Archiv

Pflanzen-Duftstoffe
Aus Lockstoff wird Abwehrmittel - oder auch nicht

Einige Pflanzen haben Signalstoffe entwickelt, mit denen sie parasitäre Insekten anlocken, damit diese ihnen helfen, gefräßige Raupen von Blättern fernzuhalten. Das klingt wie ein idealer Ansatz für eine biologische Schädlingsabwehr in der Landwirtschaft. Doch die Realität ist deutlich komplexer.

Von Lucian Haas |
    Raupen fressen in Düsseldorf Blätter eines Apfelbaumes. Sie sind die Larven der Schmetterlinge und sorgen durch ihren Appetit auf grüne Blätter für den Kahlfraß von Laubbäumen.
    Raupen auf einem Obstbaumblatt (dpa / Achim Scheidemann )
    Der Biologe Matthias Erb von der Universität Bern erforscht seit Jahren die Wirkung sogenannter HIPV. Das Kürzel steht für: "Durch Herbivorie induzierte Pflanzenvolatile".
    "Das sind Duftstoffe, die von Pflanzen abgegeben werden, sobald sie von Insekten, zum Beispiel von Schmetterlingsraupen, befallen werden. Und diese Duftstoffe, die sendet die Pflanze aus, und die haben dann ganz verschiedene Auswirkungen auf die Umwelt."
    Gibt eine Pflanze solche Signalstoffe ab, alarmiert das zum Beispiel andere Pflanzen in ihrem Umfeld. Sie fahren dann die Produktion von eigenen Abwehrstoffen hoch. Die HIPV können aber auch weitere Insekten anlocken. Schlupfwespen zum Beispiel. Die folgen den Duftspuren hin zu den von Raupen befallenen Pflanzen. Dort legen sie als Parasiten ihre Eier direkt in die Körper der gefräßigen Raupen ab, sodass diese einige Tage später sterben. Die Schlupfwespen als Nützlinge helfen den Pflanzen also, die Raupen als Schädlinge loszuwerden.
    "Überspitzt kann man das so sagen, dass eigentlich diese Duftstoffe schlussendlich die Feinde der Feinde der Pflanze anlocken und damit natürlich unter Umständen auch der Pflanze nutzen können."
    Raupen kehren Wirkung des Duftstoffes um
    Auf Basis solcher Beobachtungen früherer Studien propagierten manche Forscher bereits, dass man synthetische HIPV möglicherweise als biologische Pflanzenschutzmittel einsetzen könnte. Doch das ist wohl etwas zu simpel gedacht. Matthias Erb musste bei Experimenten jetzt erkennen, dass HIPV in der Natur noch komplexere Wirkungen haben. Er machte eine Laborstudie, um herauszufinden, wie ein spezifischer Duftstoff namens Indol auf Schmetterlingsraupen wirkt. Indol wird unter anderem von Maispflanzen abgegeben, wenn sie von Raupen als Schädlingen befallen werden.
    "Spannenderweise haben wir dann gefunden, dass die Nützlinge nicht mehr angelockt werden, sobald eben die Schädlinge mit diesem Duftstoff in Kontakt kommen. Die Schmetterlingsraupen, die mit diesem Indol in Kontakt kommen, werden plötzlich abstoßend für den Nützling, für die Schlupfwespen."
    Das heißt, die Strategie der Pflanzen, Schlupfwespen als Helfer im Kampf gegen die Raupen herbeizurufen, geht nicht mehr auf. Matthias Erb machte noch eine weitere interessante Entdeckung: Die Raupen setzen das Indol sogar gezielt ein. Normalerweise halten sie sich von Pflanzen, die nach Indol duften, eher fern. Das machen sie allerdings nur solange keine Schlupfwespen in der Nähe sind. Sobald die Raupen ihre Feinde erkennen, nehmen sie das Indol mit einem Mal bereitwillig auf. Und dann kehrt sich dessen Wirkung um. Die Parasitoide, wie Matthias Erb die Schlupfwespen auch nennt, halten sich von diesen Raupen fern.
    "Wir haben dann durch Versuche mit einem Duftstoff-System zeigen können, dass die Parasitoiden riechen können, ob die Raupen mit Indol in Kontakt waren oder nicht. Die Raupen haben ein anderes Duftstoff-Bouquet, sobald sie mit Indol in Kontakt kommen. Und diese Veränderung macht sie weniger attraktiv."
    Effekte auf die Physiologie der Insektenlarven
    Die Raupen machen sich also den Signalstoff der Pflanzen, der eigentlich gegen sie gerichtet ist, bei Bedarf zu eigen und zunutze. Das lässt Indol und möglicherweise auch andere HIPV plötzlich in einem anderen Licht erscheinen.
    "Wir haben in unseren vorherigen Arbeiten Duftstoffe oft als eine Art chemische Information gesehen. Aber in unserem Fall sehen wir eben, das Indol auch starke Effekte auf die Physiologie der Insektenlarven und damit auf ihre Resistenz und auf ihre Anziehungskraft gegenüber Schlupfwespen hat. Und das war doch für mich sehr überraschend."
    Matthias Erb zieht aus der Studie die Schlussfolgerung, dass man HIPV noch viel genauer erforschen sollte, bevor man sie zur biologischen Schädlingsbekämpfung einsetzt. Schließlich könnten einzelne Duftstoffe – wie in diesem Fall Indol – unter Umständen sogar kontraproduktive Wirkungen haben.
    "Und damit plädieren wir eigentlich dafür, dass wir versuchen sollten, wirklich auf individueller Ebene die Effekte der einzelnen Duftstoffe gut zu verstehen. Damit wir dann, wenn wir jetzt versuchen, diese Duftstoffe in der biologischen Schädlingsbekämpfung zu verwenden, auch die richtigen Duftstoffe überhaupt verwenden dafür."