Unterrichtsbeginn in der Alexianer Akademie für Gesundheitsberufe, einer Pflegeschule in Berlin-Mitte. Vier Wochen Arbeit im Krankenhaus haben die Auszubildenden gerade hinter sich. Die 15 jungen Erwachsenen machen eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege. Und stehen kurz vor ihrem Examen. Doch mehr Sorgen als der Examenstag im Krankenhaus, macht Saskia Irribarres Montes de Oca und Julia Metzner die Zeit danach.
"Es ist jetzt nicht mal mehr ein halbes Jahr und dann stehst du halt alleine da, musst dann gucken – klar, du kannst immer deine Kollegen fragen, aber ein bisschen Panik hat man schon irgendwie." Julia Metzner: "Ja, weil du von jetzt auf gleich eine Patientengruppe hast, für die du verantwortlich bist. Das ist schon enorm."
Reporterin: "Für wie viele Patienten werdet ihr dann verantwortlich sein?“
Julia Metzner: "Das hängt dann von der Station ab, aber meistens auf so einer normalen, peripheren Station. Was sind das denn? Wie viele Betten hat man da? Ich denke mal so, zehn ist schon ein guter Durchschnitt. Also, im Normalfall."
Reporterin: "Für wie viele Patienten werdet ihr dann verantwortlich sein?“
Julia Metzner: "Das hängt dann von der Station ab, aber meistens auf so einer normalen, peripheren Station. Was sind das denn? Wie viele Betten hat man da? Ich denke mal so, zehn ist schon ein guter Durchschnitt. Also, im Normalfall."
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Doch mitten in der Hochphase der Pandemie läuft es mit dem Dienstplan nur selten so wie geplant. Bahaa Shahrour hat das bei seiner letzten Station in der Inneren Medizin und Geriatrie des Sankt Hedwig Krankenhauses in Berlin erlebt. Vor zwei Jahren, am Anfang seiner Ausbildung und vor der Corona-Pandemie, war er schon einmal Azubi dort. Nun ein zweites Mal.
Bahaa Shahrour: "Jetzt ist es schwerer. Es fehlen viele Mitarbeiter dort, ich weiß jetzt nicht, aus welchem Grund das so ist, aber ja, es ist schwerer geworden wegen dem Mangel an Mitarbeitern dort. Früher hat jede Fachkraft ca. 10 Patienten betreut, jetzt, 14 oder mehr. Es kann dann sein, dass Fachkraft keine Zeit hat, alle Patienten gut zu behandeln. Und sie haben auch weniger Zeit für sich selbst. Ein bisschen Erholungsphase."
Anstieg von Beschäftigten in der Pflege seit 1999
Mit dem Personalmangel in der Pflege ist es so eine Sache. Insgesamt gibt es in Deutschland gut 1,9 Millionen Pflegekräfte. Die Bundesagentur für Arbeit schreibt auf Anfrage, die Zahl der Beschäftigten in der Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege sei trotz der Pandemie bis zuletzt gestiegen. Gleichzeitig aber beobachtet sie einen steigenden Fachkräftemangel. Wie passt das zusammen?
„Man hat ja den Eindruck, es werden immer weniger. Das stimmt nicht. Jedes Jahr ist im fünfstelligen Bereich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gewachsen." Erklärt der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang von der Universität Bremen. "Dieses Wachstum reicht im Moment nicht aus, um den Anstieg des Bedarfs abzudecken. Die Lücke wird immer größer, aber es gelingt schon, mehr Menschen in die Pflege zu holen.“ Erklärt der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang von der Universität Bremen.
Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt schneller, als das Personal nachkommt. Tatsächlich hat sich die Beschäftigtenanzahl in Heimen und bei ambulanten Diensten seit 1999 fast verdoppelt. Gleichzeitig aber kommen immer mehr Pflegebedürftige hinzu. Der jüngste Barmer-Pflegereport zeigt diese Dynamik drastischer denn je: Bis zum Jahr 2030 werden in Deutschland rund sechs Millionen Menschen Pflege benötigen. Das sind fast fünf Prozent der Bevölkerung, die Pflege brauchen werden – und da sind die Krankenhäuser nicht einmal mit einberechnet.
