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Pflegebasiskurse für Geflüchtete
Pragmatiker gesucht

45 Geflüchtete haben im vergangenen Jahr mit der Ausbildung zu Pflegehelfern in Berlin begonnen. Auch wenn es noch einige kulturelle Hürden gibt, etwa die Kleiderordnung betreffend, zeigen sich die Ausbilder insgesamt zufrieden. Unklar ist noch, ob die Ausbildung den Flüchtlingen tatsächlich zu einer Bleibeperspektive verhelfen wird.

Von Marie Wildermann | 01.03.2017
    Krankenpflegeschülerin Türkan Deniz und Krankenschwester Marianne Weber laufen durch einen Flur im Vivantes-Humboldt-Klinikum in Berlin.
    Türkan Deniz ist Krankenpflegeschülerin im Vivantes-Humboldt-Klinikum in Berlin. Der Klinikkonzern Vivantes bemüht sich gezielt um Nachwuchskräfte mit Migrationshintergrund. (picture alliance / dpa/ Gregor Fischer)
    Eine Senioren-WG in Berlin-Mitte: Acht demenzkranke Patientinnen werden hier rund um die Uhr betreut, unter anderem von Khadim, einem jungen Mann aus Afghanistan. Nach einem viermonatigen Pflegebasiskurs hat er jetzt einen festen Job beim Diakonie-Pflege-Verbund Berlin. Die Unterstützung bei den ganz alltäglichen Dingen gehört zu seinen Aufgaben, also Hilfe beim Aufstehen, beim Essen, bei der Körperpflege. Er arbeitet mit Umsicht und Selbstverständlichkeit, so als hätte er nie etwas anderes gemacht. Khadim sagt:
    "Das ist bei mir ganz normal, die Menschen sind alle gleich, irgendwann werde ich auch alt, dann brauche ich auch jemand, der mir helfen kann."
    Dass Männer Frauen pflegen, ist in seiner Heimat undenkbar. Doch auch in Deutschland ist das nicht selbstverständlich. Teamleiterin Susann Schmiedel kennt die Vorbehalte, verweist aber auf ihre Erfahrungen:
    "Wir haben gar keine Vorbehalte erlebt. Die Patientinnen haben sich sofort mit Khadim gut verstanden, er hat eine sehr angenehme Art, ist ganz zauberhaft und dann geht das auch gar nicht anders. Die haben durchweg positiv reagiert."
    Mit der Verständigung sei es anfangs ein bisschen schwierig gewesen, als er noch nicht so gut Deutsch konnte, allerdings nur mit den Kolleginnen und Kollegen, nicht mit den Patientinnen.
    Bei Demenzkranken sei Empathie wichtiger als verbale Kommunikation
    Schmiedel erklärt: "In der Demenz ist es ja so, dass die verbale Kommunikation manchmal auch eine untergeordnete Rolle spielt. Da ist Empathie gefragt und Respekt, das ist auf jeden Fall die Grundlage für unsere Arbeit und das macht Khadim wunderbar. Blickkontakt, sanfte Worte, welche Sprache das ist, ist dann völlig egal."
    Khadim ist ausgesprochen höflich, aber auch sehr ernst und zurückhaltend. Seine Fluchtgeschichte möchte er nicht erzählen, er deutet nur an, dass mit seinen Eltern etwas Schlimmes passiert ist und dass er sehr lange unterwegs war, im Iran, in der Türkei, in Griechenland:
    "Ich habe in verschiedenen Ländern gelebt, aber keine Hilfe bekommen von den Leuten, von der Regierung. Ich habe mir vorgenommen, eine Ausbildung zu machen als Altenpfleger und Krankenpfleger, so dass ich Deutschland für die Hilfe etwas zurückgeben kann."
    Khadim möchte sich weiterqualifizieren, Krankenpfleger werden, dafür braucht er einen Schulabschluss. In Afghanistan ist er nur in eine Koranschule gegangen. Mathe, Chemie, Physik, das gab es dort nicht, sagt er, da sei er auf dem Niveau eines Erstklässlers und lächelt zum ersten Mal ein bisschen. Jetzt geht Khadim morgens in die Schule, nachmittags zur Arbeit in die Senioren-WG. Er ist dankbar für diese Chance. Er sagt:
    "In dem Basiskurs haben wir gelernt, wie die alten Menschen, die dement sind, wie sie sind. Das haben die Lehrer uns gut erklärt. Bei Demenzkranken ist wichtig, dass man sie versteht. Wenn sie uns schlimme Worte sagen, das nehmen wir nicht persönlich, das ist normal bei Demenz-Menschen."
    "Dieser Mensch ist krank, Sie müssen helfen"
    Khadim ist ein Glücksfall für die Einrichtung. Doch so reibungslos läuft es nicht immer. Auch das Berliner Unternehmen Vivantes, das mehrere Krankenhäuser in der Hauptstadt betreibt, bietet Pflegebasiskurse für Geflüchtete an. Kursleiterin Heike Fellmann erzählt, dass in ihrem Kurs eine 18-jährige tschetschenische Schülerin schon gleich zu Beginn das Handtuch geworfen hat, obwohl die Muslima eigentlich unbedingt Krankenschwester habe werden wollen.
    "Diese Schülerin konnte es tatsächlich nicht vereinbaren mit ihrem kulturellen Hintergrund, kurzärmlig auf der Arbeit zu erscheinen", sagt Fellmann. "Die Kleidung muss entsprechend angepasst sein, da gibt es Dienstvorschriften, die müssen sie hier in Deutschland und hier bei Vivantes einhalten."
    Zum Beispiel, dass die Oberteile aus Sicherheitsgründen nicht bis zu den Knien gehen dürfen und kurzärmlig sein müssen, weil es sonst mit den Hygienemaßnahmen schwierig wird.
    "Aber: Ich muss schon sagen, viele haben die Problematik verstanden und haben sich darauf eingestellt. Ich glaube, dieser Pragmatismus hilft ihnen durchaus weiter, wenn es dann heißt: Der Mensch ist krank, Sie müssen helfen, das ist deine Aufgabe, dann überwinden sie ganz gut diese Scheu", sagt Fellmann.
    Geflüchtete mit ungeklärtem Status beginnen Pflegebasiskurse
    45 Geflüchtete haben die Pflegebasiskurse bei den beiden Trägern in Berlin im letzten Jahr begonnen. "Das ist das erste Mal, dass wir diesen Pflegebasiskurs anbieten, spezifisch für Menschen mit Flucht und Migrationshintergrund und dem Deutschanteil dabei. Der Kurs wird gefördert durch die Arbeitsagenturen, die Jobcenter, durch sogenannte Bildungsgutscheine".
    Sagt Ruth Meyer-Gohde, die sich bei Vivantes um die Kommunikation mit Arbeitsagenturen und Jobcentern kümmert.
    Vivantes wird im Frühjahr einen zweiten Durchlauf starten, trotz des enormen bürokratischen Aufwands. Die Geflüchteten erhoffen sich von ihrem Engagement in den Pflegebasiskursen eine Bleibeperspektive, denn bei fast allen ist der Aufenthaltsstatus ungeklärt. Wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird, können sie abgeschoben werden. Und das, obwohl in der Pflege ein eklatanter Fachkräftemangel herrscht.