Christiane Florin: Hier im Studio müssten jetzt Kerzen leuchten und Weihrauchschwaden aufsteigen, wenn ich folgende Zeilen verlese: "Mit tiefem Schmerz, aber bewegt von der Treue zu Unserem Herrn Jesus Christus, von der Liebe zur Kirche und zum Papsttum und von der kindlichen Hingabe zu Ihrer Person, sehen wir uns gezwungen, Ihnen gegenüber eine Zurechtweisung auszusprechen wegen der Verbreitung einiger Häresien". So fängt ein Schreiben an, das vor einigen Monaten Geistliche und Laien veröffentlicht haben, darunter der Schriftsteller Martin Mosebach, der frühere Chef der Vatikanbank und der Oberste der Piusbrüder. Der Ton ist salbungsvoll, der Inhalt scharf. Adressat dieser Zurechtweisung und damit angeblich ein Häretiker ist – Papst Franziskus. Adressatin ist natürlich auch die interessierte Öffentlichkeit. Der Papst verwirre die Gläubigen, es sei nicht mehr klar was Sünde ist, als besonders korrekturbedürftig gilt die Tatsache, dass Franziskus es Katholikinnen und Katholiken, die zum zweiten Mal verheiratet sind, ermöglicht, die Kommunion zu empfangen.
Da müsste ein katholisches Oberhaupt doch drüber stehen, könnte man meinen, auch frühere Päpste haben sich über ihre Kritiker hinweggesetzt. Bis vor fünf Jahren kamen Papstkritisches eher von links und von der Basis, diesmal wird von rechts und im Klerus protestiert. Das wiederum besorgt Franziskus-Anhänger so sehr, dass sie im Internet eine Petition gestartet haben. Pro Pope heißt sie. Der Theologe Paul Zulehner hat dazu aufgerufen. Knapp 46 000 Unterstützer gibt es. Einer von ihnen ist Christian Weisner von der Initiative Wir sind Kirche.
Lange Vorrede, guten Morgen Herr Weisner!
Christian Weisner: Guten Morgen.
Florin: "Wir sind Kirche" war viele Jahrzehnte lang papstkritisch. Warum jetzt die Unterstützung für den Mann im Vatikan?
Weisner: Weil Papst Franziskus das Konzil wieder in die Kirchen zurückbringt und genau das Jesuanische, was in diesem Schreiben, das Sie gerade verlesen haben, deutlich wird, der Bezug auf Jesus, der Bezug auf unseren Religionsgründer, eine Botschaft der Barmherzigkeit - und Papst Franziskus hat wirklich neue Akzente gesetzt und das sind ja die alten Akzente - vor 50 Jahren genau hat es ein Reformkonzil in der katholischen Kirche gegeben, bloß leider haben die Vorgängerpäpste, Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt - der deutsche Papst - haben alles mögliche getan, diese Aufbrüche des Konzils wieder zu unterdrücken und jetzt ist zum Glück jemand aus Lateinamerika da, mit der Erfahrung des Konzils, mit der Erfahrung von Synoden, Kirchenversammlungen, der etwas wieder nach Rom zurückbringt. Und man muss ja ganz deutlich sagen, das ist ja nicht nur ein Schreiben, was Franziskus alleine aufgesetzt hat, sondern es hat zwei weltweite Synoden gegeben, das Kirchenvolk ist vorher befragt worden, also da ist nicht von oben herab etwas bestimmt worden, sondern von unten etwas gewachsen. Und es ist schon schwer verständlich, dass diese 62 Personen, die ja nicht gerade die höchsten Hierarchien in der Kirche sind, dass diese sehr Konservativen, Erzkonservativen, dass die sich jetzt so aufregen.
"Papst Franziskus hat den Dialog in die Kirche gebracht"
Florin: Heißt das: Der Papst hat sich verändert, es ist ein anderer Typus Papst - und nicht "Wir sind Kirche" hat sich verändert?
