Im vergangenen Jahr waren fast 1,8 Millionen Menschen in der Pflege beschäftigt. 2,5 Prozent von ihnen sind Leiharbeitnehmende, sie sind also nicht bei einem Krankenhaus, einer Pflegeeinrichtung oder einem Pflegedienst angestellt, sondern bei einer Leasingagentur, die ihre Beschäftigten für einen bestimmten Zeitraum im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung „verleiht“. Oder – das ist der kleinere Teil – sie sind eigentlich bei anderen Kliniken oder Sozialeinrichtungen beschäftigt, werden aber anderen Häusern „überlassen“. Wie lange die externen Fachkräfte angefordert werden, variiert stark – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten.
Die Leasingkräfte verursachen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen aber nicht nur höhere Kosten, sondern sorgen auch für Unruhe in den Belegschaften. Das ist letztlich auch für Patientinnen und Patienten nicht von Vorteil.
Warum gibt es Leiharbeit in der Pflege?
Eine repräsentative Umfrage unter bundesweit mehr als 300 Krankenhäusern im vergangenen Jahr kam zu dem Ergebnis, dass fast alle Leiharbeit nutzen, um krankheitsbedingte Ausfälle ihres Stammpersonals oder Belegungsspitzen aufzufangen.
Seit 2019 gibt es nämlich auf pflegeintensiven Stationen im Krankenhaus gesetzlich festgeschriebene Personaluntergrenzen. So dürfen auf einer Intensivstation etwa tagsüber nicht mehr als zwei Patienten von einer Pflegekraft betreut werden, in der Neurologie sind es sieben, in der Unfallchirurgie ist das Verhältnis 10:1.
Ein ähnlich abgestuftes Bemessungsverfahren gibt es – orientiert am Pflegegrad der Bewohnerinnen und Bewohner – auch für den Bereich der Alten- und Langzeitpflege. Wird der Personalschlüssel nicht erreicht, weil sich Mitarbeitende krankmelden, müssen Betten gesperrt und bei größeren Ausfällen ganze Stationen gesperrt werden. Deshalb greifen Arbeitgeber seit Jahren immer wieder auf Leasingkräfte zurück.
2022 wurden laut offizieller Arbeitsmarktstatistik gut 30.000 Menschen von Leasingfirmen auf Zeit verliehen. 2023 waren es schon fast 34.000. Je nach Einrichtung und Region können die Zahlen stark vom Durchschnittswert abweichen.
Plus für Leasingkräfte: Mehr Gehalt und Flexibilität
Für Pflegefachkräfte wiederum kann der Wechsel in die Leiharbeit attraktiv sein, weil sie ihnen mehr Gehalt und mehr Flexibilität verspricht. Personaldienstleister werben mit Wunschdienstplänen, verlässlicher Urlaubsplanung und Boni. Vielerorts werden auch Dienstwagen inklusiver privater Nutzung und Unterstützung bei der Kinderbetreuung zugesagt.
Wie viel mehr eine Leasingkraft gegenüber einer Festangestellten mit gleicher Qualifikation verdient, ist individuell unterschiedlich. Im Schnitt seien es 3,4 Prozent, so der Gesamtverband der Personaldienstleister.
Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen dagegen kommen externe Kräfte oft teuer zu stehen. In der Umfrage des Deutschen Krankenhausinstitutes von 2023 gaben die befragten Krankenhäuser Mehrkosten zwischen zehn und 300 Prozent an.
Wie sieht der gesetzliche Rahmen für Pflegeeinrichtungen aus?
Hintergrund dieser Diskrepanz: Um die Betreuung der Patientinnen und Patienten auf den bettenführenden Stationen zu verbessern, wurde Ende 2018 das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) verabschiedet. Seit 2020 sind die Kosten für die Pflege aus den Fallpauschalen ausgegliedert. Pflegekräfte werden seither über ein Pflegebudget der Kassen „refinanziert“, allerdings nur bis zur Höhe des Betrages, den Festangestellte tariflich verdienen.
Was darüber hinausgeht – höhere Gehälter, Zulagen und Vermittlungsgebühren für die Leasingunternehmen, können die Häuser den Kassen dagegen nicht mehr weiterreichen. Mit dem Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) hat der Gesetzgeber 2023 eine entsprechende Regelung auch für Pflegeeinrichtungen in Kraft gesetzt. Das heißt, diese Mehrkosten haben Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen seither aus dem eigenen Etat zu finanzieren – und laufen dabei Gefahr, ins Defizit zu geraten.
Was spricht für ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege?
Dass dennoch teils hohe Zulagen und höhere Gehälter an Personaldienstleister und Leiharbeitende gezahlt werden, erklärt die Deutsche Krankenhausgesellschaft damit, dass Krankenhausträger teils in großer Personalnot seien und daher die Preise zahlen müssten, die die Leasingfirmen verlangten. Daher würde es die Interessenvertretung der Krankenhäuser am liebsten sehen, wenn Zeitarbeit verboten – oder zumindest stark eingeschränkt – würde.
