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Peter Handke als Literaturkritiker
Ein begnadeter Polemiker

"Begleitschreiben" nennt der Schriftsteller Peter Handke jene Texte, mit denen er literarische Arbeiten anderer Autoren bewirbt. Die Sammlung von Texten wurde im letzten Jahr unter dem Titel "Tage und Werke" veröffentlicht. Darin scheut er auch nicht die Kritik an Theodor W. Adorno und Martin Walser.

Von Martin Krumbholz |
    Autor Peter Handke im Oktober 2014 in Wien.
    Autor Peter Handke im Oktober 2014 in Wien. (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth)
    Bereits der sehr junge, gerade einmal 22 Jahre alt gewordene Peter Handke wusste um die Aporien der Literaturkritik. In einem Beitrag für die sogenannte "Bücherecke" im Radio Steiermark schrieb der junge Dichter als Rezensent:
    "Die Literaturkritik wertet, für die Bewertung aber besteht in der Sprache nur ein begrenzter Vorrat an Worten; dieser Vorrat schießt automatisch in die Gedanken, wenn die Sprache des zu beurteilenden Textes beurteilt werden soll: das ist es, was die Literaturkritik oft zu einem leeren Geschäft macht."
    Es ist mutig, dergleichen in einer Kritik zu schreiben; der Autor beißt ja gewissermaßen die Hand, die ihn füttert. Gleichwohl weiß jeder, der mit dem Schreiben von Kritiken zu tun hat, dass Handke nicht ganz daneben liegt. Er fährt dann ein wenig begütigend fort:
    "Indes ist dieses Übel der Literaturkritik ein natürliches, und somit kein Übel; es ist die Natur der Kritik, zu bewerten; die Bewertungsworte aber sind von Natur aus abstrakt, das heißt, sie tragen in sich keinen Begriff von dem, was sie bezeichnen; (…) was ihnen trotzdem zu einer Wirkung verhilft, ist die Gewöhnung des Zuhörers; es geschieht nämlich, dass auf die Nennung des automatisch gesagten Wortes, etwa die Sprache sei dicht, in dem Zuhörer ebenso von selber eine Wertvorstellung von dem Kritisierten entsteht. Im eigenen Lesen wird dann der leere Hinweis, die Sprache sei dicht, sozusagen mit Begreifen gefüllt."
    Strenges Urteil über Adorno und Walser
    Zwei Jahre lang hat Handke ungefähr einmal im Monat eine Sammelrezension verfasst, die bisweilen ein halbes Dutzend Titel umfasste. Interessant sind diese Aufsätze, die den 100 Seiten umfassenden Schlussteil von "Tage und Werke" bilden, aus mehreren Gründen. Zum einen zeigen sie einen äußerst selbstbewussten oder, besser gesagt, seiner Sache sicheren Autor, der in diesen Sekundärtexten bereits deutlich seinen eigenen durchgeformten und klaren Stil ausbildet – man beachte die parataktische Reihung im gehörten Zitat und vergleiche sie etwa mit der späteren "Publikumsbeschimpfung". Zum anderen handelt es sich bei den besprochenen Werken in der Regel nicht um Eintagsfliegen, sondern um Titel, die noch heute im Umlauf sind – oft stammen sie aus der Bibliothek oder edition Suhrkamp. Und Handke urteilt streng, egal ob es sich bei den Verfassern um Theodor W. Adorno oder um Martin Walser handelt. Adornos Essay "Jargon der Eigentlichkeit", der Martin Heidegger aufs Korn nimmt, wird regelrecht verrissen. Hören Sie mal hinein:
    "Soweit Adorno nun selber bei der Sache bleibt und über die Sprache des falschen Bewusstseins bramarbasiert, ist es ein Vergnügen, ihm zu folgen; jedoch wenn er im späteren Verlauf mit Heidegger selber anbindet und dessen Jargon gebraucht, schlägt das Unterfangen ihm übel aus; er verstrickt sich heillos in den Wirrwarr der Heideggerschen Terminologie und wird ungenau; seine sprachliche Methode (…) reicht an die Sache nicht mehr heran, wird krampfhaft und stumpft zusehends ab; die Worte werden schartig und schneiden nicht mehr; Jargon streitet wider Jargon (…)."
    Die Walser-Rezension vom 5. Juli 1965 wiederum beginnt mit dem fast schon vernichtenden Satz:
    "Martin Walser ist unter den jüngeren deutschen Autoren in seinem Metier der geschäftigste."
