"Wir sehen jetzt hier eine Aufnahme mit einer herkömmlichen Action-Kamera gemacht und sehen hier den Versuchsaufbau mit den zwei Bambushecken, die wir hier sehen."
Das Video zeigt zwei etwa mannshohe Bambusbüsche, die etwa zehn Meter voneinander entfernt stehen. Vor und hinter den Pflanzen sind auf Holzpfählen Drucksensoren montiert. Genau zwischen ihnen liegt auf einem Sockel eine rosafarbene, etwa fußballgroße Kugel, die an Knetmasse erinnert. Paul Warnstedt, Ingenieur am Institut für Mechanik und Statik der Universität der Bundeswehr in München erklärt mir, was es damit auf sich hat:
"Hier in der Mitte befindet sich der Sprengstoff, der ist auf einer Höhe von einem halben Meter über dem Boden und liegt auf so einem Styroporblock auf."
3,9 Kilogramm PETN, ein Plastiksprengstoff. Hinsichtlich der Wirkung entspricht das fünf Kilogramm des Referenzsprengstoffs TNT. Das gilt als eine Menge, die ein möglicher Attentäter vergleichsweise einfach in einem Rucksack mit sich tragen könnte.
"Und jetzt sehen wir, was passiert. Das ist jetzt hier keine Highspeedaufnahme, dafür haben wir Ton", erklärt Paul Warnstedt.
Mit einem Knall explodiert der Sprengsatz. Eine meterhohe Feuerwolke fegt über den Boden. Die Bambusbüsche werden kräftig durchgeschüttelt und beinahe umgeknickt, richten sich dann aber wieder auf.
"Und im Vergleich zu dem, was man vielleicht aus irgendwelchen Filmen kennt, sieht man, dass das hier unheimlich rasant geht und Sie haben also keine Chance, sich da irgendwie noch dieser Explosionsbelastung zu entziehen, dass Sie da irgendwo dahinter springen oder sowas."
Ein Mensch hätte in dieser Entfernung im Grunde keine Überlebenschance gehabt, sagt Paul Warnstedt.
Städte sind verwundbare Ziele
Dass Forscher der Universität der Bundeswehr überhaupt Pflanzen in die Luft sprengen, hört sich vielleicht komisch an, hat aber einen ernsten Hintergrund. Im Auftrag des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe untersuchen sie, welchen Beitrag Vegetation in städtischen Sicherheitskonzepten leisten kann. Denn spätestens nach dem Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 haben Sicherheitsexperten erkannt, dass Städte vergleichsweise verwundbare Ziele für Terroristen darstellen. Weil man aber nicht einfach überall Panzersperren und Betonmauern aufstellen kann, sind auch andere, neue Ideen gefragt. Eine davon ist, bei möglichen Bombenanschlägen mithilfe von Pflanzen den Explosionsdruck abzuschwächen und so Menschen und Gebäude zu schützen.
"Und die Pflanzen sehen noch ganz gut aus. Das ist das erste, was mir hier auffällt. Die Pflanzen sehen hier tatsächlich noch ganz gut aus. Wenn wir uns das ganze mal wirklich in Zahlen angucken, sehen wir also beim Bambus, am Sensor, der sich unmittelbar hinter der Hecke befindet, im Vergleich zu den Referenzwerten eine Reduktion dieses Spitzenüberdruckes von knapp 30 Prozent", so Paul Warnstedt.
Der Spitzenüberdruck ist eine Luftdruckwelle, die bei einer Explosion schlagartig entsteht und sich annähernd kugelförmig vom Zentrum ausbreitet. Paul Warnstedt zeigt mir Aufnahmen einer Highspeed-Kamera, auf denen man diese Druckwelle sogar sehen kann – in der komprimierten Luft wird das Licht etwas anders gebrochen, ganz ähnlich, wie man es auch von flimmernder Luft an einem heißen Sommertag kennt.
"Möglichst viel Biomasse"
Neben dem Bambus haben die Forscher auch noch Berberitze, Thuja und Eibe getestet. Besonders die letzten beiden schnitten gut ab und erreichten eine Druckreduktion von über 40 Prozent. Zurückzuführen sei das vor allem auf ihre höhere Wuchsdichte, sagt Paul Warnstedt:
"Das zeichnet sich jetzt ab in den Versuchsergebnissen, dass das eigentlich der maßgebliche Wert ist oder das maßgebliche Kriterium, dass man möglichst viel Biomasse hat, dass man die Pflanzen also auch möglichst eng stellen kann."
Neben den Pflanzen haben die Ingenieure auch sogenannte Ringgeflechte untersucht. Die sehen aus wie große Kettenhemden und werden bislang vor allem als gestalterische Elemente an Gebäudefassaden verwendet. Zwar lag die Druckreduzierung hier nur bei 20 Prozent, konnte aber auf rund 60 Prozent gesteigert werden, indem die Forscher einen Wasserfilm über die Edelstahlringe laufen ließen. Gegenüber den Pflanzen haben solche Elemente einen entscheidenden Vorteil: Sie schützen auch vor sogenannten schmutzigen Bomben, also vor Sprengsätzen, die neben der Sprengladung zum Beispiel noch Metallsplitter tragen.
"Natürlich ist das ein Punkt, wo sie dann mit Pflanzen sicherlich auch die Grenze dessen erreichen, was auch verlässlich aufzufangen ist. Da wird es wiederum interessant, dann möglicherweise auch in Kombinationen zu denken, beispielsweise mit so einem Ringgeflecht. Man könnte beispielsweise darüber nachdenken, sowas auch als Rankhilfen zu nutzen für Pflanzen, um dann kombinierte Barrieren zu schaffen."
Barriereelement mit positivem Einfluss auf das Stadtklima
Aber selbst dann könnten solche Hindernisse keinen hundertprozentigen Schutz bieten. Der wichtigste Faktor sei immer noch die Entfernung zum Sprengsatz, so Paul Warnstedt. Barrieren müssten auch eine ausreichende Höhe und Breite haben, um einen genügend großen Bereich schützen zu können. Trotzdem ließe sich Vegetation in Schutzkonzepte integrieren. Zum Beispiel könnten andere Schutzelemente wie Ringgeflechte oder auch Durchfahrtssperren mit Pflanzen verschleiert und in ihrer Wirkung verstärkt werden. Außerdem werde Grün in der Stadt angesichts des Klimawandels ohnehin immer wichtiger:
"Durchaus. Das ist ja auch so ein Gedanke, den wir dahinter hatten, eben ein Barriereelement zu haben, was gleichzeitig einen positiven Einfluss auf das Stadtklima, auf die Stadtökologie hat. Wenn ich damit dann eben im Falle einer Explosionsbelastung da noch einen Beitrag leisten kann, dann haben Sie im Prinzip ein Add-On für Ihre Schutzwirkung erreicht."