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Pflegereport der Barmer
Immer mehr betreutes Wohnen

Immer mehr Pflegebedürftige ziehen das Betreute Wohnen oder eine Pflege-WG dem Aufenthalt im Altenheim vor. Das ergab der Barmer Pflegereport. In dem steht aber auch, dass die Alternativen zum Heim nicht unbedingt mehr Pflegequalität bieten. Es gibt aber Ideen, um hier Abhilfe zu schaffen.

Von Panajotis Gavrilis |
Ein Schild weist bei Berlin den Weg zu einer Senioren-WG.
Die Senioren-WG wird zunehmend eine Alternative zum Altenheim (picture-alliance / dpa / Jens Kalaene)
Es ist eine Alternative zum Pflegeheim und wird immer beliebter: Betreutes Wohnen oder eine sogenannte Pflege-WG. In Deutschland leben schätzungsweise 181.000 Menschen in solchen Einrichtungen, die überwiegende Mehrheit in betreutem Wohnen. Die Zahl wird weiter wachsen, sagt Barmer-Chef Christoph Straub.
"Beide Betreuungsformen sind für die Pflegebedürftigen aber auch für die Betreiber lohnend. Die Pflegebedürftigen müssen gegenüber einer Pflege im Pflegeheim geringere Eigenanteile aufbringen. Die Betreiber können maximal doppelt so hohe Einnahmen im Vergleich zu einer Unterbringung und Betreuung in einem stationären Pflegeheim erzielen."
Ein Vergleich: In Heimen fallen für Pflegebedürftige monatliche Kosten von im Schnitt bis zu 1.900 Euro an. Beim Betreuten Wohnen können sie hingegen bis zu mehreren Hundert Euro sparen, indem sie verschiedene Leistungen kombinieren.
Geld sparen auf Kosten der Qualität?
Diese Wohnformen weisen aber nicht immer die gleiche Pflegequalität auf, Menschen mit Diabetes z.B. müssten häufiger ins Krankenhaus, sagt Straub.
"In betreutem Wohnen und in Pflegewohngemeinschaften haben 80 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner innerhalb eines Monats Kontakt zu ihren Hausärzten. Im Pflegeheim sind es 86,6 Prozent. Wir stellen außerdem fest, dass bei den neuen Versorgungsformen häufiger die Fälle von Wundliegen auftreten."
Der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang spricht von einer "Ambulantisierung der Pflege". Er hat im Auftrag der Barmer unter anderem die Mehrkosten für die Pflege- und Krankenkassen ermittelt. Im Jahr 2018 waren das rund 400 Millionen Euro, verglichen mit einer vollstationären Pflege. Für Rothgang könnten diese Kosten in Zukunft noch steigen.
"Attraktiv für alle, außer für die Beitragszahler"
Für ihn ist klar: Häusliche Pflege bringt Anbietern mehr als Heimpflege, soll heißen: Ein lukratives Geschäft. Rothgang beschreibt das Geschäftsmodell der Anbieter so:
"Komm zu uns, du kriegst betreutes Wohnen, du kriegst die Pflegesachleistung, du kriegst die Tagespflege, alles aus einer Hand. Und das Ganze kommt dich billiger, als wenn du ins Heim gehst. Der Anbieter hat weniger Verpflichtungen und weniger ordnungsrechtliche Dinge, die er beachten muss. Er kriegt deutlich mehr Geld, kann dann aber ein Angebot bieten, das für den Pflegebedürftigen geringe Eigenanteile impliziert. Und das macht dieses Modell so wahnsinnig attraktiv für alle Beteiligten, außer für die Beitragszahler."
Qualität muss einheitlich und überprüfbar werden
Der Barmer-Vorstandsvorsitzende Christoph Straub leitet aus dem aktuellen Pflegereport - durch die Veränderungen auf dem deutschen Pflegemarkt - Forderungen ab, vor allem in Richtung Politik: Für Pflege-WGs und das betreute Wohnen sollen z.B. einheitliche Qualitätsmaßstäbe gelten.
"Damit die Pflegebedürftigen selber und ihre Angehörigen besser vergleichen können. Dazu sollte auch in jedem Bundesland eine Stelle eingerichtet werden, in der die Zahl der Anbieter, die Qualität der Versorgung transparent dargestellt wird, erfasst wird und dann auch analog des neuen Pflege-TÜVs die Qualität bewertet wird."
Dieses neue System war bereits im Herbst gestartet und soll aussagekräftigere Informationen über die Qualität der rund 13.000 Heime bereitstellen.