    Experimenteller Sprachforscher
    Es versteht sich, dass darauf nur noch ein Verriss folgen kann – es geht um den Essayband "Erfahrungen und Leseerfahrungen". Aber der junge Handke verreißt nicht aus Freude am Verreißen. Ein begnadeter Polemiker steckte von Anfang an in ihm, das zeigt sich auch hier, doch seine Argumente sind genau, und wenn er lobt, was oft geschieht, dann lobt er sorgfältig und mit Freude am Loben. Der Essay über die Korrespondenz zwischen dem in der DDR ansässigen Poeten Carlfriedrich Claus und dem westdeutschen Lyriker Franz Mon, der das Herzstück des Bandes bildet, trägt den Titel "Eine Ideal-Konkurrenz". Der Begriff, aus der Wirtschaft entlehnt, bezeichnet eine "reine und vollkommene Konkurrenz". Bei einer Wirtschaftskonkurrenz, erst recht wenn sie eine ideale ist, muss es einen Profit geben, und so auch hier. Handke beschreibt ihn. Sein Sensorium für die Valenz von Wörtern ist legendär – von Wörtern, die er nicht selten methodisch in einen anderen Kontext versetzt und überdies auf ihre Brauchbarkeit, ja einfach auf ihre Schönheit hin – vielleicht könnte man sagen: auf ihre praktische Schönheit hin – überprüft, ob es sich um ausgefallene oder fast schon aussterbende Wörter handelt wie das Wort "Saumseligkeit" oder um ganz alltägliche und allzu oft gebrauchte. Insofern ist Handke bis heute seinen Anfängen als experimenteller Sprachforscher treu geblieben, obwohl seine Poetik sich natürlich im Lauf der Zeit stark gewandelt hat und heute viel erzählerischer ist.
    Und auch: viel ernster. Die Ironie spielt eine sehr untergeordnete Rolle bei Handke; hier weiß er sich seinem erklärten Idol Goethe verpflichtet. Einmal heißt es in Klammern: "Ein Wortspiel pro Text ist erlaubt." So eine Anmerkung klingt scherzhaft und ist doch zugleich auch ernst gemeint. Die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees für den schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer kommentiert Handke so:
    "Tranströmer ist ein sehr nobler Mensch, aber zur Noblesse gehört auch eine gewisse Schalkhaftigkeit. Dieses Spielerische ist es wohl, das ihn zum Schreiben bringt, aber er lässt nicht zu, dass es in seinen Gedichten mitwirkt."
    Ablehnung des Heinrich-Heine Preises
    Angesichts dessen überrascht es vielleicht, dass Handke ausgerechnet in einer sehr ernsten Angelegenheit, nämlich der Verleihung bzw. Nicht-Verleihung des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preises 2006, einen schalkhaften Ton anschlägt. Aber hier handelt es sich eben nicht um Dichtung, sondern eher um das, was einen zum Schreiben bringt, das reale Leben. In einem Brief an den inzwischen verstorbenen Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin heißt es:
    "Ich schreibe Ihnen heute, um Ihnen (und der Welt) die Sitzung des Düsseldorfer Stadtrats (heißt das so?) zu ersparen, womit der Preis an mich für nichtig erklärt werden soll, zu ersparen auch meiner Person, nein, eher dem durch die Öffentlichkeit (?) geisternden Phantom meiner Person, und insbesondere zu ersparen meinem Werk oder meinetwegen Zeug (…) Ich bitte Sie – so das in Ihrer Macht steht -, die Sitzung oder Veranstaltung auf den Nimmerleinstag zu verschieben und statt dessen die Stadträte an die frische Luft zu entlassen, z.B. zu einem Picknick an den Rhein."
    Das klingt denn auch ein wenig gewollt schalkhaft, es klingt – was die gespielten Unsicherheiten in der Wortwahl und die eingestreuten Fragezeichen verraten – nicht so souverän, wie es klingen soll. Und das ist ja letztlich auch nicht verwunderlich. "Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen", lautet der Titel der Dankesrede zum Ibsen-Preis, den Handke nicht zurückgeben musste. Im Brief an den Oberbürgermeister ist das Gegenteil der Fall, hier redet der Autor ausnahmsweise in umständlichen Parataxen, und es handelt sich offenbar nicht um Erschöpfung, auch nicht um moralische Erschöpfung, sondern um Verärgerung oder um mühsam unterdrückten, um camouflierten Zorn.
    Peter Handke: Tage und Werke. Begleitschreiben. Suhrkamp, 288 S., 22,95 €.