Jasper Barenberg: Kommen wir noch einmal zurück zu den Verabredungen zur Pflegepolitik. Union und SPD geben sich zufrieden. Viele Fachleute und viele Verbände äußern sich dagegen enttäuscht. Vor dieser Sendung hatte ich Gelegenheit, darüber mit dem Unions-Fraktionsvize Georg Nüßlein zu sprechen. Wie findet er, dass das Echo auf die bekannt gewordenen Eckpunkte derart verheerend ausfällt? Das habe ich den CSU-Politiker gefragt.
Georg Nüßlein: Was ist denn bekannt geworden?
Barenberg: Bekannt geworden ist, dass es ein Sofortprogramm beispielsweise für 8.000 Pflegekräfte geben wird, um da etwas zu tun und den Mangel zu beheben. Und da sagen die Fachleute, das ist viel zu wenig.
Nüßlein: Da haben die Journalisten zu wenig oder das falsche berichtet an der Stelle. Man sollte auch nicht immer sofort die Dinge bewerten, die man nur vom Hörensagen kennt, sondern sollte erst mal abwarten. Wir haben uns da durchaus umfassend Gedanken gemacht und es ist erheblich mehr als nur ein Sofortprogramm mit 8.000 Stellen, bei dem das Besondere ja ist, dass es von der Kasse finanziert wird, dass es also refinanziert ist. Wir gehen in eine sehr viel weitere Richtung. Wir sagen, wir refinanzieren in Zukunft Tarifsteigerungen voll umfänglich. Das halte ich für einen ganz, ganz zentralen Aspekt.
Wir sorgen dafür, dass wir tatsächlich die Arbeitsbedingungen verbessern. Das ist auch entscheidend. Da sind wir im Bereich der Krankenhäuser noch dabei zu klären, wie wir das alles tun wollen. Da wird es noch Flankierungen geben. Und so könnte ich das jetzt weiter durchdeklinieren. Also wer nur auf die 8000 Stellen abstellt, der greift zu kurz, und wir wissen auch, dass es im Übrigen schwierig sein wird, diese 8.000 Stellen zu besetzen, weil wir die Leute erst mal haben müssen. Wir wollen insgesamt durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen Menschen wieder motivieren, in den Beruf zurückzukommen. Wir haben ja viele, die ausgestiegen sind; wir haben auch viele, die halbtags reduziert haben, weil der Stress zu hoch ist.
Barenberg: Herr Dr. Nüßlein, wenn wir das Echo uns anschauen, was aus der Union kommt und aus der SPD kommt, dann registrieren wir da große Zufriedenheit und man sei sich einig, man hätte ein gutes Paket geschnürt. Und wir hören erste Stimmen vom Pflegerat, von der Diakonie, vom Berufsverband der Pflegeberufe, und die halten nun nicht allzu viel von dem, was wir jedenfalls zurzeit wissen. Bleiben wir doch einen Augenblick beispielsweise bei denen, die professionell in der Pflege arbeiten. Sie haben ein paar Dinge genannt. Was würde sich für die konkret in ihrer Arbeitssituation, bei der Bezahlung verbessern?
"Wollen dafür sorgen, dass flächendeckend Tarif bezahlt wird"
Nüßlein: Man muss erst einmal trennen zwischen Bezahlung und Arbeitssituation. Wir haben, was die Bezahlung angeht, schon in der letzten Legislatur geregelt, dass die Kassen nicht mehr kommen können und sagen, wer Tarif bezahlt, handelt unwirtschaftlich. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass flächendeckend Tarif bezahlt wird. Dafür wird es Maßnahmen geben, dass das geregelt wird. Im Übrigen wird sowieso mehr bezahlt werden müssen in Zukunft, weil der Arbeitsmarkt so ist, wie er ist, und weil man sonst diese Pflegekräfte nicht herbekommt. Also ist entscheidend, wo kommt das Geld her. Wir refinanzieren das Ganze und wir refinanzieren insbesondere die Tarifsteigerungen. Das war ein großer Kritikpunkt bisher.
Barenberg: Nur, dass ich das richtig verstehe, Herr Nüßlein. Die Krankenversicherungen bezahlen, was bei Tarifverhandlungen an Plus rauskommt. Habe ich das richtig verstanden?
Nüßlein: Genau. Bisher hat man das nur zur Hälfte refinanziert. In Zukunft wollen wir es vollumfänglich refinanzieren. Das ist ganz entscheidend, weil das natürlich diesen permanenten Preisdruck auch einigermaßen reduziert.
