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Petersburger Dialog
"Nicht über den Kopf der Ukraine hinweg verhandeln"

Beim Petersburger Dialog werde sehr offen über die deutsch-russischen Beziehungen gesprochen, sagte die Grünen-Politikerin Marieluise Beck im DLF. Der Grund dafür sei unter anderem, dass bei dem Treffen vor allem Mitglieder der Zivilgesellschaft zusammen kämen. Beck sprach sich für trilaterale Gespräche mit Russland und der Ukraine aus.

Marieluise Beck im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck.
    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Grieß: Im Vorstand des Petersburger Dialogs ist außerdem die Grünen-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. Schönen guten Morgen, Frau Beck.
    Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Wie funktioniert ein Dialog mit einem Partner, der alles besser zu wissen glaubt?
    Beck: Wir sitzen ja nicht im Kreml und sprechen mit dem engsten Zirkel, der derzeit im Kreml die Regierungsgeschäfte führt, sondern dieser Petersburger Dialog ist ein sehr bunt zusammengesetztes Treffen von Vertretern aus Instituten, aus Bildung und Wissenschaft, aus dem Kulturbereich, aus dem sozialen Bereich und aus dem, was im engeren Sinne Zivilgesellschaft gesagt wird, also Nichtregierungsorganisationen, die sowohl im ökologischen Bereich als auch im historischen und politischen Bereich unterwegs sind. Insofern sind die Menschen, die hier aufeinander treffen, doch deutlich freier als die, die sich im engeren Zirkel mit der Macht, wie es in Russland heißt, im Kreml zusammenpressen.
    Grieß: Aber dennoch: Wie vorsichtig muss man denn sein von deutscher Seite mit seinen offenen Worten, mit Kritik an der russischen Politik in verschiedenen Weltregionen inzwischen?
    Beck: Gestern der Auftakt des Petersburger Dialogs, sowohl mit den Einlassungen von Herrn Pofalla, aber auch mit einem glänzenden Vortrag von Herrn Ischinger und - und das ist das Spannende - mit dem Vortrag des Counterparts von russischer Seite, nämlich Herrn Gref, der Leiter der Sberbank ist, alle drei, auch Herr Gref, waren sehr offen, die deutsche Seite sehr stark mit der Frage, wir wollen unser gemeinsames Haus, wollt ihr es auch noch, wollt ihr die Regeln noch anerkennen, die wir einmal gemeinsam aufgestellt haben, und Hermann Gref mit dem sehr spannenden Vortrag über die Entwicklung der russischen Wirtschaft, die sehr zur Sorge Anlass gibt eben auch in Russland, und der damit auch eine Modernisierungsnotwendigkeit deutlich auf die Tagesordnung gesetzt hat.
    "Das ist ja fast ein kolonialer Blick auf Russland"
    Grieß: Ist die deutsche Seite denn inzwischen bereit, eine realistischere Russland-Politik zu verfolgen, weniger vom Idealismus eines europäischen Hauses gemeinsam mit einem Zimmer für Russland zu träumen?
    Beck: Das war nicht nur Idealismus, sondern es sind handfeste Verträge geschlossen worden. Vielleicht haben wir das inzwischen zu häufig vergessen. Sowohl der KSZE-Vertrag als auch dann noch mal bestätigt 1990 mit der Charta von Paris, wo ganz eindeutige Grundsätze festgelegt worden sind. Die Integrität von Grenzen, die Souveränität von Ländern, das Bekenntnis, keine Konflikte mit Gewalt auszutragen, sie alle sind bisher nicht offiziell aufgekündigt worden, und ich glaube, ...
    Grieß: Aber die Realität sieht ja sehr, sehr anders aus, Verträge hin oder her.
