Pani Ewa hat schon hinter dem Küchenfenster gewartet. In beigem Wollponcho und rosa Plastikclogs eilt sie jetzt die Stufen hinab über die weißen Kiesel. Die stämmige Endfünfzigerin öffnet das stählerne Gartentor.
"Das ist genau der Zaun, den ich immer wollte", sagt Pani Ewa. "Ich mag das moderne Design". Der Zaun mit dem elektrischen Schiebetor hat mich vier Arbeitseinsätze in Deutschland gekostet, rechnet sie vor. Genauer: Vier Mal zwei Monate als Pflegekraft bei einer bettlägerigen, alten Dame. Pani Ewa deutet auf das zweigeschossige Haus hinter sich. Unten leben sie und ihr Mann, oben die Tochter mit Familie.
Als Pflegekraft in Deutschland
Ewa führt ins Haus. Sie streift die Plastikclogs von den Füßen, schlüpft in Pantoffeln. Dann bittet sie am großen Küchentisch Platz zu nehmen, rutscht auf die Küchenbank und greift zum geblümten Kaffeebecher. Seit 12 Jahren arbeitet die Grundschullehrerin in ihren zehnwöchigen Sommerferien als Pflegekraft in Deutschland. Verdient dann rund 400 Euro pro Woche.
"Ich versuche immer zu erklären, dass wir leben wie die Deutschen. Nur, dass die ökonomische Situation uns unterscheidet. Ich hab einmal ein Bild des neuen Zauns an die Familie nach Deutschland geschickt und die waren so überrascht: Was, ihr wohnt in so einem Haus? Ich weiß nicht, wie sie sich das vorstellen, dass wir in Zelten oder Hütten leben?"
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Polen: Geschichten vom Kommen, Gehen und Bleiben" in der Sendung "Gesichter Europas.
Sie erinnert sich noch gut an ihre erste Reise ins unbekannte Nachbarland:
"Ich konnte damals kein Wort Deutsch. Ich musste mich innerhalb von zwei Wochen entscheiden und hatte keine Zeit Deutsch zu lernen, weil ich bis zum Ende des Schuljahres viel zu tun hatte. Die Schule endete an einem Freitag und noch am selben Tag bin ich ins Flugzeug gestiegen. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ich wusste nicht mal, wer mich am Flughafen abholt, ich wusste nur: Der Typ hat graue Haare."
Pendeln für höheren Lebensstandard
Die Stelle hatte ihr eine Bekannte vermittelt. "Wir sprechen hier natürlich von Schwarzarbeit", fügt Pani Ewa hinzu. Deswegen will sie auch nicht so gerne über Details reden. Nur so viel: Sie hat schnell Anschluss gefunden, schließlich arbeiten tausende Polinnen in Deutschland.
"Für viele der anderen polnischen Pflegekräfte war ihre Arbeit ihr einziges Einkommen. Ich bin in einer anderen Situation. Ich verbessere mit der Arbeit meinen Lebensstandard. Viele andere sind dazu verdammt, das zu tun. Ich habe meinen Arbeitgebern nie erzählt, dass ich Lehrerin bin. Als Pflegekraft sind wir doch alle gleich. Ich zeige nie, dass ich eine bessere Ausbildung habe. Wir sitzen alle im selben Boot."
Pani Ewa spricht von einer "Kette der guten Herzen", die Pflegerinnen unterstützen sich gegenseitig, erzählt sie. Bei ihren vielen Aufenthalten im Ausland hat Ewa Freundschaften geschlossen, die bis heute halten. Zum Beispiel mit einer Mutter von zwei kleinen Kindern. Ihr Mann hat sie einfach sitzen lassen. Pani Ewa seufzt:
"Sie hat ihre Töchter bei ihrer Mutter in Polen gelassen und hat angefangen zu arbeiten. Ich habe ihr empfohlen Deutsch zu lernen, auch wenn in der Familie in Deutschland auch Polnisch gesprochen wird. Wer weiß, was in Zukunft sein wird? - Es gibt wirklich schwierige Situationen. Manche Frauen fangen an zu trinken, weil sie so lange weg sind von zu Hause. Weil sie sich allein fühlen und verloren."
Die Familie in Polen rückt zusammen
Ewas Tochter war 15, als die Mutter das erste Mal fuhr, der Sohn in der Armee. Die Tochter habe angeboten, die Mutter zu vertreten: zu kochen, zu waschen, einzukaufen.
"Ich muss sagen, meine Familie ist mehr zusammengerückt. Wir haben die Arbeit anders verteilt. Jetzt hat meine Tochter eine eigene Familie, aber sie leben hier, im ersten Stock. Also kann ich ganz beruhigt fahren, weil ich weiß, dass sie sich um meinen Mann kümmert."
Ihre Fahrten ins Ausland haben ihr aber nicht nur finanziell geholfen, erzählt Pani Ewa, auch ihr Selbstbewusstsein sei gewachsen. Nichts, mit dem sie in Deutschland nicht fertig geworden wäre. Das Haus, der Zaun, die Autos – das alles hat aber auch Neider auf den Plan gerufen.
Neid der Nachbarn
"Das hat dazu geführt, dass ich heute im Dorf nicht mehr so gerne offen darüber spreche. Am Anfang habe ich immer gesagt: Okay, ich fahre jetzt. Oder: Ich bin gerade zurück. Ich brachte Geschenke mit. Aber um ehrlich zu sein: Das mach ich nicht mehr, ich bin eher zurückhaltend."
Deshalb weiß auch kaum jemand, dass Pani Ewa wieder packt. Dieses Mal fährt sie über Weihnachten. Als Lehrerin nimmt sie gerade eine einjährige Auszeit. Ein Sabbatical, wie es polnischen Lehrkräften drei Mal im Berufsleben zusteht.
Die Entscheidung steht schon lange fest. Alles ist organisiert. Ich habe die Piroggen vorbereitet und die Uszka, also das traditionelle Weihnachtsessen – sodass meine Familie das Gefühl hat, ich bin da. Sie verstehen, warum ich fahre. Und sie wissen, dass ich immer bei ihnen bin, ob ich hier bin oder nicht."
Wofür sie dieses Mal fährt? Pani Ewa klammert sich an ihren Kaffeebecher, zögert kurz:
Es hat finanzielle Gründe. Aber dieses Mal ist es nicht Materielles…
Es hat finanzielle Gründe. Aber dieses Mal ist es nicht Materielles…
"Dieses Mal ist es nichts Materielles", sagt Pani Ewa, "es hat gesundheitliche Gründe" - mehr will sie nicht verraten.