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Peter-Weiss-Lesung beim Kunstfest Weimar
Ästhetiker des Widerstands

Bei 14 Grad Celsius fand im Eiskeller der ehemaligen Stadtbrauerei eine Lesung aus dem Peter-Weiss-Zyklus statt. Weiss prägte die Frage und der Zweifel, ob Kunst etwas bewirken soll, kann, muss. Vorgetragen hat die Texte der Schauspieler Thomas Thieme.

Von Henry Bernhard |
    In die Kühle führt das Kunstfest Weimar. 40 Stufen und zehn Meter unter dem Boden herrschen 14 Grad Celsius, Sommer wie Winter. Die letzte Lesung des Peter-Weiss-Zyklus geschah im Eiskeller der ehemaligen Stadtbrauerei, in einem Tonnengewölbe. Der Schauspieler Thomas Thieme las, wie schon zur Eröffnung der Reihe, gelegentlich begleitet oder unterbrochen von seinem Sohn Arthur Thieme am Keyboard.
    Sieben Mal eine gute Stunde Lesung aus Peter Weiss' "Die Ästhetik des Widerstands" sollte den vor 100 Jahren geborenen Autor Weiss wieder auf die Tagesordnung heben, überprüfen, ob seine Texte der Gegenwart und die Gegenwart seinen Texten gewachsen sind. Thomas Thieme stieg noch vor der Lesung aktuell ein.
    "Heute wählt Mecklenburg-Vorpommern in einer Zeit, die die Älteren von uns seltsam erinnern an diese Jahre vor '33. Heute ist oder kann ein Schicksalstag für Deutschland werden. Und wenn wir diese fragile Demokratie kaputt gerunkst haben, wie man hier in Thüringen sagt, spätestens dann fällt uns ein, was wir in diesen Jahren jetzt verpasst haben."
    Wille zur Gegenwehr kennzeichnet zeigt auch die Kultur
    Dann aber kam Peter Weiss im Original – und die Frage, ob Kunst die gesellschaftlichen Machtverhältnisse adäquat beschreiben kann, ob sie Waffe sein kann oder soll und wie bedeutsam Widerstand ist in ausweglosen Zeiten. Weiss' These: Solange der Wille zur Gegenwehr vorhanden ist, ist auch Kultur vorhanden.
    "Im Schweigen, in Anpassung, schwindet die Kultur, gäbe es nur noch Zeremoniell, Ritual. Auch, wenn bei der ungeheuren Übermacht nur noch wenige Hunderte an ihrer Auflehnung festhielten, so bewies dies doch das Vorhandensein einer Kultur. Und wie hoch sei diese Haltung doch zu bewerten angesichts der Ausrottung, wie sie jetzt begangen wird in den Lagern im Osten."
    Die herabgekühlten Besucher im Kellergewölbe saßen gebannt von Thiemes Vortrag, regungslos trotz der Kälte.
    "Wenn die Schüler sie fragen würden, ob ein Buch einen Menschen wirklich zum Handeln bringen könne, würden sie all die Bücher aufzählen, die es fertig gebracht hätten, in einem Menschen den Drang nach Handlung zu wecken. Sicher würden sie lange über solche Bücher sprechen. Und vielleicht würde irgendeiner eine Erfahrung nennen, die er selber auf diesem Gebiet gewonnen hatte. Damit wäre schon viel erreicht."
    Thieme ist sichtbar berührt von Peter Weiss' Text, der die gleichen Fragen aufwirft, mit denen er selbst kämpft, den Zweifel, ob Kunst etwas bewirken soll, kann, muss – und wenn ja: Wie?
    "Die Gefahr ist groß, dass die Kunst sich von den Ereignissen komplett abkoppelt, sie maximal noch kommentiert oder in einer Art von Besserwisserei sich am Schluss für schlauer hält als die Politiker. Da sehe ich schwarz, dass das Theater schlauer ist als die Politiker."
    Nicht jede der sieben Peter-Weiss-Lesungen an verschiedenen Orten in Weimar, etwa im Steinbruch, in der Anna-Amalia-Bibliothek, in einem Bankdirektoren-Konferenzraum hatte diese Eiskeller-Qualität. Dennoch ist der Weiss-Zyklus für Kunstfestchef Christian Holtzhauer ein voller Erfolg unter anderen Erfolgen dieses Kunstfest-Jahrgangs. Erfolge allerdings auch verbunden mit der Gefahr, gelegentlich zu scheitern:
    "Natürlich gehört das Scheitern dazu. Wir müssen experimentieren, um auf neue Dinge zu stoßen. Wir wissen immer nur, was hinter uns liegt; was vor uns liegt, kann keiner wissen. Und wenn wir nicht irgendwie rumstochern im Nebel oder im Tunnel oder wo wir auch gerade sind, werden wir dahin auch nie vorstoßen."