Und dann - und da kann ich jetzt leider im Detail noch nicht drüber reden - sind wir momentan dabei, über die Krankenhausthematik zu reden, und in der Krankenhausthematik werden wir auch etwas flankierend dafür tun, dass der Druck abnimmt. Da gehören zum einen die Mindeststellen, die Mindestpersonalbemessung dazu. Das ist ganz wichtig, dass man sagt, wieviel braucht man denn. Das werden wir nicht nur in pflegeintensiven Bereichen in Zukunft machen, sondern generell im Pflegebereich, weil sich leider diejenigen, die was ändern hätten sollen, darüber gestritten haben, was ist pflegeintensiv. Deshalb kann man das einfach dadurch lösen, dass wir sagen, wir machen generell diese Untergrenzen.
Und dann sind wir momentan noch in der Diskussion darüber, was man flankierend im Krankenhausbereich beispielsweise dazu noch tun kann. Wir denken schon systemisch insgesamt und adressieren ganz klar das Thema Pflegekräfte und deren Arbeitssituation. Darum sollten wir jetzt nicht schon gackern, bevor man überhaupt weiß, um was es geht, sondern mal das Gesamtkonstrukt am Schluss sich anschauen, und ich bin überzeugt, dass man dann, wenn man es objektiv sieht und nicht einfach lobbyistisch sagt, das kann immer noch ein bisschen mehr sein - das verstehe ich, den Ansatz -, wenn man es objektiv sieht sagt, jawohl, das ist eine durchaus wohl überlegte runde Sache, wo wir übrigens auch bereit sind, eine ganze Menge Geld in die Hand zu nehmen für das Thema, was am Schluss natürlich auch wieder Druck auf die Lohnnebenkosten machen wird beziehungsweise im Pflegebereich dafür sorgen wird, dass der zu Pflegende eventuell mehr bezahlt. Auch das muss man sehen. Die Sache hat immer zwei Seiten.
Barenberg: Das heißt auch, Sie stellen in Aussicht, dass der Beitrag zur Pflegeversicherung, der im Moment bei zweieinhalb Prozent liegt, dass der möglicherweise steigen muss mit diesen Maßnahmen?
"Werden nichts dafür tun, dass wieder am Pflegepersonal gespart wird"
Nüßlein: Wir werden alle Ideen entwickeln, um das zu verhindern. Das geht über Steuergeld, das geht über andere Sparmaßnahmen. Wir werden es intelligent machen aus meiner Sicht. Aber wir werden jedenfalls nichts dafür tun, dass wieder am Pflegepersonal gespart wird, sondern im Gegenteil. Wir werden deutlich machen, wie wichtig das Personal uns ist bei dieser Thematik der Pflege.
Barenberg: Lassen Sie mich noch mal zurückkommen auf das, was aus den Verbänden heute kommt. Gerade mit Blick auf das Sofortprogramm für 8000 Pflegekräfte. Da haben Sie selber gesagt, Sie wissen noch gar nicht, wie man diese Anzahl von Fachkräften überhaupt rekrutieren kann, angesichts der langen Ausbildungszeit, die es ja auch gibt. Aber wenn nun die Fachverbände sagen, es fehlen heute schon 20.000 Fachkräfte, wenn sie darauf verweisen, dass die Zahl von 8.000 bedeuten würde, dass nun gerade in jeder Einrichtung, die wir in Deutschland haben, vielleicht eine halbe Pflegekraft dazukommt, dann liegt ja auf der Hand die Frage, was soll das dann bringen, wie soll es helfen, den Mangel zu beheben.
Nüßlein: Das ist ja nur ein Teil des Ganzen. Wir sagen, 8.000 zusätzlich, und wir sagen, wie sie finanziert werden, nämlich aus Kassengeldern und nicht über das, was die Pflegebedürftigen am Schluss persönlich bezahlen müssen. Das ist aber nur ein Teil und das ist nur ein Sofortprogramm, dem weitere Schritte folgen müssen. Es werden weitere Schritte folgen, ganz klar, und deshalb finde ich es jetzt falsch, wenn man auf diesen 8.000 Stellen herumreitet. Das ist nämlich nicht das Entscheidende daran, sondern wir schaffen Arbeitsbedingungen, die dann so aussehen, dass am Schluss auch man die Arbeitskräfte findet. Indem man besser bezahlt, indem man den Arbeitsstress, die Schichten reduziert, indem man die Arbeitsbedingungen einfach klar verbessert, wird es am Schluss auch Bewerber für diese Stellen geben. Da bin ich fest überzeugt davon.
Barenberg: … sagt der CSU-Politiker Georg Nüßlein. Das Gespräch haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.
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