    Beck: Genau. Die Realität sieht anders aus. Es ist also jetzt A zu fragen, wollt ihr diese Grundsätze noch, wollt ihr zu ihnen zurückkehren, und zweitens teile ich nicht diejenigen, die in Deutschland einen Zungenschlag haben, dass man Demokratie, Rechtsstaat in Russland und von Russen nicht erwarten könne, weil es nicht zu ihnen passe. Das ist ja fast ein kolonialer Blick auf Russland. Ich meine - und dazu fordern mich auch meine russischen Freunde auf -, nehmt uns ernst, wir sind nicht zu therapeutisieren, sondern wir sind ein ernst zu nehmendes Gegenüber. Und dann müssen wir uns auch den gemeinsam ausgehandelten Grundlagen stellen.
    Grieß: Frau Beck, täuscht der Eindruck, oder ist angesichts dessen, was in Syrien passiert, angesichts der Flüchtlingskrise das Thema Ukraine, wo - ich habe es vorhin in der Anmoderation gesagt - sich ja eigentlich in der Sache nichts geändert hat, ist dieses Thema nicht doch zu sehr vom Aufmerksamkeits-Tablett heruntergefallen?
    Beck: Das gilt sicherlich für einen Teil der medialen Berichterstattung. Die Schlagzeilen sind nicht mehr so sensationell. Aber der mühsame Weg, die Ukraine zu stabilisieren, ist nach wie vor deutlich im Fokus erstens derjenigen, die sich mit der Ukraine beschäftigen, und das sind viele, auch im Kanzleramt, auch im Auswärtigen Amt. Und Syrien hat jetzt noch mal eine neue Dramatik auf die Tagesordnung gesetzt, die uns ja mit den vielen Flüchtlingen, die jetzt nach der Bombardierung Russlands noch einmal sich auf den Weg gemacht haben, bei uns ankommen.
    Grieß: Der Konflikt im Osten der Ukraine ist eingefroren. Die Krim gehört inzwischen auch administrativ immer stärker zu Russland. Mehr lässt sich nicht erreichen?
    Beck: Der Konflikt ist nicht eingefroren in der Ukraine. Minsk ist eine Vorgabe für einen Prozess. Der ist extrem schwierig. Ich würde das als Millimeterarbeit bezeichnen. Aber es geht im Augenblick nach meinem Dafürhalten vor allen Dingen darum, erst einmal die humanitäre Situation der Menschen im Donbass wieder zu verbessern. Es sind gerade Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen rausgeflogen aus dem Donbass. Das ist dramatisch. Die haben Tbc-Kranke behandelt, die haben ein Minimum an Gesundheitsversorgung aufrecht gehalten. Die Trucks, die LKW, die Lebensmittel da hingebracht haben auf dem kommerziellen Weg, können derzeit nicht mehr fahren. Das ist übrigens eine Entscheidung der Kiewer Regierung, die zu kritisieren ist. Also es gibt unendlich viel zu tun, auch in der Ostukraine. Das ist kein frozen conflict.
    Beck: Ein trilateraler Dialog könnte spannend sein
    Grieß: Frau Beck, Sie haben sich ja darum bemüht, dass der Petersburger Dialog in seiner Akzentuierung sich verändert, mehr Nichtregierungsorganisationen, weniger Wirtschaft damit am Tisch sitzt. Das ist inzwischen auch so gekommen. Angesichts dieser Lage, die wir jetzt gemeinsam im Gespräch skizziert haben, müsste nicht auch die Ukraine irgendwie mit am Tisch sitzen?
    Beck: Dann müsste es ein trilateraler Dialog werden. Das finde ich eine spannende Idee, russisch-ukrainisch-deutscher Dialog. Wir könnten uns auch überlegen, und es gibt deutsch-ukrainische Gespräche. Was auf jeden Fall für uns klar sein muss, dass nicht Deutschland und Russland über den Kopf der Ukraine hinweg sich verständigen dürfen. Das meine ich ist der Grundsatz. Natürlich können und sollen wir uns auch bilateral zwischen Deutschland und Russland treffen.
    Grieß: Marieluise Beck im Gespräch hier im Deutschlandfunk. Anlass ist der Petersburger Dialog, der gestern und heute in Potsdam stattfindet. Frau Beck, danke schön!
    Beck: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.