Liebe. Hoffnung. Erlösung. Mit einem salbungsvollen Ausschnitt aus einem Telegram-Video beginnt der einstündige Filmessay "This Is Not A Game" von Arne Vogelgesang über das Phänomen QAnon:
"Mysterium Q… Kein Verstand weiß genau, was sich hinter Q verbirgt… Es hat auf alles eine Antwort und ist überall. QAnons, die wie die strahlende Sonne wirken, den Menschen Hoffnung und Zuversicht schenken…"
Er stellt einen ganz neuen – und verblüffend schlüssigen - Instrumentenkoffer bereit, um jene seltsame Online-Sekte zu erklären, deren Verbreitung durch die Pandemie noch befeuert wurde. Vogelsang erklärt QAnon mit einem Grundbedürfnis: der Sehnsucht des Menschen, in Parallelwelten zu versinken, sich auf Sinn-Suchen zu begeben und sich spielend mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen. Ein wahrhaft theaterrelevanter Gedanke.
Den sektenartigen QAnon-Kult um Donald Trump – seine größte nicht-englischsprachige Community ist übrigens in Deutschland zu finden – leitet Arne Vogelgesang aus der explodierenden Gaming-Industrie her, der sogenannten immer stärker werdenden "Gamifizierung" aller Lebensbereiche, die sich im Tindern, Weight-Watchen, Paybacken ausdrückt. Und in sogenannten "LARPS" oder "ARGs", online-basierten Rollenspielen, Schnitzeljagden oder Schatzsuchen. Der Ursprung von "Q" war ein angeblicher FBI-Agent.
"Es war der Sommer vor der Präsidentschaftswahl in den USA und die User des Politikboards "Pole of 4chan" waren hungrig auf schmutzige Geschichten über die politische Gegnerin Trumps."
So kündigte im Juli 2016 ein User auf dem Image-Board 4chan an, als FBI Mitarbeiter alle Fragen wahrheitsgemäß beantworten zu wollen: "Ask me anything." Die angebliche Verstrickung der Clintons. Perceptions shape reality. Wahrnehmung formt Realität. Bald überschwemmten angebliche Wahrheitsschnipsel von weiteren angeblichen Insidern das Netz: politisches Entertainment für spielhungrige Donald-Trump-Anhänger.
Alle arbeiten auf den großen Showdown hin
In komplexer Dichte erläutert Arne Vogelgesang, wie dabei immer mehr das Raunen von sexuellem Kinderhandel der Eliten die Chats überschwemmt, antisemitische Ritualmordlegenden aktualisiert werden – einhergehend mit den "Q-Drops", also vermeintlichen Info-Häppchen, an denen sich die spielwütige Jüngerschar dann abarbeitet. Alle arbeiten sie auf einen großen Showdown hin, befeuert von keinem Geringeren als Donald Trump selbst. Am 16.10.2017 bei einem Treffen mit hochrangigen Militärvertretern sagte Donald Trump: "Wissen Sie was das hier darstellt? Es ist die Ruhe vor dem Sturm."
Es ist atemberaubend schlüssig, Vogelgesangs Erklärungen zu lauschen. Er führt aus, wie stark die QAnon Bewegung von den Prinzipien der Computerspielbranche inspiriert ist. Die QAnon Anhängerschar arbeitet mit Spiele-Schnipseln am großen Bild einer Weltverschwörung. Im Netz wächst dies exponentiell zu einer weltweiten Bewegung.
Verschwörung als Gamification
"Q ist ein Spiel, das die Wirklichkeit umschreibt. Und zwar in Form einer kollektiven Fan-Fiction."
Vogelgesang erläutert, wie verdeckte Strippenzieher in dieser totalen Spiel-Immersion paranoide Denkstrukturen triggern. Ein Vorgang, der in deutscher Öffentlichkeit seit Pandemie-Ausbruch bei vielen prominenten Corona-Leugnern zu beobachten ist. Das hat ein ungeheuer manipulatives Menschenfänger-Potential. Und berührt zutiefst auch das Thema Kultur: Immer stärker dringen immersive Spielprinzipien in alle menschlichen Lebensbereiche ein. Nicht nur Geheimdienste oder Werbeindustrie, auch Theater und Bildende Kunst arbeiten zunehmend damit.
Am Schluss dieses komplexen Themenabends, den wirklich niemand verpassen sollte, fasst Arne Vogelgesang dann noch einmal präzise die Gefahr zusammen, die diese Rundum-Gamification bedeutet.
"Die Vereinnahmung realer Probleme – schadet dem tatsächlichen Kampf gegen diese Phänomene. Die Erfindung von Hoffnung saugt jede Kraft auf, die es bräuchte, die Welt so zu gestalten, dass sie mehr Grund zur Hoffnung böte."