Archiv

Phänomen Pegida
"Wir züchten eine antidemokratische Grundeinstellung"

Pegida sei deswegen erfolgreich, weil viele Bürger den Eindruck hätten, die politische Klasse wisse nicht mehr, was die Leute wirklich drückt, sagte der Politikwissenschaftler Werner Patzelt im DLF. Das Verhalten der Politik darauf züchte eine gefährliche antidemokratische oder zumindest die Demokratie ablehnende Grundhaltung.

Werner Patzelt im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt
    Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Werner J. Patzelt droht in Deutschland eine antidemokratische Grundeinstellung gezüchtet zu werden. (picture alliance/dpa/Arno Burgi)
    Jochen Spengler: Das innenpolitische Klima verschärft sich. Vor allem auf Kundgebungen von Pegida und AfD sind zunehmend Töne ausländerfeindlichen Hasses zu hören. Wohin die Hetze führen kann, hat am Wochenende die Stadt Köln erfahren, wo die gestern zur Oberbürgermeisterin gewählte Henriette Reker am Vortag der Wahl durch eine Messerattacke schwer verletzt worden ist. Bundesinnenminister Thomas de Maizière nannte gestern Ross und Reiter. Hinter Pegida, so de Maizière, steckten harte Rechtsextremisten, die die Asylbewerber pauschal als Verbrecher und alle Politiker als Hochverräter bezeichneten.
    Seit einem Jahr gibt es die sogenannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", die laut Bundesinnenminister von harten Rechtsextremisten geführt werden. Pegida will heute in Dresden sein einjähriges Jubiläum mit einer Kundgebung feiern. Tausende Gegendemonstranten werden ebenfalls in der Elbe-Stadt erwartet. Dort in Dresden an der TU lehrt der Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Guten Tag, Herr Professor Patzelt.
    Werner Patzelt: Guten Tag, Herr Spengler.
    Spengler: Wer an Pegida-Demonstrationen teilnehme, der müsse wissen, dass er Rattenfängern hinterherläuft, hat der Bundesinnenminister gesagt. Stimmen Sie ihm zu?
    Patzelt: Na ja. Im Grundsatz hat er schon Recht. Aber er verkennt natürlich die Natur der Pegida-Demonstrationen. Es ist ja nicht so, als ob die meisten Demonstranten Lutz Bachmanns wegen oder Frau Festerlings wegen, um die zwei Hauptredner zu benennen, kämen. Das ist eher so wie beim Fanclub eines Fußballvereins, der in irgendeiner nachgeordneten Liga spielt. Man identifiziert sich mit dem Verein, selbst wenn man das Spiel auf dem Platz für ganz furchtbar findet. Und solange man das nicht begreift, werden die ganzen Appelle nichts fruchten, man möge doch nicht zu solchen Anführern und Rednern hingehen, weil das Band, das die Anführer und die Demonstrationsgänge verbindet, eben ganz anders gewerkt ist.
    "Nicht nur AfD und Pegida an Klima schuld"
    Spengler: Bleiben wir einen Moment bei den Anführern. Viele von deren Äußerungen sind doch offen rassistisch. Könnte man wirklich sagen, dass Pegida-, auch manche AfD-Funktionäre den Boden für solche Anschläge wie in Köln oder die vielen Brandanschläge bereiten?
    Patzelt: Wenn es so wäre, dass es in Deutschland fremdenfeindliche Anschläge erst seit dem Auftreten der AfD und von Pegida gibt, dann könnte man sich mit dieser Ansicht beruhigen und müsste dann lediglich die AfD und Pegida loswerden und wir hätten ein wunderbares Klima in Deutschland.
    Spengler: Aber wir haben eine sprunghafte Zunahme der Anschläge.