Saskia Irribarres Montes de Oca denkt deshalb schon jetzt, in der Ausbildung, darüber nach, wie sie sich in dem Job, der sie eigentlich begeistert, schützen kann:
"Deswegen hatte ich überlegt, als es um diese Bewerbung auf die Station ging, nicht 100 Prozent zu machen, weil ich sehe die Leute, die 100 Prozent arbeiten, wie die jeden Tag zum Dienst kommen - schlecht gelaunt von Anfang an, und ich habe mir gedacht, wenn ich das von Anfang an auch mache, ich habe eigentlich keine Lust drauf, ich will gerne dahingehen und nicht nach drei, vier Jahren denken: Ja, ich habe keinen Bock mehr."
Neues Gesetz könnte Fachkräftemangel verstärken
Hinzu kommt die neue Ausbildung, die die Schwarz-rote Bundesregierung ins Leben gerufen hatte – die den Fachkräftemangel aber möglicherweise eher noch verschärfen könnte.
"Also, ich habe mich bewusst für diese Ausbildung entschieden. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, den normalen Kurs, die alte Ausbildung zu machen, wollte aber die generalisierte Ausbildung machen, um alle Möglichkeiten zu haben. Man hat einen riesigen Grundstein, man kann in alle Bereiche gehen und das war eben auch für mich der Sinn der Sache, dass ich sagen kann: ‚Okay, ich bin so breit aufgestellt, ich kann, egal wann ich möchte, mich sozusagen umentscheiden und nochmal umschulen."
So wie Melina Wiebke werden seit April 2020 alle Pflegekräfte ausgebildet - zu sogenannten generalistischen Pflegekräften. Die 22-Jährige musste sich also nicht entscheiden, ob sie Krankenpflegerin, Kinderkrankenschwester oder Altenpflegerin werden will. Sie lernt alles in einem und kann später frei wählen, in welchen Bereich sie gehen will. Mit der Reform wollte die Große Koalition vor allem die Altenpflege attraktiver machen – das Schulgeld, dass Azubis bis dahin für eine Ausbildung in der Altenpflege zahlen mussten, wurde abgeschafft.
Gehaltslücke zwischen Alten- und Krankenhauspflege
Das Problem: Im Altenheim verdienen Pflegekräfte im Monat 500 Euro weniger brutto als im Krankenhaus. Wenn die neue Ampel-Koalition die Lücke nicht bald schließt, droht der Altenpflege ein noch größerer Personalmangel, weil sich nur wenige Berufsanfängerinnen und -anfänger mit dem geringeren Gehalt zufriedengeben dürften. Auch für Melina Wiebke ist das ein Argument gegen die Altenpflege, obwohl ihr die Arbeit eigentlich gefallen hat.
"Dadurch, dass der Arbeitsaufwand ja auch relativ groß ist, ein sehr körperlicher Aufwand, den man hat und dann auch noch weniger Geld. Ich möchte irgendwann eventuell Kinder haben, ich möchte irgendwann eventuell ein Haus beziehen können … und das ist halt … dann versuche ich natürlich da zu arbeiten, wo ich auch mehr Geld kriege. Das würde, glaube ich, jeder Mensch versuchen, wenn man eh schon so viel Kraft und Energie da reinsteckt, dass man eben auch angemessen entlohnt wird."
Ampel will die Gehälter angleichen - aber wie?
Im Koalitionsvertrag bekennen sich SPD, Grüne und FDP zwar dazu die Gehälter anzugleichen – wie, erklären die Ampel-Parteien allerdings nicht. Die Gesundheitsexpertin von Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink:
"Ganz grundsätzlich ist das natürlich Aufgabe der Tarifpartner, aber wir können als Gesetzgeber, wir sind ja auch Kostenträger für die Pflege, dafür sorgen, dass das dann entsprechend auch so abgebildet wird. Wir wollen sicherstellen, dass künftig jede Pflegeeinrichtung, die versorgt, auch daran gebunden wird, dass sie tarifgerecht bezahlt."
Soll heißen: Die Gewerkschaften müssen dafür sorgen gute Tarifverträge abzuschließen und die Pflegekassen werden diese Lohnkosten tragen. Das allerdings ist nichts Neues, sondern ergibt sich aus der Pflegereform der Großen Koalition - und wird nicht reichen, um die 500 Euro brutto Gehaltslücke pro Monat zwischen Alten- und Krankenpflege zu schließen.
