1983 - eine Demonstration auf dem Ostberliner Alexanderplatz. Eine kleine Gruppe von Protestierenden entrollt Transparente mit der Aufschrift "Schwerter zu Pflugscharen" und "Jetzt anfangen: Abrüstung in Ost und West". Eine Frau verteilt Blumen und versucht Passanten in ein Gespräch zu verwickeln. "Tulpen sind Friedensblumen", sagt sie. "Holland ist ein Tulpenland und hat eine starke Friedensbewegung." Die einschreitenden Sicherheitskräfte identifizieren sie als führende Vertreterin der Grünen. Ihr Name: Petra Kelly. Mit dieser Szene beginnt Saskia Richters Buch "Die Aktivistin" über "Das Leben der Petra Kelly".
"Ich fand die Aktion sehr spannend und eingängig, weil sie Grenzüberschreitung in doppelter Weise beinhaltet. Es war ja so, dass Petra Kelly, Lukas Beckmann, Gert Bastian und andere von West-Berlin nach Ost-Berlin gereist sind, um eine Friedensdemonstration durchzuführen. Das ist einmal diese Grenzüberschreitung von West nach Ost, die nicht selbstverständlich war, und dann das Hissen der Demonstrationsplakate auf dem Ostberliner Alexanderplatz, auf dem damals ja striktes Demonstrationsverbot herrschte, fand ich gleich doppelt symbolisch. Und deswegen habe ich diese Szene gewählt, um das Buch zu beginnen."
Saskia Richter ist Jahrgang 1978 und damit zu jung, um Petra Kelly zu deren Lebzeiten bewusst wahrgenommen zu haben. Erst die Beschäftigung mit dem Gründungsprozess der Grünen weckte das Interesse der Politikwissenschaftlerin für die ebenso charismatische wie zerbrechlich wirkende Gallionsfigur der grünen Anfangsjahre. Detailliert verfolgt Saskia Richter den Lebensweg von Petra Kelly, die 1947 als Petra Karin Lehmann in der katholisch geprägten Kleinstadt Günzburg in Bayern geboren wurde und in den 60er-Jahren in den USA aufwuchs, der Heimat ihres Stiefvaters, des Captains der US-Army John Edward Kelly. Der Krebstod ihrer zehnjährigen Halbschwester Grace nach langer Strahlenbehandlung wurde für Petra Kelly 1970 zum bewusstseinsverändernden Schicksalsschlag. Saskia Richter:
"Petra Kelly hat im Nachhinein diese Strahlentherapie für das Sterben von Grace verantwortlich gemacht und dann angefangen, sich für ionisierende Strahlung zu interessieren, erst in der Verwendung im medizinischen Bereich, dann in der zivilen Nutzung, also Atomkraftwerke, und hinterher dann in der militärischen Nutzung, also in Friedensbewegung. Also, das ist so inhaltlich ein sehr wichtiger Punkt."
1979 traten die neu gegründeten Grünen bei den ersten europäischen Parlamentswahlen mit Petra Kelly als Spitzenkandidatin an. In Zeiten des atomaren Wettrüstens und der Anti-AKW-Bewegung wurde sie zur Stimme einer Opposition, die zunächst die Straße und dann das Parlament eroberte. Mit ihr als Leitfigur gelang es den Grünen 1983 die Fünfprozenthürde zu überspringen und in den Bundestag einzuziehen.
"Wenn man also politisch Partei werden will, braucht es Organisatoren und Leute, die auch diese Themen bündeln können und auch medial darstellen konnten. Und dafür war Petra Kelly perfekt und großartig. Sie konnte sich nicht in diesen Strukturen im Bundestag verankern und auch nicht wirklich in der Partei Fuß fassen. Und deswegen ist sie dann politisch so ein bisschen ins Abseits geraten."
Ende der Achtziger gewannen bei den Grünen die Realos immer mehr an Boden. Joschka Fischer wurde Minister in Hessen, während Petra Kelly weiterhin Oppositionspolitik betrieb und an der Idee einer Antiparteienpartei festhielt. Wie sehr sie inzwischen in der eigenen Partei isoliert war, bekam sie 1991 zu spüren, als sie für das Amt der Parteisprecherin kandidierte und nur 32 von 660 abgegebenen Stimmen erhielt. Die "Aktivistin" war plötzlich nicht mehr gefragt. Eine eigene Fernsehsendung auf Sat1 wurde nach wenigen Folgen abgesetzt. Am 19. Oktober 1992 wurde Petra Kelly tot in ihrer Bonner Wohnung aufgefunden. Sie war durch einen Schuss aus der Pistole ihres Lebensgefährten Gert Bastian getötet worden. Nach der Tat hatte der 24 Jahre ältere Ex-Bundeswehrgeneral und Grünenpolitiker Bastian, mit dem Petra Kelly eine mehr als zehnjährige symbiotische Beziehung verband, die Waffe gegen sich selbst gerichtet.
