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PeterLicht am Residenztheater
Theater als Popkultur

Schrill, schräg und mit sehr viel Sound. PeterLicht inszeniert Molière am Münchner Residenztheater. "Der eingebildete Kranke" als tiefschürfende Konsumkritik. Krankheit, Tod, Egomanie paaren sich mit dem Wahnsinn des Kapitalismus. Dem begeisterten Publikum wird der Spiegel vorgehalten.

Von Rosemarie Bölts |
Der eingebildete Kranke oder das Klistier der reinen Vernunft von PeterLicht nach Molière Uraufführung am 20. Dezember im Residenztheater München
Zu viel Schminke kann schmerzhaft sein - Szene aus der "Eingebildete Kranke" von PeterLicht nach Molière (Residenztheater München / Sandra Then)
Das ist doch mal ein passendes Stück zu Weihnachten! PeterLichts Überschreibung von Molières "Eingebildetem Kranken" ist tiefschürfender als die gängige Konsumkritik in diesen frohen Feiertagen. Er offenbart darin die absolute Egomanie als DNA des kapitalistischen Systems, die zweitausend Jahre christliche Ethik wie Nächstenliebe und soziale Verantwortung obsolet erscheinen lässt. Größer kann die Kopfnuss des Autors ans Publikum in dieser besinnungslosen Zeit nicht sein. Schriller – und schräger - aber auch nicht.
"Denn das ist das Beste, dass man darüber spricht.. Schweigen ist Gewalt… Und Gewalt ist ungesund…Also. –Hallo?!"
Selfies und Selbstoptimierung
Der Titelzusatz von PeterLichts Molière-Überschreibung "oder das Klistier der reinen Vernunft" weist schon darauf hin: hirnloses Geplapper, egal, wozu und zu wem. Es geht um Krankheit, Tod und Nicht-sterben-wollen. Es geht nicht nur ausgeklügelt sprachverschwurbelt um die finale Selbstoptimierungsfunktionalität in ihrer ganzen, aktuellen, Selfie-digitalen Oberflächlichkeit. Der ewige Hypochonder Argan ist darin der Superstar, der seinem – unerwartet - letzten Auftritt entgegenfiebert. "Mir geht es grad nicht so gut" lautet sein jämmerlicher Refrain, mit dem er seine Entourage – er nennt es "seine Crew" - terrorisiert.
Kostümiert zwischen Sonnenkönig und Hollywoodstar zelebriert er ein Kreisen um sich selbst und seine Befindlichkeit, das den zweistündigen Abend prägt, aber auch – Achtung: Komödie! – wahnsinnig komisch inszeniert ist und von den Schauspieler*Innen in einem wilden, über zweistündigen Parcours souverän und überzeugend in seiner bekloppten Komik bewältigt wird.
Künstliche Gesellschaft
Der vom Autor komponierte "Sound" untermalt die Inszenierung perfekt. Unendliche Schleifen der Floskeln und Stereotypen ploppen aus den dick aufgemalten Plapperschnuten der Protagonisten, wie überhaupt die prall ausgestopften Pobacken, Hüften und Brustkörper, gekrönt von barocken Perückentürmen und der fetten Gesichtsschminke mit den Rüschenhemden aus Chiffon ein Bild abgeben, das die ganze Künstlichkeit der familiären "Crew"-Gesellschaft bloß legt, Molière nicht vergessen lässt und doch – mit Selfies und Smartphones – absolut heutig ist. Auch das Bühnenbild, ein runder, mehrstöckiger Wohnturm, mehr Gerüst als Heimstatt, kreist fast ununterbrochen und zwingt die Darsteller in eine sinnlose Hektik, um im Spiel zu bleiben. Treppe rauf, Treppe runter:
"Hör doch auf zu denken!...
"Ist doch ganz einfach… Gefühle nicht fühlen…
… noch einmal."
Spiel zwischen Trash und Pop
Ein wildes Spiel, das die Regisseurin Claudia Bauer auf dieser Bühne zwischen Trash und Pop treiben lässt. Bis ins kleinste Detail inszenatorisch durchkomponiert, rhythmisch durch den jazzigen Bar-Sound der beiden – so viel Perfektion muss sein - Perücken-tragenden Live-Musiker Cornelius Borgolte und Henning Nierstenhöfer getragen, spannungsvoll bis zum Ende. , das dann doch – Anders als bei Molière - den "Superstar" Argan am Schluss sich an seinen Mikrokabeln verheddern lässt und er tot zu Boden fällt. Aus die Maus. Nur für ihn.
Irgendwie irre. Und dann doch wieder wie bei Molière vor 350 Jahren. Der führte in seinen Komödien genau das Publikum vor, das die Darstellung seiner krankhaft neurotischen Charaktere begeistert mit Bravo-Schreien beklatschte. Wie in dieser Premiere im Münchner Residenztheater.