Eine neue Pflegepersonalregelung soll helfen
Mehr Menschen für Pflegeberufe zu gewinnen und diese auch noch gut zu bezahlen – das ist wohl eine der größten Herausforderungen der Ampel-Koalition. Wie also wollen SPD, Grüne und FDP den Beruf attraktiver machen? Im Koalitionsvertrag findet man dazu viele kleine Lösungsvorschläge: Etwa familienfreundlichere Arbeitszeiten und die Abschaffung geteilter Dienste, also einen halben Dienst morgens und den anderen Teil abends abzuleisten. Eine Idee, die zumindest in den Krankenhäusern schnell die größte Not lindern soll, ist die Einführung der Pflegepersonalregelung 2.0. Sie soll möglich machen, was sich wohl die allermeisten Pflegekräfte wünschen: Mehr Zeit für die Patienten.
"Mit dem PPR 2.0 System würden wir auch kurzfristig die Situation auf den Stationen verbessern können." Was technisch klingt ist ein Verfahren, das neu berechnet, wie viel Personal in den Krankenhäusern tatsächlich gebraucht wird, um die Patientinnen und Patienten gut zu versorgen - nämlich etwa acht Prozent mehr. Das zumindest schätzen die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Gewerkschaft Verdi und der Deutschen Pflegerat, von denen das Konzept stammt. Die Ampel-Koalition hat diesen Vorschlag in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen.
"Das heißt, jeder der dort tätig ist, hätte die Gewissheit, dass es eine bestimmte Anzahl von Patientinnen und Patienten gibt und nicht mehr, dass man sich darauf verlassen kann und insofern ist das natürlich eine wichtige Botschaft bezogen auf die Arbeitsbelastung."
Was fehlt, ist zusätzliches Personal
Ob das in der Praxis tatsächlich zu kurzfristiger Entlastung führt, ist fraglich. Mehr Personal wird den Krankenhäusern kurzfristig nicht zur Verfügung stehen. Das Pflegepersonal entlasten wird die Regelung also nur, wenn weniger Patientinnen und Patienten aufgenommen werden.
"Das ist auch heute schon so, wir haben ja heute Personaluntergrenzen, die definiert worden sind und wenn diese Untergrenze nicht eingehalten werden kann, dann melden sich die Krankenhäuser für die Aufnahme ab."
Oft nicht mal Minimalbesetzung
Zahlen des Verbands der Gesetzlichen Krankenkassen aus dem zweiten Quartal dieses Jahres zeigen allerdings, dass es in der Praxis häufig anders läuft: Selbst die Untergrenze, die gewissermaßen eine Notbesetzung an Personal ist, wird häufig gerissen. In mehr als jeder zehnten Schicht war nicht einmal Minimalbesetzung gesichert. Der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang hält die Neuberechnung der erforderlichen Stellen dennoch für richtig. Er ist überzeugt, dass so mittel- bis langfristig mehr Personal eingestellt werden kann.
Heinz Rothgang: "Wenn wir uns jetzt immer hinstellen und sagen: Ja, neue Stellen zu schaffen, nutzt ja nichts, weil es kein Personal da. Dann kriegen wir auch nicht mehr Personal. Man muss einen Prozess initiieren, wo man sagt: Das ist der Pfad der Entwicklungspfad, wie sich die refinanzierbaren Stellen erhöhen werden. Und liebe Leute, wenn ihr nur lange aushaltet, in fünf Jahren oder in zehn Jahren, besser fünf als zehn, dann werden wir ganz andere Arbeitsbedingungen haben. Und damit kann versucht werden, Personal zu halten. Damit kann auch versucht werden, stärker zu rekrutieren."
Wie viele Pflegekräfte so lange durchhalten, dafür hat auch Heinz Rothgang keine Prognose. Erst einmal aber müsse vor allem mehr ausgebildet werden.
Eine Ausbildung "wie ein kleines Medizinstudium"
Saskia Irribares Montes de Oca und Julia Metzner stehen kurz vor dem Examen. Die künftigen Krankenpflegerinnen müssen Zusammenhänge erklären können; wissen, welches Medikament welche Nebenwirkung hat - und welche Medikamente auf keinen Fall miteinander kombiniert werden dürfen.
