In dem Winzig-Dorf Malchow auf der Insel Poel bei Wismar arbeiten die Raps-Meister. Vor der historischen, bodenständig wirkenden Villa zeigt Geschäftsführer Dietmar Brauer auf die Büste eines freundlichen älteren Herren:
"Das ist mein Urgroßvater Hans Lembke, der unser Unternehmen begründet hat 1897, als er von seinem Vater den landwirtschaftlichen Hof übernommen hat, der seit 1627 von meiner Familie bewirtschaftet wird."
Der Urgroßvater wollte nicht mehr nur Landwirt sein, sondern hat mit Leidenschaft Pflanzen gezüchtet. Vor allem Raps.
Nach Bodenreform und Enteignung ging die Familie nach Schleswig-Holstein und Sohn Hans-Georg, Dietmar Brauers Großvater, gründete die Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG. Der Urgroßvater blieb auf der Insel als Betriebsleiter des Volkseigenen Saatzuchtgutes. Das wurde später zum Institut für Öl- und Eiweißpflanzenzüchtung "Hans Lembke", von dessen Zucht-Erfolgen spricht der Urenkel mit Hochachtung.
Kurz vor dem Ende der DDR begannen beide Betriebe eine Ost-West-Kooperation, bis die Treuhand die Saatzucht auf der Insel Poel zum Verkauf ausschrieb. Jetzt hat die Norddeutsche Pflanzenzucht zwei Stadtorte und 230 Mitarbeiter in Hohenlieth bei Eckernförde und auf der Insel, dazu Tochterbetriebe und Beteiligungen in etlichen europäischen Staaten, sogar in Australien.
Erst seit gut 30 Jahren kann hochwertiges Rapsöl für die menschliche Ernährung genutzt werden. Vorher hat das die sogenannte Erucasäure verhindert:
"Eine Fettsäure im Rapsöl, die nicht gesundheitsschädigend ist, aber eben auch nicht wertvoll. Die musste eliminiert werden, um Rapsöl tatsächlich zu einem hochwertigen Produkt zu machen. Und das ist bei Winterraps in unserem Unternehmen 1973 weltweit zum ersten Mal gelungen."
Ein weiteres Problem waren bittere Senföle im Schrot. Den Pressrückstand kann man eigentlich an Kühe, Schweine, Hühner verfüttern, doch die Senföle schmecken nicht:
"Und das ist uns dann wiederum gelungen bei Winterraps, das erstmals auf ein Qualitätsniveau zu senken, dass wir von dem Null-Null-Raps sprechen konnten. Und deswegen diese Doppelnutzung haben: das Öl und eben ein hochwertiges proteinhaltiges Futtermittel."
Urväter des Saatgutes wachsen in Gewächshäusern
Saatzucht ist ein langwieriges Geschäft. Vom ersten Kreuzen bis zum fertigen Saatgut einer neuen Sorte vergehen zehn bis zwölf Jahre. Die ersten Pflanzen einer Züchtungslinie werden per Hand gekreuzt. Mit einer spitzen Pinzette öffnet Bärbel Frenz die winzigen Knospen einer Rapspflanze, zupft vorsichtig die einzelnen Staubbeutel heraus, sie sagt: Die Pflanze wird kastriert. Auf die stehen gebliebenen Stempel tupft sie dann den Pollen der Pflanze, die als Vater vorgesehen ist:
"Die zu großen, die schon aufgebrochen sind beziehungsweise die kleineren, die noch nicht weit genug sind, die werden abgekniffen, sodass man nachher so sieben einzelne Blütchen kastriert und bestäubt hat. So sieben bis acht Schoten möchte man schon haben, um genügend Saatgut zu haben, um damit in die nächste Generation gehen zu können."
Und Gisela Neise zeigt, wie größere Pflanzengruppen bestäubt werden, natürlich abgetrennt von anderen. In der Ecke eines kleinen Gewächshauses steht ein Hummelkasten:
"Durch das dichte Fell, das so eine Hummel hat, überträgt sie den Pollen von einer Blüte zu anderen. Die habe ich heute vor drei Stunden in diese Kabine gesetzt und Sie sehen, wie aktiv die schon sind und von Blüte zu Blüte schweben."
In den Gewächshäusern wachsen die Urväter des Saatgutes heran. Hier sind alle Pflanzenstadien gleichzeitig zu sehen, vom Keimling bis kurz vor der Ernte:
"Wir ernten dann aus so einem Haus acht bis zehn Kilogramm, die dann wieder Ausgangsbasis für einen Streifenanbau im Feld sind, draußen."
Marktführer beim Winterrraps
Geschäftsführer Dietmar Brauer geht aufs Feld. Mit vielen kleinen Beeten neben- und hintereinander sieht es aus wie ein gepflegter Kleingarten, nur viel größer:
"Wir stehen hier in einem Feld von insgesamt sieben, die wir allein auf Poel haben. Dieses Feld hat, wie die anderen auch, circa 6.000 einzelne Parzellen. Auf diesen kleinen Minifeldern wird dann gedroschen, und auf dem Mähdrescher ist schon ein Datenerfassungsgerät für Gewicht, auch Inhaltsdaten, da ist auch ein kleines Labor sozusagen auf dem Mähdrescher. Und am Ende werden nur die 5 Prozent Besten aus so einem Block weiter geführt ins nächste Jahr. Und die anderen 95 Prozent werden verworfen."
In Europa wird meist Winterraps angebaut, der im August gesät und im nächsten Sommer geerntet wird. Sommerraps in Sibirien, der Mongolei, wo die Winter zu kalt sind. Die Norddeutsche Pflanzenzucht bietet ihren Kunden, den Landwirten, 40 verschiedene Rapssorten:
"Weil wir von Großbritannien bis in die Mongolei Rapssaat verkaufen und wir eine solche Vielfalt von agroklimatischen Anbauräumen haben und unterschiedliche Anforderungen von der Landwirtschaft. Es gibt ja Rapssorten mit einem anderen Fettsäure-Muster für die Heiß-Küche. Oder spezielle Sorten die eine besondere Resistenz gegen Krankheiten haben, die in einem Anbau-Raum vorherrschen, in einem anderen wieder nicht."
Neben Raps werden Gräser, Rotklee, Körnererbsen, Ackerbohnen gezüchtet, die als Tierfutter genutzt werden. Beliefert wird fast ganz Europa, Saatgut geht nach Nordamerika, Australien, Chile, Russland, in die Mongolei... Damit stemmt sich der Mittelständler erfolgreich gegen große Namen der Saatzucht wie Monsato und DuPont Pioneer Syngenta. Bei Winterraps sogar als Marktführer. Fast die Hälfte des in Deutschland ausgesäten Rapses stammt von der Norddeutschen Pflanzenzucht.