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Pfadfinder ohne Kompass

Biologie. - Brieftauben finden aus der Ferne wieder in den heimischen Schlag, Störche starten in Mecklenburg und finden sicher in ihr Winterquartier nach Mali. Zwar ist die verblüffende Orientierungsleistung bislang nicht vollständig geklärt, doch immerhin deckten Biologen jetzt neue Details zum "Bio-GPS" der Vögel auf.

Von Michael Gessat |
    Die sperlingsgroße Dachsammer "Zonotrichia leucophrys gambelii" nistet und brütet im Westen Kanadas bis hinauf nach Alaska. Und Jahr für Jahr fliegen die Tiere im Herbst die Küste herunter in ihre Winterquartiere im Südwesten der USA und in Nordmexiko. Im Gegensatz zu Schwarmziehern wie Staren übrigens nicht als Massentouristen: Dachsammern sitzen zwar bei Zwischenstopps mit Artgenossen beieinander, fliegen aber allein und finden ganz auf sich gestellt ans Ziel. Dieses Mal allerdings, etwa auf der Hälfte des Wegs, gingen 15 Jungvögel und 15 ältere Semester erst einmal dem Ornithologen Kasper Thorup von der Universität Kopenhagen ins Netz:

    "Die Vögel wurden in Sunnyside an der Westküste der USA eingefangen und dann mit einem Linienflugzeug nach Princeton an die Ostküste transportiert, das ist eine Entfernung von 3700 Kilometern. Und sicherlich weit, weit entfernt von allen Gegenden, in die sie bis dahin jemals gekommen waren."

    Alle 30 Dachsammern bekamen einen winzigen Peilsender, nur ein halbes Gramm schwer, auf den Rücken geklebt. Und dann hieß es für die Tiere: Gute Weiterreise! Und für die Forscher: Kontakt halten! Um die 30 verschiedenen Funksignale ein paar Tage und Nächte lang zu verfolgen, standen Fahrzeuge, vor allem aber ein Kleinflugzeug zur Verfügung. Maximal 120 Kilometer weit konnten Thorup und seine Kollegen den Ammern auf der Spur bleiben, bevor die Entfernung der Signale voneinander und damit das abzufliegende Gebiet zu groß wurde. Aber das Ergebnis war ohnehin eindeutig:

    "Schon kurze Zeit nach der Freilassung, genauer gesagt zur Nachtstunde – diese Vögel ziehen nämlich nachts - begannen sie wieder mit der Wanderung. Und die Erwachsenen flogen praktisch direkt in die Richtung der angestammten Winterquartiere ihrer Art, also Kurs West-Südwest."

    Anscheinend verfügen die Tiere über ein natürliches Navigationssystem, sozusagen ein "biologisches GPS", das über den ganzen nordamerikanischen Kontinent funktioniert. Nur mit welcher Technik? Mit Hilfe des Erdmagnetfelds? Im konkreten Fall unwahrscheinlich, denn die Vögel waren entlang einer Linie gleicher magnetischer Intensität von West nach Ost verfrachtet worden, die magnetischen Verhältnisse waren also fast unverändert.

    "Sogar Menschen bekommen eine Ortsveränderung über eine solche Distanz ohne weiteres mit: Das heißt dann Jetlag, und bedeutet, der Körper spürt: die Zeit stimmt nicht. Vögel haben ein sehr gutes Zeitgefühl, und sie merken zweifellos: Die Sonne geht viel zu früh unter, also bin ich weit nach Osten versetzt worden."

    Höchstwahrscheinlich nutzen die Dachsammern anschließend den Sternenhimmel als Orientierungshilfe beim nächtlichen Flug. Aber auch eine Annäherung ans Ziel per Geruchssinn, schier unglaublich über eine solche Distanz, mag Thorup nicht völlig ausschließen. Mit welcher Navigationstechnik auch immer; auf Kurs West-Südwest, Richtung angestammte Winterquartiere gingen überhaupt nur die Vögel, die schon einmal dort gewesen waren:

    "Die Jungvögel flogen nach der Freilassung ganz eindeutig in eine andere Richtung als die Alten, nämlich nach Süden. Also unverändert in die Himmelsrichtung, in der sie an der Westküste unterwegs waren, als wir sie einfingen."

    Die Forscher schließen daraus: Angeboren und einprogrammiert ist den Tieren beim ersten Zug offenbar einfach die Richtung und eine Distanz. Und erst beim Aufenthalt im Winterquartier selbst wird das Vogel-Navigationssystem ein für alle Mal auf diesen konkreten Ort hin geeicht. Auch im Süden der US-Ostküste lässt sich der Winter ganz gut überstehen. Vermutlich können unsere 15 Jung-Dachsammern also im Frühjahr gesund den Rückflug in ihre Heimat antreten. Und trotz des viel längeren Wegs: Den falschen, für sie jetzt richtigen Winterquartieren an der Ostküste werden sie ihr Leben lang die Treue halten.