Auch der Deutsche Pflegerat – der Dachverband der bedeutendsten Verbände des deutschen Pflege- und Hebammenwesens – warnt vor schwerwiegenden Folgen des Anstiegs der Leiharbeit in der Pflege: Er könne zu einer Gefährdung der Patientensicherheit führen.
Im Februar dieses Jahres forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf Initiative Bayerns auf, den Einsatz von Leiharbeit in der Pflege wirksam zu begrenzen und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaften zu verbessern.
Leihkräfte sorgen für Unruhe in den Belegschaften
Neben den höheren Kosten für die Häuser geht es auch um eine Gleichbehandlung von Stammpersonal und Leiharbeitskräften. Kritiker der Leiharbeit bemängeln bei der Dienstplangestaltung „Rosinenpickerei“ – die externen Kräfte könnten sich die attraktiveren Dienste aussuchen, dies führe zu zusätzlichen Belastungen des Stammpersonals. Und das wandere womöglich in die Leiharbeit ab.
Der Bundesrat hatte die Bundesregierung zudem aufgefordert, zu prüfen, ob bundesrechtlich eine Deckelung des Anteils an Leiharbeitskräften bzw. eine Mindestquote qualifizierter dauerhaft Beschäftigter möglich wäre. Zudem sollten Springerpools, die Lücken im Dienstplan schließen könnten, finanziell unterstützt werden.
Was spricht gegen ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege?
Bislang hat die Bundesregierung die Initiative des Bundesrates nicht aufgegriffen. Gegen ein Verbot sprechen zudem hohe rechtliche Hürden, hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages 2023 in einem Gutachten festgestellt. Ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege verstoße vermutlich gegen die Berufswahlfreiheit, den Schutz der unternehmerischen Freiheit und die Dienstleistungsfreiheit.
Zudem habe der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege zum Ziel hatten. Der Wissenschaftliche Dienst verweist etwa auf das seit Ende 2019 geltende „Pflegelöhneverbesserungsgesetz“ und das „Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz“, die für eine schrittweise Erhöhung der Mindestlöhne und eine tarifliche Entlohnung in der Langzeitpflege sorgten.
Befürworter einer deutlichen Beschränkung oder gar eines Verbotes des Einsatzes von Leiharbeitskräften argumentieren häufig, die Pflegenden würden wieder in die Einrichtungen zurückkehren, wenn Zeitarbeitsfirmen keine besseren Konditionen mehr anbieten könnten. Dies jedoch ist keineswegs sicher. Im vergangenen Jahr hat das Institut der deutschen Wirtschaft, beauftragt vom Gesamtverband der Personaldienstleister, 4.000 Zeitarbeitskräfte im Pflegebereich und im ärztlichen Dienst befragt, warum sie in die Leiharbeit gewechselt waren. Die meistgenannten Antworten waren: „Leistungsgerechte Bezahlung“, „Einfluss auf den Dienstplan und „höhere Wertschätzung“.
Nur 18 Prozent der Befragten gaben an, dass sie im Falle der Einschränkung von Zeitarbeit wieder in eine Festanstellung gehen würden. 55 Prozent würden in einen anderen Tätigkeitsbereich wechseln und weitere elf Prozent ihre Erwerbstätigkeit ganz aufgeben.
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, bei der viele Pflegekräfte organisiert sind, spricht sich gegen ein Verbot aus: Leiharbeit sei ein Symptom für schlechte Arbeitsbedingungen. Wer sein Personal halten wolle, müsse mehr Menschen einstellen und die Dienste verlässlich planen.
Was könnte statt eines Verbotes helfen?
Statt auf Gesetzesverschärfungen zu hoffen, hat die Berliner Krankenhausgesellschaft mittlerweile einen Rahmenvertrag zur Zeitarbeitnehmerüberlassung erarbeitet, der den Stundenverrechnungssatz inklusiver sämtlicher Zulagen auf das Anderthalbfache dessen beschränkt, was Arbeitgeber für eine gleich qualifizierte Kraft mit Festanstellung ausgeben würden. Unter anderem die Charité orientiert sich seit Juli 2024 eng an diesem Vertrag.*
Das Universitätskrankenhaus mit seinen mehr als hundert Kliniken und Instituten hat sich außerdem vorgenommen, im Laufe des Jahres 2026 komplett auf Leasingkräfte zu verzichten. Man habe in den vergangenen Jahren verstärkt in die Ausbildung und die Integration internationaler Pflegekräfte investiert. Zudem gebe es mittlerweile eine Vielzahl verschiedener Arbeitszeitmodelle, individuelle Dienstplanwünsche könnten weitgehend berücksichtigt werden. Interne Springerpools und Stabilitätsdienste helfen dabei, kurzfristige Ausfälle abzufangen.
All das soll den Arbeitsplatz Charité so attraktiv machen, dass sich Pflegekräfte künftig für eine Festanstellung entscheiden – und nicht bei einer Leasingfirma unterschreiben.
*Sachverhalt korrigiert und konkretisiert