in Stellung zu bringen. Handke war in den Augen Hamms eben kein zuverlässiger Gefolgsmann des politischen Kampfs. Er war vielmehr ein Sprachzauberer. Oder, so sollte Hamm später einen Film nennen, "ein schwermütiger Spieler".
Hamm wird zum schwärmerischen Interpreten
Freilich: Die Zeiten und Einstellungen ändern sich und es sollte nicht lange dauern, da konnte Peter Hamm sich dem Sog der Handke‘schen Schwellen- und Sprachmagie nicht mehr entziehen. Diese "Stationen der Annäherung" zeichnet nun ein Buch nach, das Essays und Rezensionen Hamms zu Peter Handke versammelt. Fast 50 Jahre umspannen diese Texte, und sie lehren uns zweierlei: Einerseits zeigen sie, wie fragwürdig literarische Urteile sind, wenn sie zu sehr in der Sphäre des Politischen verharren; andererseits kann man in ihnen einen genauen und treuen Rezipienten am Werk sehen, der irgendwann sehr bewusst die kritische Distanz zu seinem Gegenstand aufzugeben scheint und zum Nachleser oder schwärmerischen Interpreten wird. Spätestens mit dem "Kurzen Brief zum langen Abschied", Handkes Roman aus dem Jahr 1972, ändert sich nämlich die Perspektive Peter Hamms auf dieses Werk: Handke erzähle erstmals wirklich, ein Ich sei da zu entdecken - lange habe man darauf warten müssen.
Peter Hamm folgt in den Rezensionen aus den 70er-Jahren - ob er sich mit dem "Kurzen Brief zum langen Abschied" beschäftigt oder mit Peter Handkes filmischer Regiearbeit "Die linkshändige Frau" - den Windungen und Verästelungen des Textes. Und das mit einer geradezu peniblen Lust an der Nacherzählung. In diesen Artikeln nimmt Hamm seine Leser quasi an die Hand, um sie durch die Gedanken-, Erzähl- und Satzlandschaften des Autors zu führen. Die aus der Anschauung in Sprache übersetzten Bilder, Szenen und Schreibrhythmen Handkes werden von Hamm oftmals fast feierlich nachgesprochen.
Peter Hamm folgt in den Rezensionen aus den 70er-Jahren - ob er sich mit dem "Kurzen Brief zum langen Abschied" beschäftigt oder mit Peter Handkes filmischer Regiearbeit "Die linkshändige Frau" - den Windungen und Verästelungen des Textes. Und das mit einer geradezu peniblen Lust an der Nacherzählung. In diesen Artikeln nimmt Hamm seine Leser quasi an die Hand, um sie durch die Gedanken-, Erzähl- und Satzlandschaften des Autors zu führen. Die aus der Anschauung in Sprache übersetzten Bilder, Szenen und Schreibrhythmen Handkes werden von Hamm oftmals fast feierlich nachgesprochen.
Die Begeisterung soll auf den Leser übertragen werden, nicht durch abstrakte Erläuterungen (die es durchaus auch gibt), sondern vornehmlich durch Vorführung, durch Veranschaulichung. Hamm ist Handke aber noch nicht so verfallen, dass ihm nicht auch Brüche auffallen würden oder Handkes durchaus reizvolle Suchbewegungen, die zuweilen in die Irre gehen oder etwas Esoterisches annehmen können. Etwa in der Besprechung zur "Langsamen Heimkehr" aus dem Jahr 1979, dem Roman, der eine Wende, eine Kehre im Schreiben Handkes einläutete:
"Man könnte auch sagen, dass er von Anfang an den Ton zu hoch angesetzt hat und dann nicht mehr von ihm herunterkommt; und je höher er sich mit den Worten hinaufschraubt, desto prätentiöser und preziöser wird er, desto häufiger gelangt er an jene Grenze, wo - wie in manchen späten Heidegger-Texten - Tiefsinn in Banalität umschlägt. Trotz solcher Einwände ragt Handkes Erzählung, schon weil sie Kraft besitzt, zu mehrmaligem Lesen zu zwingen, aus der Fülle der übrigen Literaturprojektionen immer noch weit heraus, ist hier ein Autor am Werk, der nicht stupide 'erfindet', das heißt Fäden knüpft, an denen dann seine Figuren in einer sogenannten Handlung herumzappeln müssen, sondern einer, der sich selbst sucht, stöhnend sucht - im Sinne jenes unerbittlichen Pascal-Satzes: 'Ich tadele die, die den Menschen preisen, ebenso wie die, die ihn tadeln, und wie die, die ihn zu zerstreuen trachten; nur die kann ich anerkennen, die stöhnend suchen.'"
