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"Pfisters Mühle" am Schauspiel Stuttgart
Mit verdächtiger Munterkeit

"Pfisters Mühle" von Wilhelm Raabe gilt als erster Umweltroman der Literaturgeschichte. Kein klassisches Werk für das Theater - dennoch gelingt die Inszenierung von Armin Petras am Schauspiel Stuttgart.

Von Cornelie Ueding |
    Naheliegend ist es nicht, dass einer Raabes im Tone biedermeierlich, ja versöhnlich anmutenden, als "Sommerferienheft" deklarierten Roman "Pfisters Mühle" fürs Theater entdeckt, auch wenn er als erster Umweltroman gilt. Und Armin Petras hat ersichtlich alles andere im Sinn, als szenisch umgeformte Romansequenzen auf die Gegenwartsbühne zu wuchten, auch wenn er, wie die Prosa-Vorlage, das Geschehen in Einzelbilder zerlegt. In einer bewegten Bilderfolge zeigt er Momentaufnahmen eines unumkehrbaren Auflösungsprozesses und bringt so den fernen Raabe zu gegenwärtiger Kenntlichkeit. Von der verträumten Vergangenheit der Mühle, einem beliebten Ausflugslokal, zeugen nur noch ein paar herumgereichte museale Abbildungen: eine romantische Mühle wie aus dem Bilderbuch, mit behaglichem Wirtschaftsgarten und kristallklarem Bächlein. Doch dieses Bächlein beginnt befremdlich zu riechen, schließlich pestilenzialisch zu stinken.
    Der Anfang vom Ende und zugleich der Beginn einer neuen Geschichte: Schon während der frisch gebackene Nicht-mehr-Mühlenbesitzer, seine Familie und Freunde noch die einstige Idylle besingen, schwärmen die Cleversten in den Zuschauerraum aus und werben für ihre Zukunftsperspektive. Der vergiftete, schleimige Bach ist nicht Episode, sondern Zentrum der Szene. Petras und sein Bühnenbildner Martin Eder markieren ihn durch einen breiten, bedrohlich tiefen Graben, den die Schauspieler, auf schmalen Stegen balancierend, permanent überschreiten müssen. Für die einen wird er zur Apokalypse, für andere zum Sinnbild einer sprudelnden Geldquelle. Weit interessanter aber als die chemischen Cocktails im Mühlbach ist für den Regisseur die Chemie der Verhaltensweisen. Die reichen von lähmendem Entsetzen und stummer Fassungslosigkeit bis hin zu egomanischer Gleichgültigkeit und opportunistischem, ja hysterischem Umschwenken auf die Verheißungen der neuen Technologien. Genau diese Reaktionen all der Leute, die sich in der Bühnenweite zwischen der Grube des Baches und dem Rotoren-Schacht der Mühle einrichten, hat Petras mit theatralischen Mitteln lustvoll karikiert.
    Ein traumhaft schönes, stummes Bild
    Petras nutzt im wahrsten Sinne des Wortes den Spielraum der Romanvorlage, schreibt die Geschichte bilderreich bis in die Gegenwart fort - und genau darin liegt die Stärke seiner Interpretation. Mit Aktenbündeln unterm Arm hechelt der regieführende Erzähler seinen Figuren hinterher und gibt gestisch Anweisungen. Zwischendurch berichtet er seiner wibbelig quietschenden oder sich fordernd räkelnden "jungen Frau" im Reifrock-, später Disco-Look von seiner ererbten Mühle - und wirkt doch selbst an ihrem Untergang mit. Aus dem Zusammenspiel von typisch Raabe'scher "Aktenlage" und Petras szenischer Fantasie ist eine mitreißende Bilderflut entstanden über den Zusammenhang von menschlicher Gier, Opportunismus und der planvollen Zerstörung der Natur. Das könnte penetrant moralisch wirken - eine Gefahr, die Petras durch überbordende, gespenstisch-komische Spiellust virtuos unterläuft.
    Allein Vater Pfisters Mutation ist sehenswert: vom anfangs selbstzufriedenen Mühlenwirt zum fassungslosen Wutbolzen, der in einem wahnwitzigen Wutrausch eben mal kurz die Bühne leer räumt und zum Erschrecken aller Mitakteure fast aus den Angeln hebt. Am Ende steht er sogar als Assistent des eigenen Untergangs da - dem es buchstäblich die Sprache verschlagen hat. Alle anderen erfasst der Fortschrittswahn. Petras lässt sie wahre Veitstänze aufführen und zu einer zuckend verzerrten, rhythmisch break-dancenden Verzückungsgemeinde werden - und gibt doch jedem von der Aufbruchsstimmung infizierten Opportunisten ein eigenes Profil - bis hin zu dem einst tragisch umflorten Dichter, der das Aussterben seiner eigenen Spezies zur virtuos gefeierten Kunstform erhöht. Mit verdächtiger Munterkeit entlarvt diese Aufführung am Beispiel der versunkenen kleinen Mühlenwelt selbst das Phänomen der Umweltschonung im Zeitalter des großen Kapitals.
    Und nach - leider sehr langer - Umbaupause schlägt ein traumhaft schönes, stummes Bild den Bogen zu einer Zukunft mit zerstörter Ozonschicht: Menetekel-artig wird im Licht einer gleißenden Sonne Plastikmüll, monströs geballt, aus dem Bühnenmeer gezogen. Daneben knöcheltief im Wasser, erstarrte Figuren. Mit Kinderwagen. Und Blindenbrille.