Weisner: Ich glaube, die Kirchenvolksbewegung hat ja, auch wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die große Laienvertretung, sich immer schon für einen Dialog in der Kirche eingesetzt. Papst Franziskus hat jetzt wirklich ganz deutlich, gerade auch mit der Befragung vor der Familiensynode, diesen Dialog in die Kirche gebracht. Er hat gefragt: Wie schaut es in den einzelnen Ländern aus? Was müssen wir tun? Es ist doch unlogisch, einerseits immer zu sagen, kommt her in die Kirche und auf der anderen Seite gleich Verbotsschilder aufzustellen: "Du darfst nicht, wenn du homosexuell bist, eine Partnerschaft hast, eine zweite Partnerschaft hast". Franziskus ist so mutig gewesen, diese Punkte anzusprechen in den Familiensynoden. Es hat in Rom sehr intensive Diskussionen gegeben und jetzt ist mit diesem nachsynodalen Schreiben ein kleines Fenster geöffnet, dass in bestimmten Fällen unter bestimmten Voraussetzungen, dass jemand, wenn er wiederverheiratet ist, nicht auf Dauer von der Kommunion, von den Sakramenten ausgeschlossen ist.
Florin: Der Theologe Paul Zulehner, der Initiator dieser Internetpetition, schreibt gerade heute in einem Internetblog, Franziskus verschiebe den Akzent vom Gesetz zum Gesicht, also von der Dogmatik zum Blick auf den einzelnen Menschen. Das heißt, es geht in diesem Konflikt nicht nur um das Schreiben zur Ehe, sondern um den gesamten Kurs der katholischen Kirche?
Weisner: Genau. Dass sie weg von einer legalistischen Kirche hin zu einer barmherzigen Kirche kommt. Papst Franziskus hat ja ganz bewusst nicht ein Dogma verändert, sondern er verändert die Pastoralkultur, also wie wir miteinander umgehen in der Kirche. Aber das, was gerade in diesem speziellen Fall sich hoffentlich ändern wird und vielen sich in der Praxis in Deutschland ja schon geändert hat, das ist auch wirklich theologisch nachweisbar nach Thomas von Aquin, der gesagt hat, wir haben ein Gesetz, aber man muss immer sehen, wie man das Gesetz im Einzelfall anwendet, es darf eben nicht unbarmherzig sein. Diese Tür hat Franziskus geöffnet. Und da sind ihm unendlich viele Menschen dankbar. Deswegen ist die Petition, glaube ich, jetzt sehr gut. Die Petition und das Ganze, die Diskussion, ist ja auch entstanden, muss man leider sagen, dass die Bischofskonferenzen in aller Welt, auch die deutsche Bischofskonferenz so lange gebraucht haben, bis sie diesen neuen Kurs von Papst Franziskus unterstützt haben. Nachdem Papst Franziskus dieses Schreiben "Amoris laetitia" geschrieben hat, hat es nochmal neun Monate gedauert, bis die deutschen Bischöfe das für uns in Deutschland übersetzt haben.
Florin: Ja, aber liegt das nicht auch am Papst selber? Es ist ja etwas dran, dass der Papst in einer Fußnote das Entscheidende formuliert, nämlich das mit der Kommunion für die, die zum zweiten Mal in einer zivilen Ehe verheiratet sind. Warum schreibt er denn nicht klar im Haupttext, so, ich möchte das haben, ich bin der Papst - und fertig? Das könnte er doch, das haben ja seine Vorgänger auch gemacht, dann würden das zwar die Kritiker immer noch falsch finden, aber es gäbe keinen Grund für die Verwirrung, von der immer die Rede ist. Dann wäre es eben klar und dann kann man eben dafür oder dagegen sein. Aber dann müssten sich die Bischofskonferenzen nicht so schwer tun und selber denken.
"Das Eigentlich, das Jesuanische"
Weisner: Aber das ist genau dieser Wechsel in dem Papstverständnis. Papst Benedikt hat das Papstamt schon verändert, indem er auch zurückgetreten ist, aus Altersgründen und auch aus den Gründen wir Vatileaks und sexueller Missbrauch und so weiter. Und Papst Franziskus öffnet das Papsttum nicht als einer, der von oben befiehlt, sich auf die Traditionen beruft, sondern der hört, was ist in der Welt los. Es ist wirklich die Sache der Theologen, der Bischöfe, zu schauen, was kommt in unserer Kultur an und diese Familiensynoden haben ja auch deutlich gezeigt, wie unterschiedlich die römisch-katholische Kirche weltweit ist, also da wäre es auch falsch gewesen, von oben auf einen Knopf zu drücken und zu sagen, ab 1. Januar oder ab neuem Kirchenjahr ist das und das erlaubt. Wir sind in einem Prozess des Wandels, dieser Prozess muss aber gestaltet werden und solange die Bischofskonferenz und die Theologinnen und Theologen da nicht mithelfen, da sehe ich im Augenblick leider ein Vakuum, da kriegen solche kritische Stimmen, die dem Papst Häresie vorwerfen, natürlich eine ungeahnt große mediale Wirkung.