"Man könnte auch sagen, dass er von Anfang an den Ton zu hoch angesetzt hat und dann nicht mehr von ihm herunterkommt; und je höher er sich mit den Worten hinaufschraubt, desto prätentiöser und preziöser wird er, desto häufiger gelangt er an jene Grenze, wo - wie in manchen späten Heidegger-Texten - Tiefsinn in Banalität umschlägt. Trotz solcher Einwände ragt Handkes Erzählung, schon weil sie Kraft besitzt, zu mehrmaligem Lesen zu zwingen, aus der Fülle der übrigen Literaturprojektionen immer noch weit heraus, ist hier ein Autor am Werk, der nicht stupide 'erfindet', das heißt Fäden knüpft, an denen dann seine Figuren in einer sogenannten Handlung herumzappeln müssen, sondern einer, der sich selbst sucht, stöhnend sucht - im Sinne jenes unerbittlichen Pascal-Satzes: 'Ich tadele die, die den Menschen preisen, ebenso wie die, die ihn tadeln, und wie die, die ihn zu zerstreuen trachten; nur die kann ich anerkennen, die stöhnend suchen.'"
Bewunderer ohne kritische Distanz
Aus der Annäherung an Handke wird eine intime Nähe zu ihm. Wer um die Biografien Hamms und Handkes weiß, weiß auch um die vielen sich kreuzenden Wege der beiden, um den Freundeskreis um Hubert Burda, Michael Krüger, Hermann Lenz, dem beide angehörten. Hamm wird zum Bewunderer. Das merkt man seinen späteren Texten deutlich an. Was diese nicht uninteressant macht. Kritische Reflexionen wie noch in den Beiträgen der 60er- oder 70er-Jahre sucht man in den späteren Texten allerdings vergeblich. Sie sind abgelöst von der Darstellung einer Leseerfahrung, die geradezu heilig anmutet:
"Ich liebe Bücher, deren Helligkeit Schwermutsränder hat, Bücher, deren Trauer so verlässlich ist wie deren Freude, Bücher, die nicht mit auffälligen, vermeintlich 'interessanten' Sätzen protzen - bei den wirklich großen Schriftstellern wie Balzac, Flaubert oder Tschechow gebe es immer nur ganz wenige auffällige Sätze, bemerkt Handke einmal. Ich liebe Bücher, die - ja - langweilig sind; Langeweile ins Alemannische übersetzt heißt Zeitlang - zytlang -, und Zeitlang haben, heißt Sehnsucht haben, ja, ich liebe das langweilige, sehnsüchtige und Sehnsucht erzeugende Erzählen Peter Handkes, das nie suggestiv zu sein versucht."
Keine gegenseitige Freundschaft - aber Wertschätzung
Es ist weidlich bekannt, wie Peter Handke auf allzu große, aufdringliche Nähe reagieren kann: Er schlägt zuweilen um sich, auch Freunde müssen sich dann wegducken. Gewiss hat Peter Hamm den berüchtigten heiligen Zorn Handkes das ein oder andere Mal erlebt. Die Annäherung, von dem der Untertitel seines lesenswerten, werkbegleitenden Bandes spricht, ging gewiss alleine von Hamm aus. Handke hat sich von seinem Weg nie abbringen lassen.
Aber doch scheint da etwas zu sein, was eine ästhetisch innige Verbindung zwischen den beiden im Laufe der Zeit erzeugt hat. Im Briefwechsel mit Hermann Lenz, zu dem Hamm einen Text über das Freundschaftstalent der beiden Schriftsteller verfasst hat, wird an einer Stelle eine große Wertschätzung deutlich:
"Du kannst", schreibt Handke da an Hermann Lenz, "über Bücher schreiben in einer einmaligen Weise: Alles bleibt offen, und es ist doch klar, gebaut, um das Buch herum, das umso sichtbarer wird, betretbarer. Ähnlich gerecht wird einem Buch sonst fast nur Peter Hamm (…), er macht die Ahnung von der Sache stark, wie eben Du, und was will, soll man mehr?"
Dem kann man nur zustimmen: Peter Hamm lässt einen die Bücher Peter Handkes betreten; nichts wird verstellt, und man bekommt bei der Lektüre der Essays eine Ahnung von der Sache - von großer Literatur.