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Pharma-Unternehmen
Medikamenten-Tests in der DDR

Dass westdeutsche Pharma-Unternehmen in der DDR klinische Arzneimitteltests durchführen ließen, ist bekannt. Ein Forschungsprojekt will herausfinden, welche Interessen dahinter steckten und ob ethische Richtlinien eingehalten wurden.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger |
    Ein Haufen gemischert, bunter Tabletten
    Vorzugsweise Herz-Kreislauf-Mittel wurden – im Auftrag westlicher Unternehmen – in der DDR klinisch getestet. (dpa / picture alliance / Klaus Rose)
    Ziel der Studie ist, bis zum Jahr 2015 herauszufinden, ob die klinische Arzneimittelforschung in der DDR im Auftrag westlicher Pharmahersteller norm- und sachgerecht durchgeführt wurde und wie sie ethisch zu bewerten ist.
    So weit ist die Forschungsgruppe des "Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin" an der Berliner Charité noch lange nicht.
    Der Neurologe und Historiker Dr. Pascal Grosse hat sich rund 80 Akten des sogenannten Befragungsbüros vorgeknöpft – jener dem Ministerium für Gesundheitswesen nachgeordneten DDR-Behörde, die als Schaltstelle klinische Studien anbahnte und durchführen ließ. Diese Unterlagen liefern jedoch nur die Teile eines Puzzles:
    "All das muss zusammengesetzt werden, um einzelne Studien zu identifizieren und auch die zusätzlichen Informationen, wo hat wer welche Studie zu welcher Indikation in welchem Zeitraum durchgeführt?"
    Um wie viele Studien handelt es sich? Das Beratungsbüro selbst hat nach der Wiedervereinigung, kurz vor seiner Schließung, noch eine Liste erstellt mit 416 Studien für die Jahre 1983 bis '89. Rund 300 davon könne er nachweisen, sagt Pascal Grosse.
    Größtenteils Herz-Kreislauf-Mittel getestet
    Das Spektrum dessen, was in der DDR im Westauftrag getestet wurde, war breit: Von zahnmedizinischen Geräten bis zu Infusionslösungen, Nahrungsergänzungs- und Röntgenkontrastmittel. Aber auch Kindernahrung und Tierarzneimittel zählten dazu. Mindestens 184 Substanzen seien getestet worden, vorzugsweise Herz-Kreislauf-Mittel, an denen in den 70er- und 80er-Jahren großes Interesse bestand.
    84 verschiedene Arzneimittel-Hersteller hat Pascal Grosse allein in seinen Unterlagen gefunden, darunter auch zahlreiche kleine Firmen mit ihren Nischenprodukten. Ungefähr die Hälfte seien deutsche gewesen, die anderen stammten aus anderen westeuropäischen Ländern, aber auch aus Japan und den USA.
    "Der zentrale Punkt ist, und das macht es so kompliziert, ist, dass es extrem heterogen ist. Das betrifft eigentlich alle Aspekte dieser klinischen Auftragsstudien. Das betrifft die Art der Einrichtungen, in denen diese Studien durchgeführt wurden. Es sind schwerpunktmäßig akademische Einrichtungen, das heißt also Universitätskliniken, medizinische Akademien, Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften und Zentraleinrichtungen. Ein substanzieller Teil, ein Drittel ungefähr wurden auch in Kreiskrankenhäusern, Bezirksrankenhäusern und auch Polikliniken durchgeführt."
    Welche Interessen dahinter steckten, in der DDR klinische Studien zu veranlassen, wollen die Forscher nun untersuchen. Wurde in der DDR vergleichsweise viel oder wenig getestet? Inwiefern klärten die Ärzte ihre Patienten ausreichend auf und bauten sie um ihre Einwilligung? Und welche Netzwerke und Forschungsverbünde bestanden nicht nur DDR-weit, sondern auch zwischen Ost und West? Licht in das Dunkel kann nun der Blick auf einzelne Fälle liefern.