"Gostava tanto de vocé" – "Ich hatte dich doch so gerne", lautet der Song des brasilianischen Schnulzenbarden Tim Maia. Nur wenige Gäste sitzen in dem kleinen Restaurant in Ipojuca im Nord-Osten Brasiliens. Sie achten nicht auf den Song, obwohl der Titel gut passt zur trostlosen Lage in der Kleinstadt und im Restaurant. Kellner José Edson Freitas wirkt frustriert. "Wir haben hier im Restaurant 70 Prozent Einbußen. Man kann es kaum glauben, aber es ist so. Früher haben hier 25 Leute gearbeitet, jetzt sind es nur noch zehn."
Ipojuca hat schon bessere Zeiten gesehen. Im nahen Suape wurde ein großer Hafen gebaut, und ganz in der Nähe der Stadt wird eine Raffinerie hochgezogen. Doch die Erwartungen erfüllten sich nicht. 230.000 Barrel schweres Öl sollten pro Tag zu Diesel verarbeitet werden. Doch Abreu e Lima - so der Name der Raffinerie - arbeitet nur mit halber Kapazität. Und der Ausbau des Komplexes liegt derzeit auf Eis. Das hat Folgen: "Die ganze Region leidet unter der Krise. Auch der Immobiliensektor. Die Immobilien-Besitzer wollen alles verkaufen, obwohl sie in der Vergangenheit häufig ihre letzten Cents investiert haben. Und jetzt sind die Preise natürlich am Boden. Viele haben hier investiert, weil sie dachten, dass die Raffinerie einen Boom auslösen, der Bundesstaat Pernambuco nach vorne kommen würde. Aber die Menschen haben kaum noch Hoffnung."
2010 war das noch anders. Beifallsstürme für den damaligen Präsidenten Lula da Silva bei seinem Besuch in Ipojuca. Brasilien hatte vor seiner Küste riesige Ölmengen gefunden. Bis zu 50 Milliarden Barrel schätzten die Fachleute. Öl, das im Meer in einer Tiefe von 7.000 Metern unter einer kilometerdicken Salzschicht liegt, sogenanntes Pre-Sal-Öl. Brasilien - so die Vision Lulas - sollte zum Saudi-Arabien des Südens werden. Und die Raffinerie Abreu e Lima dabei eine wichtige Rolle spielen. Dafür ließ sich Lula einst feiern.
"Als ich hier ankam, habe ich den Bus halten lassen und habe all die Arbeiter am Eingang der Raffinerie begrüßt. Sie haben mich umarmt und sie haben mir gedankt, dass sie jetzt eine Arbeit haben. Und nicht nur hier. In ganz Brasilien haben in den acht Jahren unserer Regierung 14,5 Millionen Menschen eine Arbeit bekommen."
Der Beifall ist schon lange verhallt. Die Förderung des Öls erwies sich als schwieriger als gedacht. Sie ist aufwendig. Bisher wird nur ein Bruchteil dessen gefördert, was geplant war. Keine guten Nachrichten für die Raffinerie.
Zu den technischen Schwierigkeiten kommt nun auch noch der Petrobras-Korruptionsskandal. Nachdem das größte brasilianische Unternehmen - der Energie-Riese Petrobras - im Zentrum eines beispiellosen Korruptionsskandales steht, stockt der Weiterbau der Raffinerie Abreu e Lima.
Und das ist kein Einzelfall. Überall im Land liegen Bauprojekte auf Eis, Investitionsprojekte werden erst einmal zurückgestellt. Der Petrobras-Skandal nimmt die Wirtschaft des Landes in den Würgegriff. Mit fatalen Folgen, erläutert Wirtschaftsfachmann Demetrio Magnoli. "Das Bruttoinlandsprodukt wird dieses Jahr weiter sinken, etwa 1 Prozent, vielleicht 1,5 Prozent. Das ist sehr ungewöhnlich in der brasilianischen Geschichte. Und es gibt viele Fachleute, die für 2016 von einer weiteren Abschwächung ausgehen. Falls dieses negative Szenario wirklich eintritt, würde sich etwas wiederholen, was in der Geschichte Brasiliens nur einmal eingetreten ist - zwei Jahre hintereinander Rezession - das gab es nur 1929 und 1930."
Unter Druck steht auch die Regierung. Präsidentin Dilma Rousseff saß jahrelang im Aufsichtsrat von Petrobras. Führende Mitglieder der Koalitionsparteien, die die Regierung stützen, sollen über Jahre Schmiergelder erhalten haben. Der Schaden geht in die Milliarden US-Dollar. "Das ganze verschlimmert sich durch die politische Krise, die die Legitimität der Regierung infrage stellt. Die Regierung hat ihre Autorität verloren, vor allem im Kongress. Darunter leiden auch die wirtschaftlichen Aussichten. Die haben sich komplett aufgelöst. Die strukturelle Krise wird also zur konjunkturellen Krise."
Mehr als ein Dutzend Zulieferfirmen und Baufirmen - darunter die größten des Landes - sind aufgrund der Korruptionsvorwürfe derzeit von Investitionsvorhaben ausgeschlossen. Viele der Unternehmen sind daraufhin in finanzielle Schieflage geraten. Brasiliens Wirtschaft steht vor schwierigen Zeiten. Ipojuca - wo die Raffinerie Abreu e Lima einst Hoffnungsträgerin für eine ganze Region war - steckt bereits mitten in der Krise. Viel Hoffnung haben die Menschen dort nicht mehr. Luciano Jorge Santos und José Edson Freitas jedenfalls, die beiden Kellner aus dem kleinen Restaurant, klingen nicht gerade optimistisch.
"Viele sind noch nicht weggegangen, weil sie noch auf ihre Löhne warten. Und manche warten aufs Arbeitslosengeld, um dann nach Hause zu fahren. Ich selber warte auch noch ab, bis ich was bekomme."
"Ich gehe wieder heim, ich habe genug von all dem."