Uli Blumenthal: Steigerung der Potenz, Verzögerung des Alterungsprozesses, Wirkung gegen Krebs – glaubt man den Anbietern, müssen sogenannte Vitalpilze Wunder bewirken. Vor allem im Internet werden die Vitalpilze oft mit ihrer krankheitsbezogenen Wirkung beworben. Zweifelsfrei ein boomender Markt. Aber was ist von diesen Pilzen, die häufig zerkleinert oder pulverisiert in Kapseln oder als Extrakte als Nahrungsergänzungsmittel angeboten werden, zu halten? Darüber habe ich mit Prof. Dr. Martin Smollich gesprochen, Pharmakologe am Institut für Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck. Dr. Smollich, ich kenne Maronen, Pfifferlinge, Stein- und Birkenpilze, was aber sind Vitalpilze und wo kommen sie her?
Martin Smollich: Na ja, also Vitalpilze unterscheiden sich zum Beispiel von Maronen und anderen Pilzen dadurch, dass sie aufgrund ihres Geschmacks eigentlich gar nicht als Speisepilze geeignet sind, das heißt, wir kennen sie auch üblicherweise gar nicht als Speisepilze. Und von der Herkunft her ist es so, dass die meisten dieser sogenannten Vitalpilze – ich sag gerne immer sogenannt, weil es keine gesetzlich geschützte Bezeichnung ist – aus Asien, China, Korea, Japan stammen. Da sind die relativ weit verbreitet, und auch in der traditionellen chinesischen Medizin werden die da schon relativ lange benutzt.
Toxikologisch "sehr wenig bis gar nichts bekannt"
Blumenthal: Können Sie mal so zwei, drei prominente Vertreter dieser, wie Sie sagen, sogenannten Vitalpilze mit Namen benennen?
Smollich: Was wir auf dem deutschen Markt jetzt seit einigen Jahren zunehmend sehen, sind zum Beispiel Präparate mit dem Reishi-Pilz oder die Schmetterlingstramete ist auch relativ bekannt oder der Shiitake-Pilz. Eichhase ist auch so was, Polyporus heißt der, Eichhase ist der deutsche Name. Das sind so die typischen, die jetzt auf dem deutschen Markt weit verbreitet sind.
Blumenthal: Sie haben eben gesagt, Vitalpilze sind eigentlich nicht für den menschlichen Verzehr geeignet. Welche Inhaltsstoffe sind dann typisch für diese Art von Pilzen und wie unterscheiden die sich von, nennen wir es so, normalen Pilzen?
Smollich: Genau weiß man das tatsächlich nicht. Wie jeder andere Pilz haben wir da auch die pilztypischen Verbindungen drin – Heteroglykane, Beta-Glykane, verschiedene Terpene –, das ist nichts Besonderes. Wir haben in einzelnen Arten schon ein paar mehr Untersuchungen, die dann auch typische Verbindungen zeigen, die wir sonst nicht haben, zum Beispiel das Cordycepin, oder im Coriolus-Pilz da haben wir so ein Enzym, die Laktase, die sind schon vor einigen Jahren identifiziert, isoliert worden. Das Entscheidende eigentlich jetzt auch aus toxikologischer Sicht daran ist, dass selbst mit diesen wenigen Verbindungen, die bekannt sind, von der Struktur her toxikologisch, medizinisch eigentlich sehr wenig bis gar nichts bekannt ist. Das heißt, hier gibt es keine systematischen Untersuchungen, die diese Inhaltsstoffe wirklich toxikologisch oder medizinisch gut charakterisieren würden.
Daten aus Einzelstudien und Tierexperimenten
Blumenthal: Nun sind diese Vitalpilze nicht für den menschlichen Verzehr geeignet. Kann man dann auf der anderen Seite sagen, dass die Inhaltsstoffe, die daraus gewonnen werden, dann eigentlich für die menschliche Gesundheit nicht zuträglich sind?
Smollich: Ehrlich gesagt, wissenschaftlich weiß man es nicht. Wir haben natürlich viele Arzneipflanzen, Giftpflanzen, die auch nicht für die menschliche Ernährung geeignet sind, aus denen man aber potenziell wirksame Substanzen isolieren kann. Also das könnte man sich theoretisch schon vorstellen, das Problem ist nur, dass eben für diese Pilzpräparate da gar keine wirksamen Inhaltsstoffe bekannt sind.
Blumenthal: Wie ist die Studienlage eigentlich zur Wirkung dieser Vitalpilze, wie können sie präventiv eingesetzt werden, was gibt es da für Untersuchungen?