Florin: Die sind also für den Papst wirklich gefährlich? Es geht ja nicht allein um die mediale Wirkung, es geht ja auch um die innerkirchliche, um die innerinstitutionelle Wirkung?
Weisner: Die katholische Kirche ist, denk ich schon, in einer sehr großen Krise, in einer inneren Krise. Ich denke nur an die sexualisierte Gewalt, die jahrelang vertuscht worden ist, ich denke an Vatileaks und da kommt dann ein Papst aus Lateinamerika und versucht, wieder das eigentliche im Christentum zu entdecken, das Jesuanische im Christentum zu entdecken, die Barmherzigkeit, nicht die Menschen mit Geboten zu überfordern, sondern im Grunde helfen, Gemeinschaft zu bilden und ich denke, Papst Franziskus hat in den vergangenen viereinhalb Jahren unendlich vieles, ich sag mal, in der Innen- und in der Außenpolitik geleistet, das Problematische ist, dass er innerhalb der römischen Verwaltung, innerhalb der römischen Kurie, viel zu wenig Unterstützung dafür bekommt und man hat so den Eindruck, das ein Großteil der Bischöfe, ein Großteil der Menschen, die jetzt noch im Amt sind, dass die warten , naja, lasst mal diesen Papst noch ein bisschen sein, der nächste Papst wird schon wieder alles zurückdrehen, aber wir sind ja in einer Kultur des Wandels und diese muss vorangebracht werden.
"Der nächste Papst kann nicht wieder zurück in die roten Schuhe"
Florin: Ist es mutig, für den Papst zu sein und das öffentlich zu bekunden?
Weisner: Das ist im Augenblick gar nicht mutig. "Wir sind Kirche" hat vorher auch andere mutige Stellungnahmen gemacht, die wurden als gegen den Papst verstanden, gegen den letzten Papst. Ich glaube, wir sind als römisch-katholische Kirche, die so scheinbar hierarchisch von oben aufgebaut ist, auch in der römisch-katholischen Kirche gibt es synodale Elemente, also Elemente der gemeinsamen Beratung, der Beschlussfassung und das hat Franziskus ja deutlich gemacht, auch in der römisch-katholischen Kirche haben wir seit 50 Jahren die Möglichkeit einer synodalen Kirche, sie wurde bislang nur nicht ausgenutzt.
Florin: Wie viele Katholikinnen und Katholiken interessiert das eigentlich, was der Papst zur Ehe sagt. Sind das nicht Kämpfe von gestern? Haben nicht viele ihren eigenen Weg schon gefunden - und für die da draußen, die jetzt nicht katholisch sind, sieht das doch eh alles aus, wie die Selbstbeschäftigung eines merkwürdigen Volksstamms.
Weisner: Genau so ist es. Aber durch diese Gesetzesgläubigkeit haben wir natürlich in der katholischen Kirche sehr, sehr viele Menschen, aktive Menschen, die sich auch für andere wichtige Sachen, wie jetzt die Flüchtlingsfrage, die Klimafrage einsetzen, verloren. Und das ist so unendlich schade, aber Papst Franziskus bringt ja dieses auch zusammen, er denkt eine neue Vision von Kirche, diese Einsatz für die gesamte Menschheit, ich denke an die Umwelt - und Sozialenzyklika "Laudato si'", heute beginnt ja in Bonn die Weltklimakonferenz wieder, also da setzt er ganz wichtige Impulse und ich denke, die Religionen, gerade das Christentum, habe ganz viel zu sagen, aber sie müssen mit internen Dingen natürlich auch gut zurecht kommen.
Florin: Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort: Der Papst versucht eine Art Reform von oben. Glauben Sie, dass er scheitert?
Weisner: Er wird nicht scheitern, weil er hat schon so viel in Bewegung gesetzt und der nächste Papst kann nicht wieder, ich sag mal, zurück in die roten Schuhe. Aber der Prozess des Wandels ist noch nicht abgeschlossen und er muss noch stärker werden, gerade auch von den Bischöfen.
Florin: Vielen Dank, Herr Weisner. Mit Christian Weisner von "Wir sind Kirche" sprach ich darüber, warum der Papst eine Solidaritätsbekundung nötig hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.