"Ich hätte es nicht für so anspruchsvoll gehalten - vom Lernen, also vom Theoretischen. Es ist schon viel, viel anspruchsvoller als ich dachte. Vom Lernstoff und was du alles wissen musst, was du alles beachten muss."
Julia Metzner: "Ein kleines Medizinstudium eigentlich."
Saskia: "In anderen Ländern ist es das ja auch so, da haben wir ja mal drüber geredet. In anderen Ländern ist es ein Studium, hier ist es eine Ausbildung und ich finde, du musst dich schon richtig reinhängen."
Julia Metzner: "Ein kleines Medizinstudium eigentlich."
Saskia: "In anderen Ländern ist es das ja auch so, da haben wir ja mal drüber geredet. In anderen Ländern ist es ein Studium, hier ist es eine Ausbildung und ich finde, du musst dich schon richtig reinhängen."
Das Bild, das viele von der Pflege haben, sei häufig viel zu simpel, meinen die beiden Auszubildenden. Wenn die Ampel-Koalition mehr Pflegekräfte in den Beruf holen will, müsse sie das geraderücken.
"Viele meiner Freunde sagen: ‚Ich kann mir gar nicht vorstellen jeden Tag irgendwelchen Menschen, den Popo zu reinigen‘, sag ich mal. Und: Es ist ja nicht nur das, also, du musst ja den ganzen Tag nachdenken, du bist ja die ganze Zeit aktiv und musst die Patienten beobachten. Und ich glaube, das verstehen viele Leute nicht. Die denken, man reicht denen ein bisschen Nahrung an und betüddelt die so ein bisschen, gibt ihnen die Tabletten, aber so ist es ja nicht."
Neues Berufsbild: die Community Health Nurse
Auch im Koalitionspapier der Ampel-Regierung findet sich eine Passage, die das Berufsbild entscheidend ändern könnte. Die eine, größere Reform versteckt sich womöglich in dem schnöden Satz: "Professionelle Pflege ergänzen wir durch heilkundliche Tätigkeiten und schaffen unter anderem das neue Berufsbild der Community Health Nurse." Der Pflegewissenschaftler Oliver Herber kann erklären, worum es dabei geht. Seit diesem Wintersemester leitet er einen neuen Master-Studiengang an der Universität Witten/Herdecke. Acht Studierende werden zu sogenannten Community Health Nurses ausgebildet.
"Wichtig ist, dass Community Health Nurses sozusagen den Erstkontakt im Gesundheitswesen darstellen. Das ist ja bisher eine Rolle, die hier in Deutschland durch den Allgemeinmediziner, also den Hausarzt, ausgefüllt wird."
Die Studierenden in Witten/Herdecke sind ausgebildete Altenpfleger, Krankenpflegerinnen und Hebammen, die nach dem Bachelor-Studium jetzt den Master zur Community Health Nurse machen.
"Typische Tätigkeiten wären dann, dass sie Medikamente verschreiben oder, dass sie klinische Tests anordnen, dass sie eine körperliche Untersuchung durchführen. So eine Basisuntersuchung, eine Primäruntersuchung. Dass sie aber auch Diagnosen stellen, dass sie eigenständig behandeln. Das könnten dann so Bagatell-Erkrankungen sein, wie vielleicht Erkältungen, Krankheiten im Winter oder grippalen Effekte und dergleichen. Sie könnten aber auch weiter an Krankenhäuser überweisen."
Neues Konzept: Pflegekräfte für medizinische Grundversorgung
Das Konzept stammt aus dem europäischen Ausland. In Großbritannien gibt es zum Beispiel Zentren für chronische Krankheiten wie offene Beine, die einzig von Pflegekräften geleitet und geführt werden. In Finnland übernehmen Community Health Nurses die regelmäßigen Untersuchungen und Schutzimpfungen von Kindern. Die Idee dahinter ist, dass auch Pflegekräfte einen Teil der medizinische Grundversorgung übernehmen können. Oliver Herber glaubt, dass Pflegeberufe so insgesamt attraktiver werden könnten.
"Meine Erfahrung aus der Vergangenheit ist, dass viele Pflegekräfte teilweise sehr, sehr gute Fort- und Weiterbildungen besucht haben. Aber, wenn dann am Ende doch wieder nur der Arzt entscheidet, ob beispielsweise eine bestimmte Wundauflage verschrieben werden darf oder nicht, dann ist es natürlich sehr frustrierend für die Person feststellen zu müssen, dass trotz dieser Qualifikation am Ende eine andere Person darüber entscheidet, wie die Wunde behandelt wird."
