Peter Schaar will nach wie vor Wirkung erzielen. Der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat in seinem neuesten Buch eine Bestandsaufnahme deutscher Anti-Terrorgesetze zusammengestellt. Seine Analyse ist subjektiv geprägt, schon weil der Autor bestimmte Aspekte vertieft, nicht jedes der Kernthemen berührt und auch positive oder negative Beispiele aus anderen Ländern heranzieht - wie aus Norwegen oder den USA. Dabei bleibt es nicht: Ganz im Sinne des Buchtitels warnt Schaar wieder einmal davor, im Bemühen um die Terrorabwehr in Deutschland zu weit zu gehen.
"Entscheidend ist ein rückhaltloses Bekenntnis der politisch Verantwortlichen zu den universell gültigen Menschenrechten, und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern in ihrer Politik. [...] Das Abweichen von dieser Maxime unterminiert sowohl die Völkerrechtsordnung als auch die Rechtsstaatlichkeit und zerstört alles, was den zivilisatorischen Fortschritt der westlichen Demokratien ausmacht. Das dürfen wir nicht zulassen."
Auch wenn wohl kein Politiker der Union oder der SPD Schaars Forderung widersprechen würde: Der Entwurf Ihres Vertrags dokumentiert, dass die Große Koalition, wenn sie zustande kommt, in eine andere Richtung gehen dürfte, als Schaar das vorschwebt. Gerade in diesem koalitionären Kontext wirkt eine seiner Kernforderungen interessant:
"Die Ermittlungsarbeit muss intelligenter werden, und die Sicherheitsarchitektur benötigt dringend ein Update. [...] Ist es wirklich sinnvoll, dass sich jedes Bundesland einen eigenen Geheimdienst - ein Landesamt für Verfassungsschutz - leistet?"
Sicher nicht! In den Koalitionsverhandlungen war eine wirklich durchgreifende Reform aber nie in Reichweite. Es dürfte nicht allein am Widerstand der CSU und somit des designierten Innen- und Heimatministers Horst Seehofer gelegen haben, dass sich an der Grundstruktur der deutschen Sicherheitsarchitektur nichts ändern soll. Auch andere Ministerpräsidenten waren schließlich an den Verhandlungen beteiligt. So war es wohl das Höchste der Gefühle, im Koalitionsvertrag die Position des Bundesamts für Verfassungsschutz gegenüber den Landesbehörden ein wenig aufzuwerten. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder sollen aber zu gleichen Teilen mehr Personal bekommen. Das bedeutet wohl weiterhin Waffengleichheit und keine Zentralisierung.
Schlechte Sicherheitsarchitektur bedingt Fahndungsfehler
Dabei macht der frühere Datenschutzbeauftragte Peter Schaar deutlich, dass zwischen einer Reform und der Effektivität der Terrorabwehr ein innerer Zusammenhang bestehe. Eine schlechte Sicherheitsarchitektur hat aus seiner Sicht Fahndungsfehler zur Folge. An einige Beispiele, wie Anis Amri und den Anschlag in Berlin, erinnert Schaar. Tatsächlich sind in den letzten Jahren wichtige Information im Zuständigkeitsgestrüpp von Polizei und Diensten hängen geblieben. Ob Regierung und Parlament allerdings auf zusätzliche Gesetze verzichten könnten, wenn sie nur mehr Mut zu Struktur-Reformen hätten, wie Schaar das suggeriert, das ist fraglich.
Im Gespräch über die Notwendigkeit neuer Gesetze differenziert der Autor etwas deutlicher als in seinem Buch. Massenhafte und anlasslose Speicherung von Daten, das ist aus Sicht von Schaar der falsche Weg:
"Also, ich halte diesen Ansatz, den die Amerikaner sehr extrem vertreten, den Heuhaufen zu vergrößern, um dann die Stecknadel zu finden, diesen Ansatz halte ich für wenig erfolgversprechend".
Ohne Überwachung geht es nicht
Aber andererseits funktioniert Terrorabwehr, selbst aus Sicht des früheren Datenschutzbeauftragten, nicht ohne Eingriffe in die Privatsphäre Verdächtiger:
"Ich halte es da eher mit klassischen Methoden, wozu natürlich auch gehört, dass man sich auf die neue Zeit, die digitale Zeit einstellen muss, auch digitale Ermittlungsinstrumente müssen genutzt werden. Dazu gehört auch, so ungern ich das ausspreche, die Überwachung."
Keine Datenstaubsauger in Deutschland also, sondern gezielte Maßnahmen zur Überwachung einzelner. Trojaner, die auf Smartphones eingesetzt, Dialoge über Messenger-Dienste auslesbar machen, würden in dieses Schema passen. Es war noch der alte Bundestag, der den Einsatz durch ein Gesetz ermöglichte. Polizei und Verfassungsschutz beginnen diese Trojaner nun zu nutzen. Der Koalitionsvertrag unterstützt das. Darin heißt es:
"Es darf für die Befugnisse der Polizei zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis zum Schutz der Bevölkerung keinen Unterschied machen, ob die Nutzer sich zur Kommunikation der klassischen Telefonie oder klassischer SMS bedienen oder ob sie auf internetbasierte Messenger-Dienste ausweichen."
Anti-Terror-Gesetze regelmäßig überprüfen
Ob die bisher bestehenden deutschen Gesetze ausreichen, um diesem Anspruch zu genügen, muss sich noch herausstellen.
Schaar plädiert zu Recht dafür, das seit den so genannten Schily-Paketen bekannte Verfahren der Überprüfung von Anti-Terror-Gesetzen mit neuem Leben zu erfüllen. Dieses dürfe, wie er sagt, aber "nicht weiter als lästige Formalie abgehakt" werden.
Technologische Entwicklungen, gerade im Bereich der digitalen Kommunikation, könnten immer neue Gesetze nötig machen, um der Terrorgefahr zu begegnen. Sie im Gegenzug wirksam zu überprüfen und Beschlossenes tatsächlich immer wieder in Frage zu stellen, das mag umständlich und bürokratisch klingen. Immerhin aber geht es um die Verteidigung des Rechtsstaats, Schaar liegt da richtig. Wenig bringt hingegen sein Aufruf zur Gelassenheit. Natürlich kann diese Haltung in Zeiten der anhaltenden Bedrohung durch Terrorismus helfen. Gelassenheit lässt sich aber nicht erzwingen.
Peter Schaar: "Trügerische Sicherheit. Wie die Terrorangst uns in den Ausnahmezustand treibt"
Edition Körber Stiftung, 17 Euro, 288 Seiten.
Edition Körber Stiftung, 17 Euro, 288 Seiten.