Er appelliere an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, sich impfen zu lassen. Vor allem auch Leitung und Management sollten klarstellen, dass es sich bei den Impfstoffen um keine Notfallzulassung handele, sondern um ein geprüftes Verfahren, sagte Andreas Westerfellhaus, der selbst früher als Krankenpfleger arbeitete.
Die öffentliche Kritik am zu geringem Tempo bei der Impfung in Deutschland könne er nicht teilen. Es sei richtig, dass man von den gelieferten Impfstoffen die Hälfte für eine zweite Impfung zurückstelle. Da sei man einen ganz großen Schritt nach vorne gekommen, sagte Westerfellhaus in den "Informationen am Morgen".
Mehr Klarheit fordert Westerfellhaus beim Umgang mit Pflegebedürftigen, die von Angehörigen versorgt werden. Da werde das Vorgehen von Bundesland zu Bundesland zu unterschiedlich gehandhabt. In dieser Hinsicht müssten auch die Prioritätenlisten der Länder nochmals überarbeitet werden, sagte der Pflegebeauftragte der Regierung.
Das vollständige Interview im Wortlaut.
Zurheide: Herr Westerfellhaus, haben Sie eigentlich sich schon berichten lassen, warum die Israelis da so gut sind? Die haben schon über 12 Prozent ihrer Bevölkerung geimpft, die schaffen jeden Tag 100.000. Das ist bemerkenswert. Wissen Sie, warum die so gut sind?
Westerfellhaus: Nein, Herr Zurheide, ich hab's mir nicht berichten lassen, und ich finde, es macht auch nicht so sehr viel Sinn. Wir haben große Herausforderungen hier in Deutschland, darauf konzentriere ich mich in vielen Gesprächen und auch um Aufklärung, warum es notwendig ist, jetzt gerade eben auch den von Ihnen ja auch angesprochenen pflegebedürftigen Menschen insgesamt den Impfstoff zur Verfügung zu stellen.
"Nicht nur kritisieren, sondern auch machen"
Zurheide: Ja, aber da hakt es nun ganz gewaltig. Wenn ich mir die Zahlen der Länder anschaue, in Thüringen – wir reden nachher noch mit dem dortigen Ministerpräsidenten –, da haben wir 0,04 Prozent bisher geimpft. In Mecklenburg-Vorpommern sind die ein bisschen besser mit 0,7, aber ich hab’s gerade gesagt, Israel über 12, 13 Prozent schon geimpft. Also katastrophal oder bin ich jetzt der böse Journalist?
Westerfellhaus: Nein, Sie sind nicht der böse Journalist, Herr Zurheide, aber wenn Sie die Zahlen schon nennen, muss ich auch mal ergänzen bei Nordrhein-Westfalen: 81.300 Menschen, die da geimpft worden sind in der stationären Langzeitpflege, bei den über 80-Jährigen, bei den pflegebedürftigen Menschen. Ja, es ist eine große logistische Herausforderung, und wir haben ja alle wahrgenommen, auch gerade in den letzten Tagen, dass wir gerade die Pflegebedürftigen und diejenigen in den stationären Langzeitpflegeeinrichtungen, mit denen wir in Kontakt stehen, uns auf die erste Stelle genommen haben. Wir haben priorisiert, priorisiert deswegen, weil eben natürlich nicht genügend Impfstoff so schnell, so ad hoc zur Verfügung stand.
