Auf einer Intensivstation sind zu wenig Pflegekräfte vorhanden – also werden Betten gesperrt und keine weiteren Patienten aufgenommen. Mareen Machner kennt das Szenario gut: Als Fachkrankenschwester für Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallpflege hat sie schließlich selber auf einer Intensivstation gearbeitet:
"Das ist Alltag. Ich habe in Rostock auf einer Intensivstation gearbeitet bis vor kurzem, das war permanent Thema, dass Betten geschlossen werden. Wir konnten die Patienten nicht mehr versorgen. Gerade auf Kinder-Intensivstationen ist es so, dass große Intensivbereiche einfach Abstellräume haben, wo sie die ganzen Beatmungsbetten haben, weil wir kein Personal mehr haben."
Betten verstauben in Abstellkammern
Heute leitet die Diplom Wirtschaftspädagogin an der Charité in Berlin die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften für die Bereiche Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallpflege. Und kritisiert die Personalsituation auf Intensivstationen in Deutschland:
"Der Alltag, wie sieht denn der aus auf den Intensivstationen? Ich war als Pflegekraft dort und dann kam Leasing-Personal, das ich überhaupt nicht kannte und Pflegehelferinnen, die ich auch nicht kannte, die uns über Zeitarbeitsfirmen noch zugeführt worden sind. Wir kommunizieren alle unterschiedlich, ich kenne die Kollegen nicht, ich habe kein Vertrauen zu denen, da ich überhaupt nicht weiß, wie sie die Medikamente aufziehen."
Auf einer Intensivstation, wo es um Leben und Tod geht, wo immer anspruchsvollere Technik und Therapien eingesetzt werden, ist es aber wichtig, dass das Team gut zusammenarbeitet und sich aufeinander verlassen kann. Ist das nicht der Fall, leidet die Sicherheit des Patienten, sagt Mareen Machner.
"Wenn wir keine vollbesetzten Flugzeuge haben, starten diese Maschinen nicht – aber in jede Notaufnahme kommen Patienten und die werden versorgt, und keiner fragt nach der Qualität, sondern sie werden einfach versorgt."
Viele Pflegekräfte unzufrieden mit Arbeitsbedingungen
Es fehlt an Pflegekräften auf Intensivstationen, heute schon – und alles deutet daraufhin, dass dieses Problem sich in den kommenden Jahren noch verschärfen wird. Zum einen, weil es an Nachwuchs mangelt: Derzeit gibt es nur wenige junge Pflegekräfte, gleichzeitig ist ungefähr ein Drittel der Pflegekräfte heute zwischen 55 und 60 Jahre alt, wird also in den kommenden Jahren in Rente gehen. Aber das ist noch nicht alles: Eine Umfrage unter fast 2.500 Intensivpflegekräften zu ihrer Arbeit kam zu erschreckenden Ergebnissen: Ein Drittel der Befragten plant, innerhalb der nächsten fünf Jahre den Beruf zu wechseln. Und ein weiteres Drittel möchte weniger arbeiten, also die Arbeitszeit verkürzen. Was muss sich also ändern? Professor Martin Möckel, ärztlicher Leiter der Notfallmedizin und Akutmedizin an der Charité, nennt ein Beispiel:
"Ein Aspekt ist sicherlich das Privatleben, sprich die Kinderbetreuung zum Beispiel, dass man ausreichend Betreuungsplätze schafft. Wir haben an der Charité zwei Kindergärten für die Mitarbeiter, die überwiegend von Pflegepersonal benutzt werden."
Personal wurde bis zur Schmerzgrenze eingespart
Ein anderer Aspekt: Die Arbeitsverdichtung. In den vergangenen Jahren wurde so viel Pflege-Personal wie nur möglich eingespart, immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Patienten versorgen. Deswegen gibt es jetzt unter anderem für die Intensivmedizin Personaluntergrenzen, die nicht unterschritten werden dürfen, die als absolutes Minimum gelten. Doch das hilft nicht immer, bedauert Martin Möckel:
"Die Personaluntergrenzen, die werden zum Teil von Krankenhäusern pervertiert in dem sie als Personal-Maximalgrenzen interpretiert werden, das machen wir an der Charité nicht. Wir haben im Tarifvertrag vor zwei Jahren gute Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte auf den Intensivstationen geschaffen, denn noch ist es so, dass es absolut zu wenig Mitarbeiter gibt, die das leisten können."
Schon jetzt werben Krankenhäuser auf Plakatwänden mit Prämien, Yoga-Stunden und gutem Arbeitsklima um Fachkrankenschwestern und -Pfleger. Wenn in Zukunft nicht noch mehr Betten auf Intensivstationen in Abstellkammern verstauben sollen, müssen Krankenhäuser und Politik Ausbildung und Beruf attraktiver machen: Was nützen hochkomplexe Herz-Lungen-Maschinen, wenn keiner da ist, um sie zu bedienen? Was nützen 10.000-Euro-Tabletten, wenn keiner sie dem Patienten verabreicht?