"Es war auf jeden Fall so, dass Gert Bastian und Petra Kelly fast immer zusammen waren, dass Petra Kelly oft gesagt hat, sie wolle und könne nicht ohne Gert Bastian leben. Er hat sie sehr stark unterstützt, auch ihre politische Arbeit unterstützt, und war möglicherweise nicht mehr ganz so dazu in der Lage, ihr zu folgen. Er hatte gesundheitliche Probleme, auch einen Unfall gehabt. Das war auch für ihn wahrscheinlich eine ziemlich schwierige Zeit. Was dann aber letztlich zu der Tat geführt hat, kann ich leider nicht genau sagen."
Saskia Richter beteiligt sich nicht an Spekulationen um den schockierenden und rätselhaften Tod des prominenten Paares. Ihre umfangreiche Biografie bleibt auch an spektakulären biografischen Punkten angenehm unaufgeregt. Allerdings hätte man sich ein wenig mehr stilistische Verve der jungen Autorin gewünscht. In Tonfall und Struktur - es gibt einen mehr als hundertseitigen Anhang mit Anmerkungen und Quellenangaben - schimmert ein wenig zu sehr die Promotionsschrift durch, als die der Text zunächst verfasst wurde. Dennoch gelingt es Saskia Richter, mit großer Sachkenntnis ein differenziertes, reflektiertes und aufschlussreiches Bild der in Vergessenheit geratenen "Aktivistin" Petra Kelly zu zeichnen, die für Nachgeborene wie die Autorin durchaus eine Vorbildfunktion haben könnte.
"Das Faszinierende an Petra Kelly ist, dass sie politische Überzeugung hatte, für die sie gekämpft hat. Das ist das, was man unseren heutigen Politikern immer ein bisschen vorwirft: Sie seien halt mit 14 in den Jugendverband ihrer Parteiorganisation eingetreten und hätten seitdem nichts anderes gesehen als die Partei und vielleicht noch ein bisschen Jurastudium. Dann sind sie schon früh im Bundestag oder in irgendwelchen Parteigremien gewesen und haben halt gelernt, wie man professionell Politik macht. Und Petra Kelly hatte einen inneren Leitfaden, eine Idee davon, wie Gesellschaft und wie Zusammenleben sein sollte. Das ist das Faszinierende an Petra Kelly, das ist das, wovon sich heutige Politiker vielleicht noch was abschneiden können."
"Die Aktivistin – Das Leben der Petra Kelly". Das Buch von Saskia Richter ist bei DVA erschienen, 528 Seiten kosten 24 Euro 99, ISBN: 978-3-421-04467-9.
"Ich fand die Aktion sehr spannend und eingängig, weil sie Grenzüberschreitung in doppelter Weise beinhaltet. Es war ja so, dass Petra Kelly, Lukas Beckmann, Gert Bastian und andere von West-Berlin nach Ost-Berlin gereist sind, um eine Friedensdemonstration durchzuführen. Das ist einmal diese Grenzüberschreitung von West nach Ost, die nicht selbstverständlich war, und dann das Hissen der Demonstrationsplakate auf dem Ostberliner Alexanderplatz, auf dem damals ja striktes Demonstrationsverbot herrschte, fand ich gleich doppelt symbolisch. Und deswegen habe ich diese Szene gewählt, um das Buch zu beginnen."
Saskia Richter ist Jahrgang 1978 und damit zu jung, um Petra Kelly zu deren Lebzeiten bewusst wahrgenommen zu haben. Erst die Beschäftigung mit dem Gründungsprozess der Grünen weckte das Interesse der Politikwissenschaftlerin für die ebenso charismatische wie zerbrechlich wirkende Gallionsfigur der grünen Anfangsjahre. Detailliert verfolgt Saskia Richter den Lebensweg von Petra Kelly, die 1947 als Petra Karin Lehmann in der katholisch geprägten Kleinstadt Günzburg in Bayern geboren wurde und in den 60er-Jahren in den USA aufwuchs, der Heimat ihres Stiefvaters, des Captains der US-Army John Edward Kelly. Der Krebstod ihrer zehnjährigen Halbschwester Grace nach langer Strahlenbehandlung wurde für Petra Kelly 1970 zum bewusstseinsverändernden Schicksalsschlag. Saskia Richter:
"Petra Kelly hat im Nachhinein diese Strahlentherapie für das Sterben von Grace verantwortlich gemacht und dann angefangen, sich für ionisierende Strahlung zu interessieren, erst in der Verwendung im medizinischen Bereich, dann in der zivilen Nutzung, also Atomkraftwerke, und hinterher dann in der militärischen Nutzung, also in Friedensbewegung. Also, das ist so inhaltlich ein sehr wichtiger Punkt."