Ich finde, dass das, was angelaufen ist, auch immer unter der Berücksichtigung, dass wir Impfstoffe geliefert bekommen an die Bundesländer, dass davon die Hälfte zurückgestellt wird, um dann mit der Nachfolge für die zweite Impfung genügend zu haben, wir doch einen ganz großen Schritt nach vorne gekommen sind. Ich hab mir die aktuellen Zahlen noch mal geholt, weil bei der ganzen Diskussion, vor einer so großen Aufgabe zu stehen, so viele Menschen in Deutschland, die einen berechtigten Anspruch haben und die auch geimpft werden müssen, so schnell zu verimpfen, das haben wir noch nie in einer vorhergehenden Zeit gehabt. Ich finde, wenn ich es jetzt schon mal so sagen darf, bei aller öffentlichen Kritik darf das eben auch nicht vergessen werden. Dass dann nicht alles reibungslos sofort funktioniert, ist nicht verwunderlich. Und ich finde auch, bei aller Diskussion, die ich in den vorherigen Beiträgen gehört habe, nicht nur kritisieren, sondern vor allen Dingen auch machen. Das kommt mir manchmal in der ganzen Beachtung viel zu kurz. Und da müssen wir nach Fehlern gucken, wo liegt es denn dran, und da müssen wir eben auch anpacken.
Bei Moderna ganz andere Voraussetzungen
Zurheide: Woran liegt es?
Westerfellhaus: Na ja, natürlich, das eine ist die stationäre Versorgung, die logistische. Sie können ja nicht die älteren pflegebedürftigen Menschen in der Langzeitpflege in die Impfzentren fahren. Übrigens müssen Sie auch mal gucken, dass wir sehr viele Pflegebedürftige ja zu Hause haben.
Zurheide: Eben.
Westerfellhaus: Die meisten übrigens, die gefährdet sind, da mache ich jetzt auch den Einsatz und dafür werbe ich auch schon lange, wir haben die bis jetzt in der zweiten Priorisierungsgruppe vorgesehen. Die Pflegebedürftigen zu Hause können wir ja auch nur ganz schwer in Impfzentren transportieren, sondern dass wir über diejenigen, die ambulanten häuslichen Pflegedienste, über die pflegenden Angehörigen die frühzeitige Impfung so schnell wie möglich denn dann auch einsetzen lassen, damit dieser Virus überhaupt in den Haushalt nicht hineingetragen wird. Und auch das ist noch mal eine Herausforderung. Wir wissen alle, dass die Kühlkette bei diesem jetzt vorliegenden Impfstoff eine gewaltige Herausforderung ist, und wenn in den nächsten Tagen der Stoff von Moderna denn dann zugelassen wird, dann haben wir eine ganz andere Voraussetzung, dass wir im Kühlschrank lagern können über eine viel größere Zeit, und ich glaube, dann kriegen wir das auch ganz anders gewuppt.
Zurheide: Jetzt verstehe ich ja, dass Sie das versuchen, nicht nur negativ zu sehen, dass Sie die positiven Aspekte rausarbeiten, aber ich sag Ihnen ganz konkret, was erzähle ich denn meiner 93-jährigen Mutter oder wie kümmere ich mich darum, dass die zu Hause geimpft wird? In der Tat, die kriege ich in Essen schlecht in das Impfzentrum, das wird zu schwierig, zumal ich da ja wahrscheinlich auch gar nicht mit rein kann, wenn ich denn da mit hinkäme. Übrigens, die Israelis machen das anders, die sagen, wenn jemand einen bringt, wird der sofort gleich mitgeimpft, und damit hat man den Anreiz ziemlich erhöht. Das ist eine sehr pragmatische Lösung. Ich will jetzt nicht nur für mich sprechen, das ist nicht das Thema, aber das machen die Israelis wieder gar nicht so schlecht, oder?
Westerfellhaus: Aber diese Situation habe ich hier in Nordrhein-Westfalen oder in Deutschland jetzt auch schon einige Male erlebt. Da, wo jemand in der stationären Langzeitpflegeeinrichtung und nicht alle Stoffe verimpft werden, dass die Angehörigen, die dabei sind, gleich die Impfung mitbekommen. Aber was Sie Ihrer 93-jährigen Mutter sagen, das sage ich meiner 95-jährigen Mutter: Erstens muss ich mit ihr darüber reden, ob sie einverstanden ist, sich überhaupt impfen zu lassen. Das ist schon mal der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, dass wir gucken, wie sieht das Anmeldeverfahren denn hier bei uns in der Region dazu aus, und dass dann, wenn die Zeit dazu gekommen ist und sie dann dran ist, dass ich dann mit ihr zum Impfzentrum fahre, beziehungsweise wenn ihr Zustand dann nicht so sein sollte, dass ich dann sage, es muss ein mobiles Team kommen, das dann diesen anderen Impfstoff von Moderna dann auch zur Verfügung stellt und hier vor Ort verimpft. Bis dahin dient der Schutz.
