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PeterLicht
Porträt des Unbewussten

PeterLicht ist Pop-Musiker, Autor, Zeichner und Theatermacher. In seinem neuen Werk hat er alle seine Talente zwischen zwei Buchdeckeln untergebracht. "Lob der Realität", heißt das Sammelsurium von Monologen, Dialogen, Essays, kurzen Prosatexten, Gedichten, Gesängen und Zeichnungen, mit denen er ein Porträt unseres kollektiven Unbewussten skizziert.

Von Michaela Schmitz |
    Die Welt ändert sich immer schneller. Und wir ändern uns mit. Produkte, Projekte, Profite bestimmen das Tempo unseres durchdigitalisierten Lebens. Das Ich wird zum Datensatz, der Mensch reduziert auf sein Käuferprofil. Es könnte sich aber auch alles ganz anders ändern. Dieses Gedankenspiel erlaubt sich PeterLicht in seinem Buch und Musik-CD vom "Lob der Realität".
    Der Titel setzt das Signal in Gegenrichtung zum Zeitgeist: keine Kritik, keine Flucht in virtuelle Welten. Statt dessen: ein unzeitgemäßer Lobgesang auf die Wirklichkeit. Aber nicht darauf, wie sie ist, sondern darauf, wie sie sein könnte. Doch wer spricht? Das brave deutsche Peterle steckt in der Kunstfigur, die den Erzähler plakativ vom Autor trennt. "Ich", "nicht" und "Licht" klingen im zweiten Teil des Künstlernamens mit. Das wirft ein ganz eigenes "Licht" auf das schreibende "Ich", das "nicht" das Peterle sein will und doch bleiben muss. Auch wenn PeterLicht genau das in jeder erdenklichen Form zu allen nur erdenklichen Themen in seinem "Lob der Realität" versucht. Zum Beispiel im "Lob des Gewimmels".
    "Es gibt ja so viele Menschen! Das glaubt man ja gar nicht.
    Und alle haben was vor. Überall rennt wer rum mit seiner Existenz.
    Wen allein ICH schon kenne!
    Den Günther zum Beispiel oder den Klaus oder den Christoph. (...)
    Menschen. Und je mehr es gibt – umso weniger (...) muss ICH sein. (...)
    Und dann BIN ich weniger. Und so viel ist ja auch nicht da in mir. Das reicht nur unter Umständen. (...)
    Und (...) Ich halbiere mich mit der mir aus dem Zentrum der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Wunderwaffe: ICH NEHME DIE KRITISCHE HALTUNG EIN. Wie ein Turnvater. Da stehe ich mit nackten Beinen in meinen Kritikschläppchen auf der Kritikmatte und mache den Kritikaufschwung beim Gerätekritisieren."
    Kritik ist eben auch nicht die Lösung. Findet PeterLicht. Aber was ist die Alternative zum übermäßigen Druck der Masse auf den Einzelnen? Vielleicht der Unterdruck? Einfach alles zu behalten, nix herzugeben, nur anzusaugen. Wie wenn man die zu viel herausgedrückte Zahnpasta wieder in die Tube zurückschleichen lässt. So stellt sich PeterLicht das in seinem zeitgenössischen "Lob des Unterdrucks" vor. Oder wäre eine alternative Sportart die optimale Möglichkeit für den Druckausgleich? Zum Beispiel das Wettentspannen. Wie genau das aussehen könnte, malt PeterLicht sich in seiner "Anleitung für eine neue Sportart" aus: ein skurriler sportlicher Wettkampf, bei dem Zu-spät-Kommen, Gleichgültigkeit und Trägheit zum Wettbewerbsvorteil werden. Eine absurde Vorstellung? Nicht absurder, kontert PeterLicht in seinem "Lob des Leistungssports", als umgekehrt die Leistung zum Maß aller Dinge zu erheben:
    "Von allen Tieren ist der Leistungssportler das sportlichste. (...) Er geht in die Grundaufstellung 'Ich gegen alle'. Die Grundstellung der Moderne. (...) Der Leistungssportler ist der Prototyp der Leistungsgesellschaft. (...) Wir sehen ihn, den Stabhochspringer (...). Ein fliegender Christus. Oben in den Lüften nimmt er hinweg das Leid der unvollkommenen weil schwerkraftbeschwerten Welt. (...) 'Seht! Ich kann fliegen! Ich fliege für Euch! Es gibt keine Schwerkraft! Die Welt ist leicht!' Wir rufen ihm zu: 'Mensch – nimm's doch nicht so schwer. Komm runter!' Doch es ist schwer."
    Für den Leser auch mit Anstrengung verbunden
    Denn die Höhen, in die es der Leistungssportler geschafft hat, erreicht keiner mehr, der ihn bewundern könnte. Und doch hören wir nicht auf, genau das zu tun. Vielleicht, weil die Melancholie der sportlichen Höchstleistung unsere eigene Einsamkeit widerspiegelt. Doch haben wir eine Alternative? Die konsequente Leistungsverweigerung? In seinem "Lob der Leerstelle" malt PeterLicht sich dieses negative Vakuum aus. Einige Gedichtzeilen lang akkumuliert er Löcher von Unkenntnis, Egalsein und langer Weile als umgedrehtes Kapital zu einem Schatz aus Leere; und inszeniert die eigene Hinrichtung als Heilige vom Orden der leeren Gestalt. Für das Ich scheint auch hier kein Platz zu sein.
    "Und so könnte dies hier nun enden.
    In der ewigen Abfolge von
    'Hallo – hier bin ich.'
    ... ... ... hallo hallo hallo hallo hallo ... ... ... hier: ............ Ich."
    Für den Einzelnen zwischen Ich und Schwarm gibt es keinen anderen Ort und keine andere Zeit als das Hier und Jetzt. Das ist die Botschaft von PeterLichts "Lob der Realität". PeterLicht fordert uns auf, gemeinsam mit ihm ein Loblied darauf zu singen. Ein subtiles und gleichzeitig durchaus euphorisches Loblied; vielstimmig und geistreich, voller Pathos, Witz, Charme, Humor und Tiefe.
    PeterLicht spricht in seinem "Lob der Realität" aus, was wir kollektiv träumen. In seinem kunterbunten Sammelsurium von Monologen, Dialogen, Essays, kurzen Prosatexten, Gedichten, Gesängen und Zeichnungen skizziert er eine emotionale Soziologie unseres kollektiven Unbewussten. Es ist ein Kippbild unserer Zeit und Gesellschaft, dessen Widersprüche PeterLicht nicht auflösen kann und will. Die persönliche Perspektive wählt der Leser selbst. Das macht PeterLichts "Lob der Realität" für den Leser nicht selten anstrengend. Denn erst durch seine aktive Mitarbeit wird daraus literarische Konzeptkunst, die Kreativität genau da aktiviert, wo sie wirklich Veränderungen bewirkt: nämlich in den Köpfen und Seelen der Menschen.
    PeterLicht: Lob der Realität.
    Blumenbar Verlag 2014, 240 Seiten, 18,00 EUR.