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Phänomen der 80er?

Der Graffiti-Künstler Keith Haring wusste, wie man sich effektvoll inszeniert: Als seine stilisierten Figuren mit den scharfkantigen schwarzen Linien einmal etabliert waren, konnte man die Motive massenhaft auf T-Shirts, Postern, und Stickern kaufen. Die Kunsthalle Weishaupt in Ulm untersucht nun, ob sich Keith Harings Kunst aus den 80er-Jahren in der Gegenwart noch behaupten kann.

Von Christian Gampert |
    Die 1980er-Jahre waren die Jahre der Pflastermaler und Graffiti-Künstler. Man besetzte den öffentlichen Raum, indem man sich auf U-Bahnen, Plätzen und Gebäuden artikulierte - mit einem Zeichenvokabular, das aus Comics stammte und beliebig weiterentwickelt wurde. Natürlich war das politisch: Hier griffen die Krakenarme der Populärkultur nach einer Sphäre, die bislang dem Staat oder der Gemeinde vorbehalten war - und das mitten in der Nachrüstungs- und Anti-Atom-Debatte.

    Auch Keith Haring hat sich erstmals in der New Yorker U-Bahn zu Wort gemeldet; auf abgedeckten Werbeflächen entstand sein "Radiant Baby", ein wie Uranium strahlendes Kleinkind, das zu seinem Markenzeichen wurde. Aus dem Untergrund ging es dann ziemlich schnell in den Kunstmarkt. Haring wusste, wie man sich dort effektvoll inszeniert: als seine stilisierten Figuren mit den entschiedenen, scharfkantigen schwarzen Linien etabliert waren, konnte man die Motive massenhaft auf T-Shirts, Postern und Stickern kaufen, nicht nur in seinem eigenen "Pop Shop" in New York. Und das wiederum hatte Anschubwirkung für jedes neue Bild.

    Wenn man Harings Werke jetzt wiedersieht, im kühlen, sachlichen "Museum Weishaupt" in Ulm, dann macht sich eine gewisse Rührung breit. Eine "Red Dog"-Skulptur hält Wache vor der Tür, wie eine Reklame-Ikone hängt Harings riesiges "Palladium Backdrop" programmatisch hinter der Fensterfront, ein buntes, labyrinthisches Spektakel, das er 1986 für die New Yorker "Palladium"-Diskothek gemalt hat. Und eine Kollegin hat sogar noch einen Original Haring-Button, einen Anstecker an der Bluse.

    Aber die Zeit ist gnadenlos weitergegangen. Punk ist tot, die Schwulenbewegung längst im Establishment. Heute dominieren Video- und Installations-Künstler, Fotografen - und Maler, die die neuen Wilden längst überholt haben. Wie kann sich da eine Haring-Ausstellung behaupten? Erstaunlicherweise ganz gut. Es stellt sich bald heraus, dass Harings Figuren in ihrem scheinnaiven Gestus immer noch etwas Signethaftes, Emblematisches haben, dass sie eine bestimmte Zeit des Aufbruchs und der Verzweiflung auf den Begriff bringen. Es ist die Ära Ronald Reagans und der ersten Aids-Toten, der hier sehr kraftvoll ein optimistisches "Dennoch" entgegengeschleudert wird. Es stimmt eben nicht, dass Harings knallbunte Riesenwände nur dekorativ sind: die Welt ist ein Irrgarten, in dem wir - dennoch - fröhlich herumwandern. Larven, Lurche, biomorphe Wesen verwachsen zu einem halbabstrakten, aufmüpfigen Zeichen-Inventar, in der Reduktion liegt die Energie.

    Das war anschlussfähig an soziale Bewegungen aller Art, und mag Haring mit seinen tiefroten Kitsch-Herzen auch freundlich der Talmi-Kultur zuwinken, mögen seine bellenden Hunde auch Walt-Disney-Verschnitte sein - der Tod ist allpräsent in seinem Werk. Seine Strichmännchen sind bisweilen auch kopfüber Gekreuzigte mit gespreizten Beinen, die Rassenprobleme Südafrikas werden durch zwei Babys zum Schaubild verdichtet, neben dem Baum der Erkenntnis lauern dinghafte Penisse und Brustnippel, und auf einem milchigen Altarbild in Beige sind alle Figuren über eine Schlange unheilvoll miteinander verstrickt - ein Abgesang auf das AIDs-Zeitalter.

    Eine kluge Museums-Regie will es, dass einen Stock tiefer die Künstler der Zero-Gruppe und Verwandte ausgestellt sind - meditative Abstraktionen von Günther Ueckers Nagelbildern bis zu Gotthard Graubners Farbkissen. Auf den ersten Blick haben diese Künstler, eine Generation vor Haring, eine ganz andere Kraft als die Oberflächen-Signets der Popkultur: Man kann in den Bildern von Piene oder Mack sozusagen verschwinden - das ist bei Haring nicht möglich. Wenn man über die Verbindungsbrücke aber hinübergeht ins Ulmer Museum, noch ein Zeitalter zurück, dann kann man einem Vorfahren von Keith Haring die Hand geben: die Werke von Paul Klee werden dort auf ihre Bezüge zur Romantik untersucht, und nicht nur in den Farbexperimenten, sondern vor allem in den Strichfiguren und Spinnenwesen sehen wir auf einmal, wo Keith Haring - auch - herkommt.

    Wer will, mag Harings Welt der 1980er-Jahre im Kopf vervollständigen: Links sehen wir dann den Ostdeutschen A.R. Penck, rechts Warhol und Lichtenstein, und einen Schritt weiter schon Jean-Michel Basquiat. Keith Harings Beharren auf der Kraft des Kindlichen aber ist näher an der Abstraktion, als wir alle glauben - würde er noch leben, er hätte die Welt des Pop sicher irgendwann verlassen.

    Info:

    Kunsthalle Weishaupt in Ulm