Smollich: Da würde ich tatsächlich auch aus toxikologischen Gründen wirklich abraten, die präventiv oder auch therapeutisch einzusetzen. Es gibt natürlich einzelne Untersuchungen, die so ein paar Hinweise liefern. Zum Beispiel für die Schmetterlingstramete gibt es positive Effekte aus einigen Studien, parallel zu der Chemotherapie. Bei Magen- oder Darmkrebs zum Beispiel wird das parallel geben oder wurde parallel gegeben und zeigt dann eine verbesserte Wirksamkeit der Chemotherapie und weniger Nebenwirkungen. Oder beim Reishi-Pilz gibt es einige Daten, die zeigen, dass sich ein erhöhter Blutdruck dadurch senken lassen kann, beim Shiitake haben wir eine Beeinflussung des Immunsystems. Da ist wieder das Wichtige, sich klarzumachen, das sind wirklich einzelne Studien, manchmal gar keine Studien an Menschen, die überhaupt nicht aussagekräftig sind, sondern das meiste bei vielen Pilzen, praktisch alles, was wir an Daten haben, stammt aus Feldversuchen und aus Tierexperimenten. Und daraus sollte man natürlich auf keinen Fall zum jetzigen Zeitpunkt irgendwelche Handlungsempfehlungen oder Therapieempfehlungen sogar für Menschen ableiten.
"Grundsätzlich sind das eben Lebensmittel"
Blumenthal: Nun werden diese Vitalpilze ja verarbeitet, in Kapselform oder als Extrakte. Was bleibt eigentlich nach der Verarbeitung von den so beworbenen Wirkstoffen eigentlich noch übrig, ist da wirklich noch was drin davon?
Smollich: Na ja, auch das weiß man natürlich nicht sehr gut, weil diese sogenannten Vitalpilze, wenn man die in Deutschland kauft oder übers Internet bezieht, dann handelt es sich dabei ja nicht um Arzneimittel. Das heißt, wir haben nicht die Qualitätsstandards, die wir auch bei Arzneimitteln gesetzlich vorgeschrieben haben, sondern das sind Nahrungsergänzungsmittel, die damit dem Lebensmittelrecht unterliegen. Das hat noch ganz viele andere rechtliche Implikationen, wenn es um Novel Food geht oder um Health Claims und womit da beworben werden darf, aber grundsätzlich sind das eben Lebensmittel. Das heißt, wir können gar nicht sagen, wie viel von diesen Substanzen nach der Verarbeitung überhaupt noch da drin enthalten sind. Selbst wenn wir es wüssten, würde das ja auch nichts sagen, weil wir eben toxikologisch oder medizinisch nicht wissen, was eine gute, eine unbedenkliche oder eine gefährliche Dosierung überhaupt wäre.
Potenzielles Risiko für Leberschädigung oder Allergien
Blumenthal: Gibt es irgendwelche Untersuchungen oder Aussagen oder auch Erfahrungen, welche Nebenwirkungen diese Präparate haben?
Smollich: Auch das gibt es tatsächlich. Wir haben häufiger schon dokumentiert, auch durch Untersuchungen, dass diese Präparate mit Schimmelpilzen kontaminiert sein können, ein indirektes Risiko als Nebenwirkung. Wir haben immer bei pflanzlichen Präparaten auch ein potenzielles Risiko für Leberschädigung oder für allergische Reaktionen. Und daneben gibt es natürlich auch noch, was ich immer wichtig finde, indirekte Risiken dieser Präparate, das heißt, wir haben eine unklare Zusammensetzung. Das zeigen auch viele Untersuchungen, dass da manchmal Reishi-Pilz draufsteht zum Beispiel, dass da aber noch zwei, drei verschiedene andere Pilze drin sind oder Pilzextrakte, die nicht deklariert sind. Das Langzeitrisiko oder die Langzeitsicherheit ist überhaupt nicht dokumentiert, weil die nicht systematisch untersucht wurden. Das heißt, auch wenn man die vielleicht ein, zwei Monate einnehmen würde und keine Nebenwirkungen feststellt, weiß niemand, was ein paar Jahre später damit tatsächlich passiert. Und was ich persönlich auch immer jetzt aus medizinischer Sicht als ein großes Risiko sehe, ist, dass wir diese sehr häufig auch illegale Bewerbung haben "für medizinische Zwecke", krankheitsbezogene Werbung. Das führt natürlich bei Patienten dazu, dass manchmal eine wirksame Therapie, eine Art Sample-Therapie, nicht begonnen wird, weil die sich denken, hier gibt es was Natürliches von Pilzen, das kommt aus der traditionellen Medizin, das ist vielleicht harmloser, und bevor ich meine Tabletten nehme, nehme ich lieber diese Präparate. Und das kann natürlich erhebliche medizinische Risiken bergen.
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