    Patzelt: So ist es. Es ist ganz ohne Zweifel so, dass der in Deutschland ohnehin vorhandene xenophobische Grundduktus um die AfD und um Pegida herum sich intensiviert hat. Aber es lohnt schon, nicht zu übersehen, dass wir natürlich im Laufe des letzten Jahres auch eine nicht unerhebliche Zunahme des Einwanderungsgeschehens haben und dass wir noch keine klar erkennbare und erwartbar zum Erfolg führende Integrationspolitik haben. Und eben dieses zentrale innenpolitische Problem, Einwanderung ohne sonderliche Integrationsperspektive, das treibt viele Leute um. Sie fürchten sozusagen kulturelle Enteignung oder Entheimatung, soziale Verteilungskonflikte, und das ist die Ursache dessen, was sich um Pegida herum symptomartig zum Ausdruck bringt.
    "Keine andere Stätte für Unzufriedene"
    Spengler: Und deren Sorgen sind so groß, dass sie trotz der Warnungen den sogenannten Rattenfängern hinterherlaufen?
    Patzelt: Genau das ist der Punkt. Die Rattenfänger sind es nicht, die anziehend sind. Viele von den Pegida-Teilnehmern äußern auch immer wieder Unzufriedenheit damit, was man da hören muss, und dass man eigentlich, ohne die Selbstachtung zu verlieren, den Festerlingen auch gar nicht zuhören könnte. Aber die Aussage ist: Eine andere Stätte haben wir in Deutschland ja gar nicht, um mit einer nennenswerten Masse zu zeigen, dass wir manche Probleme anders sehen, als sie die politische Klasse offenbar sieht und handhabt, und deswegen scheint es mir eher so zu sein, dass diese ganzen Appelle, geht da bloß nicht hin, im Grunde nur für weiteren Zuwachs sorgen, weil sie so eine Art trotzige Solidarisierung befördern, wie übrigens schon die Weihnachtsrede oder Neujahrsrede der Bundeskanzlerin, die für das Wachstum von Pegida eine gewaltige Rolle gespielt hat.
    Spengler: Herr Patzelt, besorgte Bürger, die einfach gegen weitere Flüchtlinge in Deutschland sind, wo finden die derzeit eine politische Heimat?
    Patzelt: Ehrlich gesagt, nirgendwo finden sie eine wirkungsmächtige politische Heimat. Denn die AfD ist nach ihren Führungsstreitigkeiten ohnehin sehr stark politisch gelähmt und jene Rechtspopulisten, auch Rechtsradikalen unter ihnen, die sich in der Zeit der Expansionsphase der Partei breitgemacht haben, die schaden dem Ansehen der AfD. Bei Pegida finden die meisten natürlich auch keine politische Heimat, weil Pegida ja nichts anderes als eine periodische Organisation ist und Versuche, eine Partei zu gründen, an der politischen Unfähigkeit von Bachmann und Co. Mit größter Wahrscheinlichkeit scheitern werden. Es wäre eigentlich die Aufgabe der CDU gewesen, aber natürlich auch der SPD, jene Bürger, die sich Sorgen machen, wie es denn mit ihrer Lebensleistung weitergehen soll, wenn wir Jahr für Jahr Hunderttausende von Einwanderern haben, die ja nicht gleich eine Arbeitsstätte bekommen, von der aus sie Steuern und Sozialabgaben zahlen können, wenn wir die natürlich über Hartz IV zu finanzieren haben, weil das ja einfach dem Anspruch auf menschenwürdige Behandlung entspricht. Diese Leute haben weder in der CDU, noch in der SPD bislang eine Vertretung, der sie trauen, und im Grunde haben wir politisch zu wenig gekonnt, indem wir solche Leute gleichsam dem Bachmann und der Frau Festerling zugetrieben haben.
    Spengler: Wie gefährlich ist es denn für unsere Demokratie, dass bei den im Bundestag vertretenen Parteien vielleicht bis auf die CSU niemand die Meinung repräsentiert, dass zum Beispiel die deutschen Grenzen geschützt werden sollten und dass der Staat entscheiden soll, wie viele und welche Menschen er hereinlässt?