Durchgängige Klarheit bei den Angehörigen
Zurheide: Aber wir wissen doch bisher nicht mal, wie dieses Verfahren aussieht, jedes Bundesland kocht da selbst. Also da kriege ich dann schon jetzt leichten Druck im Kopf.
Westerfellhaus: Ja, Herr Zurheide, das kann ich auch gut verstehen. Ich bin auch eine Zeitlang davon ausgegangen, dass es überall gleich war. Wenn ich jetzt die Landkarte sehe, dass der eine sagt, wir werden angeschrieben und Sie müssen warten, andere sagen, Sie sollen die Telefonleitungen nicht überlasten bei den kassenärztlichen Vereinigungen, und Sie müssen dann letztendlich am nächsten Tag trotzdem anrufen, ich glaube, da braucht es endlich mal durchgängige Klarheit. Und da sind die Institutionen auch aufgefordert …
Zurheide: Welche Institutionen sind aufgefordert?
Westerfellhaus: Na, die Länder sind doch dafür in der Verantwortung, auch ganz klar zu sagen ab welchem Zeitpunkt, Sie werden angeschrieben. Das geht noch nicht morgen, sondern das geht in den nächsten 14 Tagen, rechnen Sie damit, jetzt die 80-Jährigen. Die Prioritätenliste, die wir gesetzt haben, die muss, glaube ich, noch mal viel, viel mehr aufgeklärt werden. Aber Herr Zurheide, lassen Sie mich eins aber auch noch mal sagen, ich möchte gerne zwei Augenmerke noch mal darauf legen: Ich höre in den letzten Tagen immer wieder, dass es eine große Diskussion auch bei den Gesundheitsberufen gibt, lass ich mich jetzt impfen oder nicht. Ich appelliere …
"Keine Notfallzulassung, sondern ein geprüftes Verfahren"
Zurheide: Richtig, hab ich auf dem Zette. Ja, was machen Sie denn da oder warum sind die nicht besser informiert? Das ist doch Angst, was die Menschen haben.
Westerfellhaus: Na ja, warum sie nicht besser informiert sind – es gibt sicherlich eine Bringschuld und es gibt aber auch eine Holschuld. Wir reden doch über eine Pandemie, die uns seit vielen, vielen Monaten beschäftigt. Wir reden immer wieder darüber, dass wir Licht am Ende des Tunnels sehen dann, wenn der Impfstoff zur Verfügung steht. Da muss ich mich auch mal darüber informieren. Ich bin Krankenpfleger, von meiner Berufsausbildung immer noch, und mein Berufsethos sagt mir, dass das, was dem Schutz der Patientinnen und Patienten, der Pflegebedürftigen gilt, jetzt auch von mir verlangt, nach vorne zu gehen, um mich impfen zu lassen, das ist für mich Berufsethos.
Und ich appelliere an alle, auch bei einer Unsicherheit, die aufgrund von was auch immer geschürt wird oder die vielleicht auch viel mehr Aufklärung noch braucht, vor Ort, in den Einrichtungen, wo sich auch Leitung und Management hinstellen müssen und sagen, liebe Leute, das und das ist sicher, es ist keine Notfallzulassung, es ist ein geprüftes Verfahren, es sind nicht die Risiken, die hier beschrieben werden, aber ihr tragt Verantwortung. Ihr stellt euch doch sonst auch hin vor die Bedürftigen, vor die Patientinnen und Patienten, dass ihnen nicht zusätzliches Leid geschieht, und jetzt ist genau der Punkt gekommen, euch zu schützen und die Pflegebedürftigen und deren Angehörige. Das ist mein großer Appell, mehr kann ich da nicht machen, aber ich tu es immer wieder.
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