1979 traten die neu gegründeten Grünen bei den ersten europäischen Parlamentswahlen mit Petra Kelly als Spitzenkandidatin an. In Zeiten des atomaren Wettrüstens und der Anti-AKW-Bewegung wurde sie zur Stimme einer Opposition, die zunächst die Straße und dann das Parlament eroberte. Mit ihr als Leitfigur gelang es den Grünen 1983 die Fünfprozenthürde zu überspringen und in den Bundestag einzuziehen.
"Wenn man also politisch Partei werden will, braucht es Organisatoren und Leute, die auch diese Themen bündeln können und auch medial darstellen konnten. Und dafür war Petra Kelly perfekt und großartig. Sie konnte sich nicht in diesen Strukturen im Bundestag verankern und auch nicht wirklich in der Partei Fuß fassen. Und deswegen ist sie dann politisch so ein bisschen ins Abseits geraten."
Ende der Achtziger gewannen bei den Grünen die Realos immer mehr an Boden. Joschka Fischer wurde Minister in Hessen, während Petra Kelly weiterhin Oppositionspolitik betrieb und an der Idee einer Antiparteienpartei festhielt. Wie sehr sie inzwischen in der eigenen Partei isoliert war, bekam sie 1991 zu spüren, als sie für das Amt der Parteisprecherin kandidierte und nur 32 von 660 abgegebenen Stimmen erhielt. Die "Aktivistin" war plötzlich nicht mehr gefragt. Eine eigene Fernsehsendung auf Sat1 wurde nach wenigen Folgen abgesetzt. Am 19. Oktober 1992 wurde Petra Kelly tot in ihrer Bonner Wohnung aufgefunden. Sie war durch einen Schuss aus der Pistole ihres Lebensgefährten Gert Bastian getötet worden. Nach der Tat hatte der 24 Jahre ältere Ex-Bundeswehrgeneral und Grünenpolitiker Bastian, mit dem Petra Kelly eine mehr als zehnjährige symbiotische Beziehung verband, die Waffe gegen sich selbst gerichtet.
"Es war auf jeden Fall so, dass Gert Bastian und Petra Kelly fast immer zusammen waren, dass Petra Kelly oft gesagt hat, sie wolle und könne nicht ohne Gert Bastian leben. Er hat sie sehr stark unterstützt, auch ihre politische Arbeit unterstützt, und war möglicherweise nicht mehr ganz so dazu in der Lage, ihr zu folgen. Er hatte gesundheitliche Probleme, auch einen Unfall gehabt. Das war auch für ihn wahrscheinlich eine ziemlich schwierige Zeit. Was dann aber letztlich zu der Tat geführt hat, kann ich leider nicht genau sagen."
Saskia Richter beteiligt sich nicht an Spekulationen um den schockierenden und rätselhaften Tod des prominenten Paares. Ihre umfangreiche Biografie bleibt auch an spektakulären biografischen Punkten angenehm unaufgeregt. Allerdings hätte man sich ein wenig mehr stilistische Verve der jungen Autorin gewünscht. In Tonfall und Struktur - es gibt einen mehr als hundertseitigen Anhang mit Anmerkungen und Quellenangaben - schimmert ein wenig zu sehr die Promotionsschrift durch, als die der Text zunächst verfasst wurde. Dennoch gelingt es Saskia Richter, mit großer Sachkenntnis ein differenziertes, reflektiertes und aufschlussreiches Bild der in Vergessenheit geratenen "Aktivistin" Petra Kelly zu zeichnen, die für Nachgeborene wie die Autorin durchaus eine Vorbildfunktion haben könnte.
"Das Faszinierende an Petra Kelly ist, dass sie politische Überzeugung hatte, für die sie gekämpft hat. Das ist das, was man unseren heutigen Politikern immer ein bisschen vorwirft: Sie seien halt mit 14 in den Jugendverband ihrer Parteiorganisation eingetreten und hätten seitdem nichts anderes gesehen als die Partei und vielleicht noch ein bisschen Jurastudium. Dann sind sie schon früh im Bundestag oder in irgendwelchen Parteigremien gewesen und haben halt gelernt, wie man professionell Politik macht. Und Petra Kelly hatte einen inneren Leitfaden, eine Idee davon, wie Gesellschaft und wie Zusammenleben sein sollte. Das ist das Faszinierende an Petra Kelly, das ist das, wovon sich heutige Politiker vielleicht noch was abschneiden können."
"Die Aktivistin – Das Leben der Petra Kelly". Das Buch von Saskia Richter ist bei DVA erschienen, 528 Seiten kosten 24 Euro 99, ISBN: 978-3-421-04467-9.