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Pflegefinanzierung "kann man dem Staat nicht alleine überlassen"

Die Reform der Pflege in Deutschland muss schnell vorankommen, sagt Andreas Westerfellhaus vom Deutschen Pflegerat. Der Staat könne das nicht allein finanzieren; die Bürger würden zuzahlen müssen.

Andreas Westerfellhaus im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Wer seine Angehörigen pflegt, soll künftig besser unterstützt werden. Neue Versicherungsleistungen schweben Gesundheitsminister Philipp Rösler vor und neue Kurangebote. Auch bei der Rente will der FDP-Politiker die Pflege zu Hause anrechnen. Dazu gab es gestern ein Treffen mit Sozialverbänden und Selbsthilfeorganisationen. Danach allerdings waren einige Teilnehmer enttäuscht vom Ergebnis der Gespräche. Ob das auch für ihn gelte, hat mein Kollege Martin Zagatta Andreas Westerfellhaus gefragt vom Deutschen Pflegerat.

    Andreas Westerfellhaus: Also zu glauben, dass man ein Problem innerhalb von zwei Stunden mit dieser Dimension lösen kann, mit der Erwartung bin ich nicht hingegangen, wenngleich: Wir haben kein Ergebnis erzielt, das ist richtig, aber auch das, was wir beim ersten Dialogtag ja bereits erfahren konnten, dass wir aus der Thematik, aus einer Veranstaltung wie heute, Prozesse in Gang setzen müssen. Und hinterher müssen wir uns fragen lassen und natürlich insbesondere die Politik und der Minister, was ist letztendlich aus diesem Impulsdialog geworden.

    Martin Zagatta: Also Sie sagen, Sie stehen da noch ziemlich am Anfang. Jetzt will aber der Minister Mitte des Jahres schon einen Gesetzesentwurf für die Pflegereform vorlegen. Halten Sie das nach diesem Gespräch für realistisch?

    Westerfellhaus: Ich hoffe, dass es so ist, weil wir nichts haben, vor allen Dingen keine Zeit, und weil wir unter diesem gewaltigen Zeitdruck stehen, weil wir nicht von Zukunftsfragen reden, sondern von aktuellen Herausforderungen, ist dieser natürlich sehr beeindruckende Spielraum oder Zeitraum, den wir jetzt zur Verfügung haben, bis zum Sommer, wir haben alles, nur keine Zeit.

    Zagatta: Welche konkreten Maßnahmen sind denn aus Ihrer Sicht jetzt nötig?

    Westerfellhaus: Wir müssen hier eine Einbeziehung und eine Verknüpfung schaffen zwischen professionell Pflegenden und dem größten Pflegedienst der Nation, nämlich den vielen Angehörigen, die diese Aufgabe übernehmen. Sie treffen auf uns als professionell Pflegende vielleicht dreimal am Tag für einen begrenzten Zeitraum, aber wir müssen ihnen die Möglichkeiten geben, auch den übrigen Zeitraum zu bewältigen. Dazu könnten wir zum Beispiel als professionell Pflegende immens viel leisten. Wir haben initialisiert dass System der Familiengesundheitspflege, wir könnten genau an diesen Stellen Beratung, Begleitung sicherstellen, aber dazu gehört auch sicherlich vieles, vieles andere mehr.

    Zagatta: Jetzt hat der Minister gesagt, seine Ziele sind, die Situation pflegender Familienangehöriger, so wie Sie das fordern, zu verbessern, die Pflegenden sollen zeitlich und bürokratisch entlastet werden und wo möglich auch höhere Rentenansprüche erhalten. Das klingt doch gut! Aber kann das in so kurzer Zeit umgesetzt werden?

    Westerfellhaus: Also ich bin da sicherlich etwas skeptisch. Wir werden kurzfristige Ziele haben müssen, die sofort greifen, wir werden mittelfristige und wir werden langfristige haben. Aber sehen Sie, wenn wir nicht diese drei Facetten aufnehmen und diese drei Facetten jetzt gleichzeitig betrachten, dann wird daraus kein rundes Ganzes. Und ich glaube auch, dass eine Berücksichtigung der Bezüge im Rentenalter sehr wichtig ist zu beleuchten. Wenn heute überwiegend Frauen denn letztendlich möglicherweise auch ihren Job und ihre Karriere aufgeben, um Vater, Mutter, Geschwister oder wen auch immer dann diese Pflege zuteilwerden zu lassen, dann muss sie doch darauf vertrauen können, dass das letztendlich dann, wenn sie in ein Versorgungssystem hinein muss, dann zu ihren Lasten nicht auch noch geht.

    Zagatta: Wie kann man das regeln?

    Westerfellhaus: Na ja, das sind diese besonderen Zuschläge, bei denen man davon ausgeht, dass für Zeiten, in denen ich dann definiert und transparent die Pflege meiner Angehörigen übernommen habe, eben auch Anrechnungszeiten zu bestimmten Kriterien und zu einem bestimmten Volumen erwerbe.

    Zagatta: Das heißt, das würde dann ähnlich verlaufen a.) zum Teil wie beim Elterngeld und b), dass man dann für die Rente dort Ausfallzeiten erhält?

    Westerfellhaus: Ich denke, so wäre ein Beispiel zu sehen.

    Zagatta: Sind Sie grundsätzlich optimistisch nach diesem Gespräch, oder haben Sie Vertrauen zu Minister Rösler, dass er da jetzt etwas bewegen wird?

    Westerfellhaus: Wissen Sie, wir haben ja gar keine andere Wahl. Wir stehen vor einer ganz gewaltigen Herausforderung und das ist unser Bundesgesundheitsminister, Dr. Philipp Rösler, und er hat diese Aufgabe anzufassen. Wir haben ihm unsere Zusammenarbeit ja angeboten und wir werden das inhaltlich begleiten, er kann unsere Ressourcen in Anspruch nehmen, aber wir werden natürlich auch kritisch bewerten, wenn es uns zu langsam, oder zu schleppend, oder gar nicht vorangeht.

    Zagatta: Aber egal wie das jetzt umgesetzt wird, es ist ja absehbar: Die Pflege wird teurer. Haben Sie den Eindruck, dass da genügend Geld vorhanden ist, beziehungsweise das kann man dem Staat kaum alleine überlassen?

    Westerfellhaus: Das kann man dem Staat nicht alleine überlassen. Es gibt sicherlich immer mal die eine oder andere kritische Frage zu stellen, bei dem vielen Geld, was in diesem System ist, läuft es richtig, ist es in den richtigen Kanälen, wird es an den richtigen Stellen ausgegeben. Ich persönlich habe den Eindruck, dass manches Mal sehr viel Geld ausgegeben wird oder viel zu viel Geld ausgegeben wird für bürokratische Aufwendungen und für Regularien. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen, wenn wir wissen, dass so und so viele Menschen Alterserkrankungen in den nächsten Jahren haben werden und zusätzlich pflegebedürftig werden, muss jedem Menschen klar sein, dass dazu auch ein höherer Aufwand getrieben werden muss, um eine professionelle Versorgung und Sicherstellung dieser Menschen dann auch zu gewährleisten. Nur eines – darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen – erwarten die Menschen: Wenn man ihnen jetzt noch mal wieder in die Tasche fasst und sagt, diese Leistungen müsst ihr für euch später auch erbringen, dann wollen sie zurecht, dass dann, wenn sie selber auch in diese Leistungssituation kommen, das Geld auch zur Verfügung steht.

    Barenberg: Andreas Westerfellhaus vom Deutschen Pflegerat im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zagatta.