Der Pflegebedarf wird weiter steigen
Klar ist: Je mehr Pflegekräfte Universitätsabschlüsse haben, desto stärker wird ihre Position gute Gehälter zu verhandeln. Der Pflegewissenschaftler Oliver Herber meint dennoch, dass es dadurch nicht unbedingt zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem insgesamt kommen muss.
Oliver Herber: "Denn unser Gesundheitssystem ist vielleicht auch nicht das Effektivste. Dadurch, dass wir die Möglichkeit haben, direkt einen Facharzt aufzusuchen, überfüllen wir dann die Fachärzte häufig mit Bagatell-Erkrankungen. Und das ist einfach viel zu teuer und Community Health Nurses sind, wenn man das mal so plakativ sagen kann, die wären günstiger als Hausärzte."
Um die Frage, wie teuer die Pflege der Zukunft insgesamt wird, kommt man dennoch nicht herum. Bis 2030 werden in Deutschland laut dem Barmer-Pflegereport zusätzlich 180.000 Pflegekräfte benötigt – und das nur in den Alten- und Pflegeheimen und der ambulanten Versorgung. Allein die Kosten der Pflegeversicherung werden sich dann auf 53 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Die Krankenhäuser sind hier noch nicht einmal mit einberechnet. Auch an den Leistungen soll nicht gekürzt werden, das stellte der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach als Allererstes klar:
„Mit uns wird es keine Leistungskürzungen im Gesundheitssystem geben, ganz im Gegenteil, wir werden das System wieder robuster machen.“
Gesundheitsminister Lauterbach will das Gesundheitssystem stärken
Denn das sei schon deshalb nötig, um die Pandemie zu bewältigen. Robuster, wie Lauterbach es formuliert, wird das Gesundheitssystem allerdings nur werden, wenn es langfristig mehr Pflegepersonal gibt. Der SPD-Gesundheitsexperte steht nun vor der Aufgabe, dieses Personal zu beschaffen, allerdings ohne die Finanzierungsgrundlage, für die er sich seit Jahren einsetzt. Eine Bürgerversicherung, wie SPD und Grüne es wollten, soll es nämlich nicht geben. Sie hätte die Trennung zwischen privat und gesetzlich Versicherten beendet.
"Wir haben im Koalitionsvertrag an den fundamentalen Stellschrauben der Finanzierungssystematik, das muss man durchaus zugeben, da zu dem Befund kommen, dass sich in dem Dreier-Gespann SPD, Grüne, FDP die FDP ganz klar durchgesetzt hat."
So der Gesundheitsökonom und Professor für Sozialpolitik, Stefan Sell, von der Hochschule Koblenz. Das System der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung wird also wohl bestehen bleiben. Stattdessen müssen sich Versicherte auf höhere Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge einstellen. Die Pflegeversicherung will die Koalition zu einer Vollversicherung weiterentwickeln, wie genau, ist allerdings offen. Vor allem im Krankenhausbereich will die Koalition Kosten einsparen, nämlich bei Operationen. In kaum einem anderen OECD-Land werden so viele Hüften und Knie ersetzt wie in Deutschland. Ansätze, die der Professor für Volkwirtschaft und Sozialpolitik Stefan Sell grundsätzlich gut findet, doch er glaubt nicht, dass sie ausreichen werden, um die riesige Finanzlast zu stemmen.
Stefan Sell: "Damit wird schon am Anfang klar, dass wir, wenn dann nur wie bislang auch an einzelnen kleinen Stellschrauben herumfummeln können, aber wir können die eigentliche Systemfrage, jedenfalls mit dem, was in diesem Koalitionsvertrag steht, nicht aufrufen." Obwohl Karl Lauterbach als Gesundheitspolitiker der SPD genau diese Systemfrage immer wieder gestellt hatte. Der Erfolg der Ampel-Koalition in der Gesundheitspolitik dürfte also auch davon abhängen, ob Lauterbach als Gesundheitsminister nicht nur die Pandemie unter Kontrolle bringt, sondern auch die grundsätzlichen Schwächen des Gesundheitssystems angeht.