    "Der Bundestag sieht sich eher in der Rolle einer Gouvernante"
    Patzelt: Ich halte das wirklich für eine Achillesverse unserer Demokratie. Der Leitgedanke von repräsentativer Demokratie ist ja, dass im Parlament Ansichten, Prioritäten, Sorgen, Interessen der Bevölkerung halbwegs proportional zu ihrer tatsächlichen Verteilung im Volk repräsentiert werden, aber freilich nicht nur dort lautsprecherartig verstärkt, sondern auch das erfahren, was der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel einmal "die Veredelung des empirisch vorfindbaren Volkswillens" genannt hat. Das heißt, dass man das Richtige vom Falschen, das Übertriebene vom Angemessenen sondert. Aber das Ganze findet derzeit im Bundestag eigentlich kaum statt. Der Bundestag sieht sich eher in der Rolle einer Gouvernante, die dem Volk sagt, was sich gehört und nicht gehört, und das hat etwa bei den Pegida-Demonstranten, aber, wie demoskopische Umfragen zu zeigen scheinen, auch weit darüber hinaus zum Eindruck geführt, die politische Klasse habe sich vom Volk entfremdet, wisse nicht mehr was die Leute wirklich drückt, und infolgedessen züchten wir nun mehr und mehr eine antidemokratische oder zumindest diese Demokratie ablehnende Grundeinstellung. Das kann es ja nicht sein, was wir bei unserem Ringen gegen Rechtsradikalismus erreichen wollen.
    Spengler: Sie fordern mehr Debatte, mehr offene Diskussion. Sie haben vor zwei Monaten hier im Deutschlandfunk von der Politik ein Konzept in der Flüchtlingspolitik gefordert. Inzwischen ist doch die Verschärfung des Asylrechts auf den Weg gebracht, es gibt mehr sichere Drittstaaten, es gibt intensive Verhandlungen mit den EU-Ländern, Frau Merkel war gestern in der Türkei, die Politik hat also reagiert. Sie müssten doch eigentlich zufrieden sein?
    Patzelt: Das sind alles Schritte in die richtige Richtung. Bedauerlich ist, dass sie so spät ergriffen worden sind, dass die Politik den Eindruck erweckt hat, lediglich unter dem Druck von Problemen würde sie handeln, sei aber zum vorausschauenden Agieren nicht in der Lage. Obendrein werden wir sehen, dass die beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen werden, um den Zustrom von Geflüchteten zu verringern, und wir sind obendrein dabei, die europäische Solidarität dadurch zu überstrapazieren, dass wir unsere, auf Unbegrenztheit der Einwanderung setzende Zuwanderungspolitik über das europäische Quotensystem auch anderen Staaten aufdrängen wollen, nicht zuletzt solchen, die das um keinen Preis in ihrem Land haben wollen und wo deren Bevölkerungen das auch bei ihren Regierungen ablehnten, wenn sie sich auf eine solche Politik einließen. Kurzum: Wir haben die Schritte in die richtige Richtung getan, aber sie werden uns noch nicht zum Ziel führen.
    "Zuwanderung begrenzen, Verfahren beschleunigen"
    Spengler: Was führt uns dann noch zum Ziel? Sie haben jetzt noch eine Minute, die richtigen weiteren Schritte zu skizzieren.
    Patzelt: Wir müssen die Zuwanderung, die Frequenz der Zuwanderung begrenzen. Wir müssen die Verfahren, in denen festgestellt wird, wer Bleiberecht hat oder nicht, beschleunigen. Wir müssen effektiver jene, die kein Bleiberecht haben, abschieben. Wir müssen unsere Integrationsanstrengungen verstärken, das braucht Geld. Zu diesem Zweck werden wir die Steuern der Höchstverdienenden erhöhen und wahrscheinlich auch die Lebensarbeitszeit verlängern müssen. Und wir brauchen eine Diskussion darüber, wie wir uns jenseits von freiheitlich-demokratischer Grundordnung die Kultur in diesem Land in 20, 30, 40 Jahren vorstellen, ob wir also eine mitteleuropäische Bevölkerung auf deutschem Staatsgebiet oder so was Ähnliches wie ein deutsches Volk haben wollen.
    Spengler: ... sagt Professor Werner Patzelt, Politikwissenschaftler in Dresden. Danke für das Gespräch, Herr Patzelt.
    Patzelt: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.